Abu Dhabi. Mercedes und Ferrari fahren Red Bull hoffnungslos hinterher. Das soll sich schnell ändern - aber zunächst ist Platz zwei wichtig.
Beim Saisonfinale der Formel 1 in Abu Dhabi (14 Uhr/Sky) geht es um nichts mehr, weil Red Bull und Max Verstappen längst als Champions feststehen? Von wegen! Nur vier Punkte trennen Mercedes und Ferrari, die gedemütigten Verfolger im Kampf um Platz zwei. Das etwas lahme Prädikat „Vize“ soll im Fall der beiden Dickschiffe mehr als eine Ehrenrettung sein. Es geht dabei noch um eine Menge Geld, aber auch um den richtigen Schwung für die Winterpause. Innerhalb von 100 Tagen müssen die beiden Konzernteams endlich einen Rennwagen hinstellen, der die Verstappen-Truppe im dritten Anlauf ernsthaft und dauerhaft herausfordern kann.
Bei den beiden Teamchefs Toto Wolff und Fred Vasseur sitzt der Frust tief. Wechselweise schienen sie zwischendurch die so überlegene Red Bull-Truppe doch angreifen zu können, nur um dann wieder – auch durch eigenes Zutun – zurückzufallen.
Hinter dem Prestigeduell stecken auch handfeste wirtschaftliche Interessen. Insider haben hochgerechnet, dass ein zweiter Platz 131 Millionen Dollar wert ist, der dritte nur 122 Millionen. Weshalb die Ansage von Toto Wolff, dass ihm ein zweiter Platz völlig egal sei, so nicht ganz stimmen kann. Der Österreicher ist sichtlich angefasst von der misslichen Situation, wieder nicht den Turnaround geschafft zu haben. Nach dem Rennen in Brasilien hatte er Abbitte bei seinen beiden Piloten Lewis Hamilton und George Russell geleistet: „Sie können mir nur leidtun, dass sie so eine elendige Kiste fahren.“ Später verglich er den Mercedes W 14 sogar mit einem Dreirad. Als Team-Mitbesitzer kann er sich sowas erlauben. Es zeigt aber auch, wie ernst die Lage in der Konzernfiliale in Mittelengland ist. Kürzlich hat Technikchef Mike Elliott das Team verlassen (müssen). Seit dem Reglementwechsel hin zu den Ground-Effect-Autos stockt die Erfolgsmaschinerie des erfolgreichsten Teams der Neuzeit.
Red-Bull-Teamchef Horner plaudert über Kontakte zu Hamilton
Wenn es um die biggest loser dieser Grand-Prix-Saison geht, liegt Ferrari gleichauf. Erst seit dem Heimspiel in Monza im September zeigt die Kurve leicht aufwärts, Carlos Sainz junior gelang es als bisher einzigem Fahrer, die Siegphalanx von Red Bull zu durchbrechen. Tatsächlich war die Scuderia gerade in der Qualifikation schon häufiger näher am Top-Rennstall dran, aber Pechvogel Charles Leclerc konnte die gute Ausgangsposition nie in einen eigenen Erfolg umwandeln. Auch in Maranello hat man eine weitere Saison als Übergangsjahr abschreiben müssen. Und auch hier die Frage: Wie lange soll der Übergang denn noch dauern? Mit McLaren und Aston Martin machen sich andere Rennställe massiv daran, den Sprung Richtung Spitze zu schaffen.
Bei den Gescheiterten herrscht Unruhe, und das passt Red Bull natürlich ins Konzept, auf die Unbeirrbarkeit des Konstruktionsgenies Adrian Newey vertrauend. Gerade hat Teamchef Christian Horner geplaudert, dass sich Lewis Hamilton zu Beginn der Saison bei ihm erkundigt hätte, ob für 2024 was frei wäre an der Seite von Max Verstappen. Der Rekordweltmeister dementierte umgehend: Es sei genau andersherum gewesen, und Horner hätte an die falsche Mobilnummer getextet. Er habe dann zurückgeschrieben: „Ich kann im kommenden Jahr hoffentlich gegen euch kämpfen!“ Die größte Befriedigung für den 38-Jährigen, ausgerüstet mit einem Vertrag bis Ende 2025, ist es tatsächlich, seine Champions-Truppe wieder nach oben zu führen. Der Brite sei aber „glücklich“, wenn er am Sonntagabend den ungeliebten Dienstwagen endlich für immer in die Garage stellen könne.
Ferrari hat beim Motor einen Vorteil
Deshalb wird es nach zwei Fehlversuchen einen komplett neuen Silberpfeil geben. Keine Kompromisse mehr, sondern ein schonungsloser Neuanfang. Die Launenhaftigkeit muss dem Auto ausgetrieben, der Umgang mit den Reifen besser werden. Gleiches plant Ferrari auch, die Scuderia hat dabei den Vorteil, dass der Motor offenbar leistungsfähiger ist als das Mercedes-Aggregat. Die italienische Schwäche lag auch in dieser Saison eher bei den menschlichen Faktoren, immerhin sitzt der französische Teamchef Fred Vasseur am Ende seiner ersten Saison in Rot aber wieder fest im Sattel.
Der zweite Platz von Las Vegas, den Charles Leclerc in der allerletzten Runde herausfahren konnte, macht den Ferrari neuen Mut. „Wenn man bedenkt, dass wir vor ein paar Rennen 60 Punkte hinter ihnen lagen, sind wir auf einem guten Weg“, glaubt Capo Vasseur, „das Momentum ist auf unserer Seite.“ Obwohl sein monegassischer Lieblingsschüler den Sieg verschenkt hatte. Aber Wiedergutmachung ist vielleicht die allerbeste Motivation. Das gilt für beide Rivalen – und weit über dieses letzte Rennwochenende hinaus.