Essen. Nach ihrem Aus als Bundestrainerin spricht Martina Voss-Tecklenburg über ihre Erkrankung. Von den Spielerinnen hätte sie mehr erwartet.
Wer Martina Voss-Tecklenburg über viele Jahre begleitet hat und dann wenige Tage vor der Vertragsauflösung mit dem Deutschen Fußball-Bund ihre Stimme hörte, sah sofort zwei Personen vor dem geistigen Auge. Da war die eine Martina Voss-Tecklenburg, die als Mensch und als Sportlerin der Inbegriff der Widerstandsfähigkeit ist: kämpferisch, mutig, zuversichtlich. Und da war dann plötzlich diese Martina Voss-Tecklenburg, die in den letzten Tagen als Bundestrainerin gebrochen wirkte: ganz leise, angeschlagen, verletzt.
Erstes Interview mit Martina Voss-Tecklenburg nach dem WM-Aus
Das Positive ist: Im ersten öffentlichen Interview seit ihrem beruflichen Ende beim DFB entsprach Martina Voss-Tecklenburg nicht mehr der zweiten geschilderten Person. „Gut“ gehe es ihr inzwischen „wieder“, sagte die 55 Jahre alte Duisburgerin dem ZDF, als sie vor allem über die letzten Monate ihrer fünfjährigen Arbeit als Bundestrainerin sprach; jene nach dem historischen Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland im Sommer. Heraus kam emotionaler, nachdenklicher, aber auch selbstkritischer Rückblick auf die WM, ihre Erkrankung, ihre Fehler danach.
Druck auf der Brust, Panikattacken, Schlaflosigkeit, innere Leere, Ängste, Einsamkeit – wie Martina Voss-Tecklenburg die psychischen Probleme als Folge der sportlichen Enttäuschung, inneren Zerrissenheit, Anschuldigungen und Irritationen durch ihre öffentlichen Auftritte nach der Gesundschreibung schilderte, klang alarmierend. „Mir ging es nicht gut. Mir ging es vor der WM schon nicht gut.“ Nach einem Gespräch mit ihrem Mann Hermann Tecklenburg „bin ich komplett zusammengebrochen“, sie habe sich gefühlt, „als hätte man mir den Stecker gezogen“.
Voss-Tecklenburg sorgte für Vorträgen für Irritationen
Anfang September war dies. Die WM war für die deutschen Fußballerinnen, als Vize-Europameisterinnen immerhin als Mitfavoritinnen gestartet, sportlich vorbei, aber noch immer in den Köpfen. Unmittelbar nach dem historisch frühen Aus des Weltmeisters von 2003 und 2007 hatte die bis 2025 vertraglich gebundene Voss-Tecklenburg erklärt, den Karren aus dem Dreck ziehen und weitermachen zu wollen. Zu einer Aufarbeitung kam es nur noch bedingt.
Nach einem ersten Gespräch in Frankfurt habe sie sich hinterfragt, ob sie die Richtige sei, ob man „eine Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit hat“. Voss-Tecklenburg beantwortete diese Frage für sich mit einem Ja, konnte aber nicht gegen die Zweifel ankämpfen, ob sie das könne und schaffe. „Der Kopf ist leer, ich bin nur am Weinen. (…) Ich war nicht in der Lage, eine WM-Analyse zu machen – ich war krank“, so Voss-Tecklenburg. Mit den Spielerinnen zu sprechen, „sachlich, konstruktiv und positiv – was es gebraucht hätte – nach vorne zu schauen mit einem klaren Plan und einer klaren Idee, Vertrauen wieder aufzubauen, das hätte ich nicht leisten können.“
Anfang September zog sie sich raus, um die Gefahr von depressiven Schüben zu minimieren: „Ich wusste nicht, wie lange dieser Prozess geht. Ich habe gemerkt, ich muss jetzt nur für mich da sein.“ Als sie sich einen Monat später wieder gesund meldete, der DFB ihr einen Erholungsurlaub genehmigte und gleichzeitig Horst Hrubesch als Interimslösung präsentierte, überraschte Martina Voss-Tecklenburg – nicht ihren Arbeitgeber, aber wohl doch einige ihrer Spielerinnen – mit Vorträgen, zum Beispiel beim bayrischen Zahnärztetag. „Im Nachhinein kann man sagen: Wie dumm, Fehler!“ Zumal die Kommunikation schlimm lief.
Keine Rückendeckung für Voss-Tecklenburg beim Team um Kapitänin Popp
Aus dem Team rund um Kapitänin Alexandra Popp schrie danach niemand nach einer Rückkehr der Trainerin. Lena Oberdorf äußerte beim ersten Zusammenkommen der Nationalspielerinnen ihre Enttäuschung, sie fühlte sich von der Bundestrainerin im Stich gelassen. „Aus ihrer Perspektive kann ich das verstehen“, so MartinaVoss-Tecklenburg, „ich erwarte dann aber auch, dass man nicht vorschnell urteilt, bevor man alle Perspektiven kennt. Trotzdem liegt die Verantwortung bei mir, die schiebe ich nicht weg.“
Die letzten Spiele ihres ehemaligen Teams, das sich noch für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris qualifizieren will, hat sich Martina Voss-Tecklenburg im Fernseher angeschaut. Mittlerweile habe sie sich auch mit mehreren Spielerinnen und Mitgliedern des Trainerteams ausgetauscht, einer schriftlichen Verabschiedung vom Team soll noch eine persönliche folgen – dazu sei aber nun noch alles zu emotional. Sie habe in den letzten fünf Jahren „viel gepowert“, all ihre Leidenschaft eingebracht – und natürlich auch Fehler gemacht. „Dafür“, sagte Martina Voss-Tecklenburg, „habe ich ein Stück weit mit meiner Gesundheit und medial den Preis zahlen müssen.“