Essen. Gordon Herbert hat die deutschen Basketballer zum Weltmeister-Titel geführt. Der Kanadier hatte immer klare Ziele und Spielideen.
Er sah wirklich aus, als könne er etwas Erholung und Ruhe gebrauchen. Gordon Herbert war zusammengesackt an einer Wand neben dem Spielfeld. Seine Spieler gaben Interviews und feierten den großen Triumph. Basketball-Weltmeister! Der Bundestrainer aber saß abseits, hatte die Augen geschlossen. Er atmete ein paarmal kräftig durch und wirkte in diesem Augenblick, nur wenige Minuten nach dem 83:77-Finalsieg gegen Serbien, völlig ausgelaugt. Die Medaillenzeremonie stand bevor, doch man konnte erahnen, dass gerade eine riesige Last von Herberts Schultern gefallen war und er sich jetzt schon auf ganz andere Dinge freute: Lachse angeln zum Beispiel.
Deutschland ist Basketball-Weltmeister. So überraschend wie verdient. Im Hotel im Final-Ort Manila auf den Philippinen wurde bis in die frühen Montagmorgenstunden gefeiert, Herbert hielt bis 4 Uhr durch, schlief vier Stunden und sichtete dann Glückwunschnachrichten.
Am Dienstag werden Herbert und sein Team in Frankfurt am Main feierlich empfangen, danach geht es in den Urlaub nach dieser schlauchenden Sechs-Wochen-Reise von Bonn über Abu Dhabi und Okinawa bis zum Endziel Manila. Herbert wollte sich noch nicht festlegen, wohin es ihn in den kommenden Wochen verschlagen wird. Nach Hagen, wo er nahe der Zentrale des Deutschen Basketball-Bunds wohnt? Wo er regelmäßig seine Bahnen im Westfalenbad zieht, um den schmerzenden Rücken zu trainieren und wo er anschließend eine Runde Nordic Walking im Wald folgen lässt.
Oder zieht es ihn nach Finnland, wo er ein Haus besitzt und häufig mit Motorsäge und Axt im Wald zu finden ist? Wahrscheinlich aber geht es nach Kanada in die Nähe von Vancouver. Dort lebt seine 92-jährige Mutter, dort spielte er als Kind Eishockey auf zugefrorenen Seen und dort geht er auch jetzt noch gerne Lachse angeln. Herbert ist kein Stadtmensch, das sagt er selbst. „Ich bin gerne in der Wildnis.“
Nur seine Zeit bei Alba Berlin gilt als Fehlwurf
Wild – so könnte man auch Gordons Werdegang beschreiben. Der studierte Sportpsychologe hat als Basketballspieler und -trainer fast die ganze Welt gesehen. Er war Nationalcoach in seiner Heimat Kanada, lernte seine Frau Sari während seiner Spielerzeit in Finnland kennen. Er trainierte Teams in Georgien, Griechenland, Frankreich, Österreich und in Russland. In Deutschland wurde er 2004 Meister mit den Frankfurt Skyliners, lediglich seine Zeit bei Alba Berlin mit dem frühen Viertelfinal-Aus in der Bundesliga (2012) gilt als Fehlwurf.
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Wild mag er es auf dem Basketballfeld allerdings nicht. Als der 64-Jährige im Oktober 2021 als Bundestrainer anheuerte, hatte er einen „Dreijahresplan“ ausgerufen: Drei Jahre konzentrierte Arbeit mit einer festen Gruppe von Spielern. Drei Jahre, um den größtmöglichen Erfolg einzufahren. Knapp zwei sind nun vergangen, in denen Deutschland EM-Bronze und WM-Gold holte und sich für Olympia 2024 qualifizierte. Der Plan ist schon jetzt erfüllt.
Olympia-Medaille als nächstes Ziel
Und nun? Herbert wird in Ruhe weiterarbeiten. Während der WM-Vorbereitung verlängerte er seinen Vertrag vorzeitig bis zur EM 2025. Sein Team kommt erst kommenden Februar für die ersten EM-Qualifikationsspiele wieder zusammen, dann allerdings ohne die NBA-Stars um Dennis Schröder und die Wagner-Brüder Franz und Moritz. Erst in Paris, bei den Sommerspielen Ende Juli, wird Herbert seine Weltmeister wieder vereinen. Das Ziel? „Sicher eine Medaille, wie immer, wenn wir irgendwo antreten. Aber welche genau – darüber mache ich mir in ein paar Monaten Gedanken“, sagte Herbert. Wohlwissend, dass die US-Amerikaner wohl auf die WM-Schmach mit Platz vier reagieren und ein weiteres „Redeem-Team“ schicken könnten, wie es schon bei Olympia 2008 der Fall war. Eine Superstar-Auswahl als Wiedergutmacher, die nur Gold als Ziel kennt. Auch Finalgegner Serbien könnte dann wieder mit Superstar Nikola Jokic auflaufen.
Doch klare Ziele und Spielideen hatte auch der engagierte Analytiker Herbert von Anfang an. „Es werden nicht die besten zwölf Spieler das Team bilden. Es ist wie ein Puzzle: Die ersten sieben großen Stücke sind einfach zusammenzusetzen, danach wird es kniffliger, auch die kleinen Teile müssen passen“, sagte er einst im Interview mit dieser Zeitung. So setzte Herbert die Teile seitdem zusammen, hier Anführer Dennis Schröder, dort den beinharten Verteidiger Isaac Bonga. Passt! Wie alles bei dieser WM. Acht Spiele, acht Siege – Gordon Herbert kann nun zufrieden Urlaub machen. Nun müssen nur noch die Lachse anbeißen.