Wien. Österreich als EM-Mitfavorit? Das Team überzeugt auch gegen die DFB-Elf, tritt aber auf die Euphoriebremse - aus Erfahrung.

Ralf Rangnick gab sich große Mühe, die Frage ausführlich zu beantworten. Den relevanten Teil aber ließ er in seiner Antwort charmant unter den Tisch des Pressepodiums fallen. „Wir nehmen es, wie es kommt“, kündigte Österreichs Teamchef im Hinblick auf die Auslosung der Europameisterschafts-Gruppe an.

Was man nicht erfahren hat: Ob nach Auffassung des 65-Jährigen Deutschland denn tatsächlich der dankbarste Gegner aus Topf eins sei, in dem neben dem Gastgeber auch alle Top-Mannschaften vertreten sind. Rangnick lachte bloß. „Wenn wir auf dem gleichen Niveau wie heute agieren, können wir jeden schlagen“, meinte er.

Österreich mit nahezu perfektem Jahr

So sieht es aus, das neue österreichische Selbstverständnis. Und das völlig zurecht. Der 2:0-Prestigesieg gegen Deutschland war der Abschluss eines nahezu perfekten Länderspieljahres, in dem bloß eine verletzungsbedingte Rumpfelf beim 2:3 gegen EM-Mitfavorit Belgien eine Niederlage hinnehmen musste. Der sonst eher kühle Rangnick geriet am späten Abend im Wiener Ernst-Happel-Stadion in Verzückung. „Auch wenn es ein bisschen abgedroschen ist: Sie spielen wie Freunde, das hat man diesem Lehrgang gespürt. Wie ein verschworener Haufen, der aber nicht wie ein Haufen gespielt hat, sondern mit einem klaren Plan“, schwärmte er.

Österreichs Marcel Sabitzer (links) setzt sich gegen Jonathan Tah durch.
Österreichs Marcel Sabitzer (links) setzt sich gegen Jonathan Tah durch. © Getty Images | Christian Hofer

Herzstück ist das Pressing und harte Arbeit liebende Mittelfeld mit Nicolas Seiwald (22), Xaver Schlager (26, beide RB Leipzig), Konrad Laimer (26, Bayern München) und Marcel Sabitzer (29, Borussia Dortmund), das der Salzburger Red-Bull-Fußballquelle, einst geschaffen von Rangnick, entspringt. „Wir sind keine Mannschaft, die in erste Linie vom Zauberfußball oder vom rot-weiß-roten Ballett kommt“, merkte Rangnick an. Erkenntnisse, die vielleicht auch mal über die Bundesgrenze nach Norden überschwappen sollten.

David Alaba will Euphorie bremsen

Österreichs Hoch weckt Erwartungen. Geheimfavorit? Womöglich sogar mehr. Doch Kapitän David Alaba trat recht schnell auf die Bremse. „Wir wissen, dass es auch anders aussehen kann nach so einer Qualifikation. Das haben wir selbst durchlebt“, erinnerte der Abwehrchef von Real Madrid ans Vorrunden-Aus der hochgelobten Mannschaft bei der EM 2016. Rangnick macht sich keine Sorgen: „Die Jungs sind viel zu intelligent und bodenständig, um zu wissen, dass ihnen das nicht in den Schoß gefallen ist, sondern dass da viel Energie und Engagement drinsteckt.“