Essen. Jacqueline Meißner, Kapitänin der SGS Essen, und Christiane Hohberg, einer der SGS-Pionierinnen, sprechen über Frauenfußball im Wandel.

Man könnte glauben, dass sie sich schon jahrelang kennen, dabei treffen sie sich zum ersten Mal. Jacqueline Meißner, die 29-jährige Kapitänin der Fußballfrauen der SGS Essen, die alle nur „Jaci“ nennen, versteht sich auf Anhieb blendend mit Christiane Hohberg. Der 63-Jährigen, die alle nur „Bährchen“ nennen und die schon vor 50 Jahren dabei war, als erstmals Frauen beim SGS-Vorgängerklub Grün-Weiß Schönebeck gegen den Ball traten. Jaci und Bährchen, das sind nicht nur zwei Spielerinnen. Sie stehen für den Wandel, den der Frauenfußball generell und die SGS Essen im Speziellen vollzogen haben. 50 Jahre Frauenfußball bei der SGS, 20 Jahre davon ununterbrochen in der Bundesliga – zum Ende des Jubiläumsjahrs kommt es zum Treffen der Generationen.

Frau Hohberg, wenn Sie sich im Westen Essens auf der Helmut-Rahn-Sportanlage umsehen, der Trainingsstätte der SGS Essen: Hier das schicke Multifunktionsgebäude und der Rasenplatz, dort die Kunstrasenplätze – lässt Sie das ein bisschen neidisch werden auf die derzeitige Generation?

Christiane Hohberg: Nein. Jede Generation hat ihre Zeit, und die Zeit, in der ich aufgewachsen bin, war wirklich schön und abenteuerlich. Von den Voraussetzungen, die die Spielerinnen heute haben, konnten wir früher nur träumen. Aber ich freue mich sehr, dass diese Träume tatsächlich Realität geworden sind, dass der Frauenfußball auch international anerkannt ist und dass die Qualität mittlerweile geschätzt wird. Ich bin also nicht neidisch, nein, ich freue mich für die heutige Generation. Und ich bin stolz, dass ich dabei war, als der Weg geebnet wurde.

Jacqueline Meißner von der SGS Essen in Aktion.
Jacqueline Meißner von der SGS Essen in Aktion. © FUNKE Foto Services | Michael Gohl

Und wie sieht das die heutige Generation? Seht Ihr Euch schon am Ziel und seid zufrieden mit dem Status quo, oder ist da noch Luft nach oben?

Jacqueline Meißner: Da ist definitiv noch Luft nach oben. Wir haben noch viele Ziele hier im Verein, die wir Schritt für Schritt angehen. Und generell auch: Natürlich sind wir noch nicht am Ziel, egal ob es um die Bezahlung geht, um die Infrastruktur der Vereine, um die Zuschauerzahlen in den Stadien – da wollen wir noch viel mehr erreichen. Wir wollen noch viel mehr Menschen am Frauenfußball teilhaben lassen und zeigen: Frauenfußball ist schön, aber auch gut.

Christiane Hohberg: Frauenfußball zeichnet Engagement aus, es ist eine Leidenschaft. Und die Leistung, die die Frauen auf den Platz bringen, sollte auch entsprechend entlohnt werden, und zwar fair entlohnt. Ich denke da an die spanischen Kolleginnen, die, was das betrifft, der Vorreiter sind und sehr viel erreicht haben. Ich denke aber Jaci, dass da noch ein weiter Weg vor euch liegt. Da sind dann auch die nächsten Generationen noch mal gefragt, bis der Frauenfußball in Deutschland das professionelle Level von Spanien oder England erreicht hat.

Was denn macht eigentlich die SGS Essen so besonders?

Jacqueline Meißner: Sie gibt einem ein Heimatgefühl. Dass die Spielerinnen, egal woher sie kommen, einfach das Gefühl haben, zu Hause zu sein, auch wenn sie nicht daheim bei der Familie sind.

Christiane Hohberg: Das war schon damals so: Jeder konnte kommen, egal woher, Nationalitäten spielten keine Rolle. Die erste Generation der SGS-Spielerinnen hat sich jetzt im Jubiläumsjahr wiedergetroffen, aber wirklich abgebrochen war der Kontakt untereinander ohnehin nie. Da sind Freundschaften entstanden, die einen geprägt haben, und auch wenn wir uns über Jahre oder teilweise über Jahrzehnte nicht gesehen haben, war da direkt wieder eine Vertrautheit, eine Verbundenheit.

Jacqueline Meißner: Klar ist auch, dass es hier in Essen in Sachen Entwicklung der Infrastruktur ein bisschen länger dauert als in Wolfsburg oder in München. Aber wir können mit Stolz sagen, dass wir bisher alles aus eigener Kraft schaffen und nicht mit der Hilfe aus dem Männerfußball, wie es im Rest der Frauen-Bundesliga der Fall ist.

Auf dem Trainingsplatz der SGS Essen: Jaqueline Meißner (l.) und Christiane Hohberg.
Auf dem Trainingsplatz der SGS Essen: Jaqueline Meißner (l.) und Christiane Hohberg. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Wie hat sich der Fußball der Frauen denn verändert in diesen 50 Jahren?

Christiane Hohberg: Er ist definitiv athletischer und schneller geworden. Und alles ist natürlich viel professioneller heute. Wir haben damals einmal in der Woche trainiert und dann zweimal 30 Minuten am Sonntag gespielt. Mit einem Vierer-Ball, Größe fünf hatte man uns nicht zugetraut. Hätte nur noch gefehlt, dass wir auch auf kleinere Tore und auf einem kleineren Platz spielen mussten… Eine Zeit lang wurde sogar diskutiert, ob wir nicht auch noch mit einem Brust- und einem Kopfschutz spielen sollten. Da waren in den Anfangszeiten ganz viele abstruse Ideen dabei, dass kannst du dir heute gar nicht mehr vorstellen!

Jacqueline Meißner: Erzähl mal bitte, wie Du überhaupt zum Fußball gekommen bist.

Christiane Hohberg: Frauen durften bis 1970 laut DFB-Statuten ja überhaupt nicht organisiert Fußball spielen. Ich habe trotzdem schon als kleines Mädchen gekickt, auf der Straße mit den Jungs. Ich war klein und zierlich und musste mich entsprechend durchsetzen. Irgendwann wollte ich dann auch im Verein Fußball spielen. Ging natürlich nur in einer Mannschaft mit Jungs. Statt der Christiane hat dann eben der Christian gespielt. Die haben damals die Pässe noch nicht so gewissenhaft kontrolliert wie heute, da wurde auch mal ein Auge zugedrückt.

Jacqueline Meißner: Du willst mich doch veräppeln! (lacht)

Christiane Hohberg: Nein, so war das. Und nicht nur bei mir. Meine Geschichte ist ähnlich der von Tausenden anderen Mädchen in den 70er- und 80er-Jahren. Als Zehnjährige wollte ich dann bei Rot-Weiss Essen spielen, als die eine Frauenmannschaft eröffnen wollten. Die schickten mich aber weg, ich war zu jung. Als dann Grün-Weiß Schönebeck ein Frauenteam ins Leben rief, war ich als 13-Jährige sofort am Klubgelände an der Raumer Straße. Es gab ja keine Jugendteams, ich war sofort bei den Frauen. Erst noch in der Abwehr, dann wenig später im Tor – und da blieb ich über die Jahre. Meine ersten Fußballschuhe kaufte ich einem der Jungs ab. Modell Franz Beckenbauer für fünf D-Mark. Total ausgelatscht – aber ich war unendlich stolz. Und meine Torwarthandschuhe – das waren viel zu große Bauarbeiter-Handschuhe, auf deren Innenseite ich die Noppenoberfläche alter Tischtennisschläger geklebt hatte. So war das damals.

Sind Sie froh, dass Sie in einer anderen Zeit aufgewachsen sind, Frau Meißner?

Jacqueline Meißner: Es hört sich auf jeden Fall abenteuerlich an. Jede Generation hat einfach ihre eigene Geschichte. Auch meine hat ihre eigene, und auch die Mädels, die vielleicht in zehn Jahren hier spielen werden, werden ihre haben. Ich bin noch in einer Generation aufgewachsen, die auf Asche gespielt hat. Ich glaube, die 17-Jährigen von heute kennen das gar nicht mehr. Aber auch wir kämpfen ja noch immer, um mehr zu erreichen.

Christiane Hohberg: Es war eine abenteuerliche Zeit, und auch eine schöne, selbst wenn man jetzt vieles verklärt. Aber wir mussten uns auch durchsetzen. Die Anfeindungen, die blöden Sprüche – die möchte ich jetzt hier überhaupt nicht wiederholen. Viele Sachen habe ich auch erfolgreich verdrängt. Von daher ist es doch ganz gut, dass wir im Hier und Jetzt leben. Es war nicht alles besser oder schlechter – es war einfach anders.

Frau Meißner, Sie gehen ja auch noch arbeiten, können vom Fußball alleine nicht leben.

Jacqueline Meißner: Ja, ich bin Bürokauffrau, aber nicht Vollzeit. Die Gehälter in Essen sind andere als die in den Lizenzvereinen, das ist ja kein Geheimnis. Mir war es persönlich aber auch immer sehr wichtig, ein zweites Standbein zu haben. Während der aktiven Zeit könnte man vielleicht davon leben. Aber was ist danach, oder wenn es zu einer schweren Verletzung kommt?

Christiane Hohberg: Das ist gut so, ein zweites Standbein ist wichtig. Ich arbeite in der Suchttherapie. Immer wieder bekomme ich es da auch mit einstigen Fußball-Profis oder -Talenten zu tun. Wenn der Traum von der Profikarriere ausgeträumt ist, sei es durch Verletzung oder weil sie aus dem Kader gestrichen wurden – dann kann es tragisch werden ohne berufliche Perspektive. So ist leider die Realität.

Schauen Sie sich eigentlich die Spiele Ihrer Nachfolgerin regelmäßig an?

Christiane Hohberg: Wenn ich es einrichten kann, bin ich immer bei den Heimspielen und auch bei den Auswärtspartien in der Nähe. Ihr geht als Fünfter in die Winterpause, darauf könnt Ihr stolz sein.

Jacqueline Meißner: Wir haben ein paar Punkte liegengelassen, wir könnten sogar Dritter sein. Aber im Ernst, ich weiß schon, wie ich unser junges Team einzuschätzen habe. Am Ende wäre alles, was über den fünften Platz hinausgeht, natürlich traumhaft. Damit hätte dann wirklich keiner gerechnet.