Liverpool. Jürgen Klopp verlässt zum Saisonende den FC Liverpool, den er als Trainer mehrfach neu erfunden hat. Auch ein Karriereende ist möglich.

Es gibt Nachrichten, von denen man weiß, dass sie irgendwann kommen werden, die dann aber trotzdem eine Überraschung sind, wenn sie kommen. Oder, wie man in England sagt: a major shock, ein Riesenschock. Eine solche Nachricht machte der FC Liverpool am Freitagmittag auf seiner Internetseite bekannt. Dort verkündete Trainer Jürgen Klopp per Video-Interview, dass er den Verein am Ende der Saison verlassen wird. Den Liverpool-Fans war klar, dass Klopp, 56, nicht ewig bleiben würde, dass irgendwann der Tag des Abschieds kommt, aber dass dieser Abschied jetzt tatsächlich terminiert ist auf Mai dieses Jahres – das kommt unerwartet für die Menschen am River Mersey und für die englische Öffentlichkeit. Es lief doch gerade mal wieder so gut zwischen Klopp und Liverpool.

Der Deutsche hat den Verein wiederbelebt in dieser Saison. Nach der enttäuschenden abgelaufenen Spielzeit, in der Liverpool die Champions-League-Qualifikation verpasst hatte, ist die Mannschaft aktuell Tabellenführer in der Premier League, steht im Finale des Ligapokals, ist Favorit in der Europa League und auch im FA Cup noch dabei. Es wirkte, als hätte Klopp die deprimierende Vorsaison verarbeitet und neue Kraft geschöpft. Doch wie der Trainer in seinem Abschiedsinterview eingesteht, sind seine Reserven endlich: „Mir geht die Energie aus. Ich weiß, dass ich diesen Job nicht wieder und wieder und wieder und wieder machen kann.“ Schon in November hatte Klopp dem Verein nach eigener Aussage seine Entscheidung mitgeteilt.

So war es am Start: Jürgen Liverpool bei seiner Vorstellung in Liverpool im Oktober 2015, eingerahmt von den Entscheidungsträgern Tom Werner und Ian Ayre.
So war es am Start: Jürgen Liverpool bei seiner Vorstellung in Liverpool im Oktober 2015, eingerahmt von den Entscheidungsträgern Tom Werner und Ian Ayre. © firo Sportphoto | BPI

Für die Liverpool-Gemeinde ist die Meldung von Klopps Abschied die größte anzunehmende Hiobsbotschaft. In Sozialen Medien schrieben Nutzer, dass man sich als Fan des Vereins fühlen müsse wie der Rest des Landes beim Tod der Queen. Klopp, seit Oktober 2015 an der Anfield Road beschäftigt, ist im Kosmos des FC Liverpool zu einer Erscheinung geworden, die fast so groß ist wie der Verein selbst. Er hat sich am Mersey-Fluss unsterblich gemacht, als Trainer und Mensch. Dieser Prozess begann schon bei seinem ersten Auftritt, bei jener ikonischen Pressekonferenz, bei der er sich als „the normal one“ vorstellte und das Ziel ausgab, die zweifelnden Liverpool-Anhänger zu Glaubenden zu machen.

Jürgen Klopp ist erfolgreichster Trainer der Klubgeschichte

Klopp ist mehr gelungen als das. Er hat dem FC Liverpool nach Jahren des internen Durcheinanders und des sportlichen Mittelmaßes nicht nur den Glauben zurückgegeben, sondern den Verein auf eine Reise genommen, die selbst Optimisten nicht für möglich gehalten hätten. Champions-League-Finale 2018, Gewinn der Champions League 2019, die erste Meisterschaft seit drei Jahrzehnten im Corona-Jahr 2020, der Sieg der Klub-WM, nach seiner ersten großen Krise als Liverpool-Trainer nochmal der Einzug ins Champions-League-Finale 2022 und die Vizemeisterschaft, dazu der Gewinn des Ligapokals und des FA Cups. Klopp verlässt Liverpool Ende der Saison nach fast neun Jahren als der Trainer mit der besten Gewinn-Rate in der Vereinsgeschichte und als einziger Trainer, der mit dem Klub alle großen Titel (Champions League, Meisterschaft, FA Cup und Ligapokal) gewann.

Am Höhepunkt: Jürgen Klopp wird nach dem Champions-League-Sieg 2019 von den Spielern in die Höhe geschleudert.
Am Höhepunkt: Jürgen Klopp wird nach dem Champions-League-Sieg 2019 von den Spielern in die Höhe geschleudert. © firo Sportphoto | Sebastian El-Saqqa

Auch wenn sein Abschied überraschend kommt (sein Vertrag lief bis 2026), ist nachvollziehbar, dass Klopp sich am Ende seiner Kräfte sieht. Er hat Liverpool in seiner Amtszeit neu erfunden, und das nicht nur einmal, sondern gleich dreimal. Das erste Mal nach seiner Ankunft, als er den Verein zum Champions-League-Sieger 2019 und Meister 2020 machte. Dann nach einer Krise im Jahr nach der Meisterschaft, Liverpool verlor sieben Heimspiele nacheinander. Klopp wirkte am Ende, Parallelen zu seiner letzten Saison bei Borussia Dortmund drängten sich auf, als die Mannschaft zwischenzeitlich sogar Tabellenletzter war.

Liverpool ist Tabellenführer – zum Abschied winkt Klopp ein Titel

Doch Klopp erfand Liverpool ein zweites Mal neu und führte den Verein 2022 fast zu vier Titeln. Nur war im Champions-League-Finale Real Madrid und in der Liga Manchester City stärker. Die dritte Neuerfindung gelang dem Trainer in dieser Saison, in der Liverpool mit einem komplett neuen Mittelfeld überraschend wieder auf Meisterkurs ist. Aktuell beträgt der Vorsprung auf Dauer-Champion Manchester City fünf Punkte.

Erfolgreiche Vergangenheit: Auch bei Borussia Dortmund gewann Jürgen Klopp Meisterschaften und den DFB-Pokal – gemeinsam mit Sportdirektor Michael Zorc (links) und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke (rechts).
Erfolgreiche Vergangenheit: Auch bei Borussia Dortmund gewann Jürgen Klopp Meisterschaften und den DFB-Pokal – gemeinsam mit Sportdirektor Michael Zorc (links) und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke (rechts). © firo Sportphoto

Es wäre die passende Pointe für Klopps Amtszeit, wenn sie mit einem weiteren epischen Duell mit City und Trainer Pep Guardiola enden würde. Die beiden Vereine und ihre Trainer haben einander in den vergangenen Jahren zu Höchstleistungen getrieben. Seit Klopps Ankunft in England hat in der Premier League nur Manchester City mehr Punkte geholt als Liverpool. Es ist keine Übertreibung, wenn man behauptet, dass Klopp ohne Manchester City wohl noch viel mehr Titel gewonnen hätte. Mit seinem Abschied endet in England auch die größte Trainer-Rivalität der Gegenwart, die Rivalität zwischen Guardiola und Klopp – die übrigens immer von gegenseitigem Respekt geprägt war.

Jürgen Klopp fand eine enge Bindung zum FC Liverpool, zur Stadt und zu den Menschen

Klopp war in Liverpool mehr als ein Trainer. Er war Schutzpatron der Liverpool-Gemeinde, ein spiritueller Anführer wie es vor ihm nur Bill Shankly war, Erfinder des modernen FC Liverpool. Shankly steht als Statue vor der Kop-Tribüne des Anfield-Stadions, und auch für eine Klopp-Statue dürfte sich unter den Fans eine Mehrheit finden. Es gehört zu den Qualitäten der Figur Jürgen Klopp, dass er überall, wo er arbeitet, eine enge Bindung zu den Menschen, zum Umfeld, zur Stadt aufbaut. So war es bei Mainz 05, bei Dortmund und in Liverpool. Auch das macht seinen Abschied zu mehr als einer sportlichen Personalie. Dass Klopp jemals einen anderen englischen Verein trainiert, schließt er übrigens aus, sogar ein komplettes Ende seiner Laufbahn stellt er in den Raum.

Omnipräsent: Jürgen Klopp ziert als Graffiti eine Backsteinwand im Baltic Quarter in Liverpool.
Omnipräsent: Jürgen Klopp ziert als Graffiti eine Backsteinwand im Baltic Quarter in Liverpool. © firo Sportphoto | firo Sportphoto/Sebastian El-Saqqa

Erstmal allerdings hat er noch eine Saison zu beenden. Und anders als bei seinem Abschied aus Dortmund 2015 geht es nicht darum, den Schaden in einer schwierigen Spielzeit in Grenzen zu halten. Nein, Klopp könnte sich auf dem Höhepunkt aus Liverpool verabschieden, nämlich mit der Meisterschaft. „Lasst uns alles aus dieser Saison herausquetschen“, ruft er den Liverpool-Fans zu und bittet sie, die verbleibenden Spiele nicht zu Spielen zu machen, bei denen es nur um ihn geht, nur um Klopp. Das ist ein frommer Wunsch, aber vermutlich wird es tatsächlich sein wie fast immer seit seiner Ankunft im Herbst 2015: Liverpool wird auf Klopp hören.