Östersund. Wie sich Ex-Weltmeister in den Trainer-Job einfindet und was er zu den deutschen Chancen im Samstag beginnenden Biathlon-Weltcup sagt.
An diesem Donnerstag reist Erik Lesser (35) ins schwedische Östersund, wo er den Saisonauftakt im Biathlon am Wochenende als TV-Experte begleiten wird. Wir sprachen mit dem Ex-Weltmeister über die deutschen Chancen im kommenden Winter, seine Tätigkeit als Schießtrainer am Stützpunkt in Oberhof und das derzeit allumfassende Thema: Fluorwachs-Verbot.
Ohne Denise Herrmann-Wick geht es für die deutsche Biathletinnen wieder los. Wer kann die Lücke füllen, die sie nach dem Rücktritt hinterlassen hat?
Erik Lesser: Natürlich ist sie eins zu eins nicht zu ersetzen. Die Frage ist: Muss man das überhaupt? Oder verteilt man die Verantwortung nicht besser auf mehrere Schultern? Vom Potenzial her traue ich es Franziska Preuß am ehesten zu, den Platz von Denise einzunehmen. Sie hat in der Vergangenheit schon oft genug bewiesen, dass sie aufs Podest laufen kann – wenn Kopf und Körper mitspielen.
Biathlon-Trainer Lesser: Talente nicht mit Neuner oder Dahlmeier vergleichen
Aber sie gehörte bei den Qualifikationsrennen in Sjusjöen nicht zu den Besten, wurde durch den Trainer-Beschluss für das Weltcup-Team nominiert. Die richtige Entscheidung?
Für mich ist sie die einzige deutsche Athletin, die in einem WM-Einzelrennen in der Lage ist, eine Medaille zu gewinnen. Sie wegen zweier schwacher Wochenenden in der Vorbereitung nicht mitzunehmen, wäre aus meiner Sicht falsch gewesen. Wem hätte es denn etwas gebracht, Franzi Preuß im IBU-Cup starten zu lassen? Niemandem. Sollte es nicht funktionieren, ist Weihnachten immer noch Zeit, dies zu korrigieren.
Die Trainer beriefen auch die 19-jährige Selina Grotian in die Mannschaft, die schon mit Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier verglichen wird. Was trauen Sie ihr zu?
Erst einmal hoffe ich, dass diese Vergleiche aufhören. Damit tut man ihr alles andere als einen Gefallen. Sie ist die beste Juniorin, die wir aktuell haben. Sie muss die Chance kriegen, sich auf höchstem Niveau zu entwickeln. Wichtig ist dabei jedoch, dass man ihr Zeit gibt und nicht jedes Ergebnis hinterfragt, nicht jeden Fehler auf die Goldwaage legt. Denn sie wird, wie jede oder jeder andere auch, Fehler machen und hoffentlich aus ihnen lernen.
Hat Sie bei der Männer-Besetzung etwas überrascht?
Nicht wirklich. Für den Stützpunkt Oberhof wäre es natürlich ein Traum gewesen, wenn neben Justus Strelow und David Zobel auch Philipp Horn seinen Platz im Weltcup gefunden hätte. Leider konnte er im letzten Quali-Rennen keine Argumente liefern. Seit der Deutschen Meisterschaft konnte ich mit den Männern nicht so viel zusammen trainieren: Entweder waren sie im Trainingslager oder ich beim Studium in Köln. Aber im Austausch hatte Philipp auch am Schießstand ein gutes Gefühl.
In Köln absolvieren Sie Ihr Diplomtrainer-Studium. Parallel dazu arbeiten Sie aber schon seit Mai als Schießtrainer in Oberhof. Haben Sie sich in die neue Rolle eingefunden?
Ja, das verlief gut und ging auch recht schnell. Ich betreue insgesamt 13 Athleten am Stützpunkt. Vor allem im Mai und Juni standen viele Schießeinheiten ohne Belastung an. Es ist spannend zu sehen, was macht der eine; wie sind die Abläufe bei dem anderen. Das kriegt man als Aktiver gar nicht so mit, wenn man gegeneinander antritt. Die beiden Monate waren wohl die wichtigsten, um alle etwas kennenzulernen.
Biathlon: Training am Schießstand zwischen Präzision und Geschwindkeit
Gibt es etwas, das Sie neu eingeführt oder auf das Sie besonderen Wert gelegt haben?
Wir haben in den ersten Wochen die Präzision zurückgefahren und an der Geschwindigkeit gearbeitet. Allerdings ist es uns noch nicht gelungen, dies zufriedenstellend umzusetzen. Deshalb mussten wir etwas zurückrudern. Es bringt nichts, schnell zu sein, aber immer wieder Fehler zu machen. Zum Schießen gehört Selbstvertrauen, das gilt es sich immer wieder zu erarbeiten.
Gelingt das durch Wettkampfsimulationen im Training? Kürzlich wurde im Windkanal bei BMW geschossen.
Verschiedene äußere Bedingungen zu testen, ist sicherlich gut und hilfreich. Was die psychologische Komponente betrifft, ist es allerdings schwierig. Eine Drucksituation künstlich im Training zu simulieren, hat wenig mit der echten Wettkampfsituation zu tun.
Wie ist die Aufgabenverteilung im Oberhofer Trainerteam?
Marko Danz und Jens Filbrich sind für die Trainingskonzeption zuständig. Sie legen fest, wann die Schießeinheiten sind. Diese leite ich dann, hier und da auch in Rücksprache mit Marko. Er betreibt den Job schon länger und hat viel Erfahrung, vor allem in Sachen Organisation. Dazu gesellte sich ab Sommer Alexander Wolf. An guter Trainerchemie mangelt es zumindest nicht.
Ab dieser Saison tritt das Verbot von Fluor-Wachs zur Präparierung der Ski in Kraft. Welche Auswirkungen wird das auf die Rennen haben?
Es wird alles auf Anfang gesetzt und ist vergleichbar mit dem neuen Aerodynamik-Reglement, das 2022 in der Formel 1 eingeführt wurde. Die Skitechniker und die Wachsfirmen haben sich in den letzten Monaten extrem ins Zeug legen müssen, um der Situation gerecht zu werden. Es ist im Prinzip eine komplette Neuaufstellung, was das Wachs betrifft.
Wird es Wettkämpfe geben, die durch das Material entschieden werden?
Es gab schon immer Nationen, die mit bestimmten Bedingungen besser klarkamen. Ich rechne aber jetzt mit stärkeren Aufs und Abs – und auch mit plötzlichen Leistungseinbrüchen, wenn der Ski extrem abbaut. Die Entwicklung ist momentan ziemlich rasant. In Sjusjöen war es schon frappierend, wie wir es von den Norwegern vor allem in den Abfahrten doppelt und dreifach um die Ohren gekriegt haben. Das Materialthema treibt gerade alle um.
Wenn die Norweger auch noch beim Material die Besten sind: Wie ist deren Dominanz dann überhaupt zu durchbrechen?
Gar nicht. Johannes Thingnes Bö wird wieder vorneweg laufen. Sein Bruder Tarjei und Johannes Dahle haben einen sehr starken Eindruck gemacht. Dazu kommt Sturla Holm Laeägreid, der sehr stabil ist, und wohl wieder eine Überraschung aus dem norwegischen Team. Aber chancenlos sind wir nicht; wir müssen nur die wenigen Chancen, die sich uns bieten, auch nutzen.
Was Erik Lesser als TV-Experte im Biathlon erreichen möchte
Sie gehen in Ihre zweite Saison als TV-Experte. Mit welchen Zielen?
Gemeinsam mit Arnd Peiffer möchte ich den Zuschauern Biathlon noch besser erklären. Mir hat das erste Jahr viel Spaß gemacht. Das Feedback, privat und auch innerhalb der ARD, war durchweg positiv. Ich freue mich auf die nächsten Einsätze. Vor allem auch auf den kleinen Film, in dem Arnd und ich die Hauptprotagonisten waren. Eine Menge Aufwand mit hoffentlich humor- und sinnvollem Ausgang.
Der Saisonhöhepunkt wird die WM im Februar in Nove Mesto sein. Was erwartet die Athleten dort?
Vor allem eine sehr gute Stimmung in einem riesigen Stadion. Vielleicht nicht ganz so ekstatisch wie bei der WM 2013, als Tschechien mit Soukalova, Vitkova, Moravec, Krcmar und Slesingr etliche Top-Athleten am Start hatte. Ich hoffe nur, dass die Witterung mitspielt und die Bedingungen fair sein werden. In den letzten Jahren war Nove Mesto leider mit nicht so viel Naturschnee gesegnet.