Paris. Paris ist 2024 Gastgeber der Sommerspiele und will vor allem eines: Olympia besser machen als es zuletzt der Fall war. Gelingt das?

Der Place de la Concorde konnte einem schon immer leicht den Kopf verdrehen. Man konnte ihn dort sogar leicht verlieren, wie es vor einigen Jahrhunderten im wahrsten Sinne des Wortes das Königspaar Louis XVI und Marie-Antoinette durch die Guillotine erfahren musste. So weit kommt es an diesem heißen Septembertag natürlich nicht. Doch mit Blickrichtung zur Seine weiß man gar nicht, wohin der Blick zuerst schweifen, was man zuerst bestaunen soll. Links den Louvre oder rechts den Eiffelturm? Vor sich den Invalidendom oder dahinter die Église de la Madeleine? Schwierig zu entscheiden. Obendrein eröffnet sich die derzeit größte Attraktion gerade auf dem größten Platz der Stadt mit dem Obelisken.

Die Fanzone der Rugby-WM auf dem Place de la Concorde in Paris.
Die Fanzone der Rugby-WM auf dem Place de la Concorde in Paris. © AFP

Wo sonst Menschen flanieren, Autos von einer Seine-Seite auf die andere fahren, ist dieser Tage alles très bleu, na klar: ganz blau. Es ist die Farbe des Village Rugby, einer immensen Fanzone mitten in Paris, denn zum ersten Mal richtet Frankreich gerade allein die Weltmeisterschaft in diesem Nationalsport aus. Es gibt große Leinwände für Public Viewing, ein Miniaturfeld, auf dem man dem eiförmigen Ball hinterher wetzen kann, Talkshows, Musik vom DJ und Workshops. Die Besucher des Rugbydorfs, mögen sie aus Paris, dem sonstigen Frankreich oder vor allem von der Britischen Insel kommen, leben vor allem eines aus: ihre Liebe zum Sport.

Historie trifft Moderne

Im nächsten Sommer wird die Sportwelt wieder am Place de la Concorde zusammenkommen. Paris trägt ab dem 26. Juli die XXXIII. Olympischen Sommerspiele aus, bis zu 30.000 Zuschauer sollen in einem temporären Stadion rund um den Obelisken Goldmedaillengewinnern in urbanen Sportarten wie BMX, Skateboarden und Drei-gegen-Drei-Basketball zujubeln. Die perfekte Symbiose, Historie trifft Moderne, denn Frankreichs Hauptstadt schreibt sich ja vor allem eines auf die Tricolore: Paris will Olympia besser machen. Nachhaltigkeit und Augenmaß statt Verschwendung und Gigantismus. Laut IOC-Präsident Thomas Bach sollen die Spiele „nicht wie ein Raumschiff landen und dann wieder weg sein, sondern ein Teil der gesamten Gesellschaft werden“.

Was das genau bedeutet, lässt sich an der Pont de Grenelle zwischen 16. und 15. Arrondissement unweit des Eiffelturms erfahren. Rund um die Brücke befindet sich einer von drei Bereichen, in denen Bürgermeisterin Anne Hidalgo die Einwohner und Besucher ein Jahr nach den Spielen wieder in einer sauberen Seine schwimmen sehen möchte. Dort, wo die einst von Autos befahrene Uferstraße zur Fußgängerpromenade geworden ist, sitzen Marcel und Catherine auf einer Decke, picknicken ein wenig beim sich anbahnenden Sonnenuntergang. „Wenn das das Vermächtnis der Spiele ist“, sagt der 22 Jahre alte Student Marcel, der eigentlich aus Lyon stammt, anerkennend. Das Baden ist seit 1923 offiziell verboten, „und natürlich war es nicht Hidalgos Idee“, die Seine zu renaturieren, sagt die gleichaltrige Catherine, „aber wenn es doch durch Olympia jetzt schneller geht, ist das doch nichts Schlechtes.“

Stade Jean-Bouin wird Deutsches Haus

Wenn man so möchte, lebt Paris das vor, was Deutschland in nächster Zeit beschäftigen soll: Eine mögliche Bewerbung um Spiele in naher Zukunft steht im Raum, Vor- und Nachteile werden gerade in öffentlichen Runden diskutiert. Mit der Stadt der Liebe als Stadt der Antriebe: Nichts geht mehr ohne Nachhaltigkeit, weshalb für 2024 auf den Neubau von Sportstätten weitgehend verzichtet wird und im kommenden Sommer am Eiffelturm Beachvolleyball ausgetragen, am Schloss Versailles geritten und im Stadion Roland Garros Tennis gespielt werden soll. Dort, ganz in der Nähe des Bois de Boulogne und des Prinzenparks, werden sich die Besucher aus Deutschland einfinden, um die besondere Atmosphäre Olympischer Spiele zu erfahren.

Das Rugby-Stadion Stade Jean-Bouin wird zum Deutschen Haus.
Das Rugby-Stadion Stade Jean-Bouin wird zum Deutschen Haus. © AFP

Das Stade Jean-Bouin, von außen eine Kopie des Pekinger Vogelnestes in Klein, wird während der Olympischen und Paralympischen Spiele nächstes Jahr aber als Deutsches Haus groß herauskommen. Das ganze Stadion, Heimspielstätte des Rugby-Teams Stade Francais Paris, ist vom Deutschen Olympischen Sportbund gebucht und soll nicht nur Treffpunkt für Vertreter aus Sport, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Medien sein. Medaillen für das Team Deutschland, das 2021 in Tokio zehnmal Gold, elfmal Silber und 16-mal Bronze gewann, sollen hier gefeiert werden; auf dem Rasen wird eine Fanzone wie gerade am Place de la Concorde errichtet, um auch an den Tagen olympisches Flair zu erleben, wenn man mal keine Karte für die Medaillenentscheidungen bekommen hat. Stand jetzt haben schon mehr als 25.000 Menschen in Deutschland Karten für Paris 2024 geordert.

Angst vor dem Verkehrschaos

Die Baustelle des Olympischen Wassersportzentrums in Saint-Denis.
Die Baustelle des Olympischen Wassersportzentrums in Saint-Denis. © dpa

Während der Spiele sollen die Athleten nur 30 Autominuten benötigen für die Strecke vom Deutschen Haus zum Athletendorf in Saint-Denis. Wer mit Bus und Metro den Weg zurücklegt, braucht dreimal so viel Zeit sowie im Hochsommer äußerst belastbare Nerven und Nasen. 2,7 Millionen Touristen erwartet Paris 2024 zusätzlich zu den 85.000 Sportlern, Trainern, Betreuern und Offiziellen. Das schreit nach einem Verkehrschaos; besonders herausfordernd dürfte die Eröffnungsfeier werden, die erstmals nicht in einem Stadion, sondern auf mehr als 100 Booten auf der Seine zelebriert wird. Mit 600.000 Zuschauern wird gerechnet, Laurent Probst, Generaldirektor der Verkehrsbetriebe Ile-de-France Mobilités, warnt: „Wir können nur bis zu 500.000 Personen managen.“

In Saint-Denis, einem der Banlieues im Norden der Stadt, angekommen, wird klarer, warum laut aktuellster Umfrage nur noch 58 und nicht mehr wie zuvor 76 Prozent der Pariser hinter den Sommerspielen stehen. Gegenüber dem Stade de France ist als eine der wenigen Ausnahmen für 174 Millionen Euro das Olympic Aquatic Center entstanden für die Schwimmwettbewerbe. Kein Tag vergeht hier ohne Proteste. Noch heftiger ist es östlich im Vorort Aubervilliers, einem Ort der Ausweglosigkeit mit der Hälfte der Einwohner an der Armutsgrenze. Dort fielen einer Trainings-Schwimmhalle Teile der mehr als hundert Jahre alten „Gärten der Tugenden“ zum Opfer. Neulich brannten Busse vor der Halle, Umweltschützer stoppten nun mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht den Bau eines angeschlossenen Solariums. „Wenn es im Sommer heiß ist, ersticken wir hier“, sagt Dolorès Mitajovic, deren Garten von Planierraupen beseitigt wurde. „Wir brauchen also unbetonierten Raum. Wir brauchen nicht mehr Beton, der mehr Wärme erzeugt, der mehr unatembare Luft erzeugt.“

Zuspruch in der Bevölkerung verloren

Paris hat noch gut zehn Monate bis zur Eröffnung der Spiele. Razzien der Antikorruptionseinheit der Pariser Polizei beim Organisationskomitee, illegal Beschäftigte auf Olympia-Baustellen und immer teurere Spiele (das benötigte Budget stieg um ein Drittel auf 4,4 Milliarden Euro) haben Zuspruch in der Bevölkerung gekostet. Um die Deckungslücke zu schließen, hat Tony Estanguet, Kanuslalom-Olympiasieger und Chef des Organisationskomitees, immerhin neulich einen Vertrag mit den Luxus-Labels Louis Vuitton, Dior, Moët-Hennessy und Chaumet schließen können.

Noch ist es in Paris also lange nicht so weit, dass man seinen Kopf verlieren könnte.