Wolfsburg. Der DFB arbeitet das Debakel gegen Japan schon heute auf. Bundestrainer Hansi Flick droht neun Monate vor der Heim-EM der Jobverlust.

Rudi Völler standen die Schweißtropfen auf der Stirn, als er am späten Samstagabend vor die Mikrofone und Kameras trat. Sein schwarzes Hemd hätte er auswringen können, so nass war er. „Wir stehen alle unter Schock“, sagte der Sportdirektor der Nationalmannschaft, der genau 20 Jahre nach seiner Wutrede auf Island tatsächlich den tiefsten Tiefpunkt der jüngeren DFB-Geschichte mit ansehen musste. „Das war eine Blamage“, sagte Völler.

DFB-Führung trifft sich am Sonntag zur Krisensitzung

Dabei hatte der 63-Jährige nach den jüngsten drei Länderspielen im Juni gegen die Ukraine (3:3), Polen (0:1) und Kolumbien (0:2) noch versucht, den Bundestrainer in Schutz zu nehmen und stattdessen die Schuld bei den Spielern gesucht. Leon Goretzka, Timo Werner, David Raum und Matthias Ginter bekamen mit der Nichtnominierung klar zu verstehen, dass sie sich steigern müssen, wenn sie bei der EM noch dabei sein wollen. Nach dem erschreckenden Auftritt in Wolfsburg am Samstagabend rückt nun Hansi Flick weiter in den Fokus. Während die Spieler unter Flicks Regie am Sonntagmorgen bei einem öffentlichen Training im AOK-Stadion, der Arena der Wolfsburger Frauen, schwitzen, vernetzen sich die Verbandsfunktionäre zu einer Krisensitzung.

Hansi Flick verlässt das Podium nach der Pressekonferenz gegen Japan. Es könnte seine letzte als Bundestrainer gewesen sein.
Hansi Flick verlässt das Podium nach der Pressekonferenz gegen Japan. Es könnte seine letzte als Bundestrainer gewesen sein. © firo

Denn erschreckend war es zu beobachten, wie die aktuell vermeintliche Topelf mit Ausnahme der verletzten Niclas Füllkrug und Jamal Musiala gegen den WM-Achtelfinalisten Japan mit dem Brennglas vor Augen geführt wurde, dass Deutschland von einer Topnation derzeit weit entfernt ist. Rückkehrer Thomas Müller fasste diesen Fakt mit schonungslosen Worten zusammen. „Japan gehört sicherlich zu den Top 15 in der Welt. Wir gehören da aktuell nicht rein. Auch wenn wir uns das vom deutschen Selbstverständnis her wünschen würden“, sagte Müller. Dabei steht Deutschland in der Fifa-Weltrangliste aktuell auf Platz 15, Japan auf Rang 20. „In der Praxis sieht es anders aus“, so Müller.

Der Münchener hatte gemeinsam mit Flick vor drei Jahren noch eindrucksvoll die Champions League gewonnen. Mit Joshua Kimmich, Serge Gnabry, Niklas Süle und eben Müller standen am Samstagabend vier Spieler auf dem Platz, mit denen Flick 2020 seinen größten Triumph als Cheftrainer gefeiert hatte. Doch seine Zeit als Bundestrainer, das wurde gegen Japan mehr als deutlich, ist abgelaufen. Seit dem Neustart gegen Peru im März ist die Nationalmannschaft in allen sechs Länderspielen des Jahres Stück für Stück schlechter geworden. Irgendetwas scheint im Team nicht zu stimmen.

+++ Kommentar: Flick ist überfordert: DFB muss jetzt den Nachfolger suchen +++

Flick hatte die Zeit der Experimente für beendet erklärt, mit Nico Schlotterbeck als Linksverteidiger aber einen Versuch gewagt, der krachend scheiterte. Seine Maßnahme, Kimmich einerseits als Kapitän zu entmachten und ihn andererseits als einrückenden Rechtsverteidiger spielen zu lassen, schien den Münchner mehr verunsichert denn die Mannschaft gestärkt zu haben.

„Wir haben eine schwierige Phase. Aber dass es so schwierig ist, hätte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen können“, sagte der schweißgebadete Völler, der ein Bekenntnis zu Flick unmittelbar nach dem Spiel vermied. „Hansi Flick tut mir ein bisschen leid. Er hat versucht mit taktischen Kniffen das etwas besser hinzubekommen. Das Bemühen war da. Aber wir dürfen uns nicht so ergeben, das geht nicht.“ Direkt nach dem Spiel suchte Völler in der Kabine den Dialog mit Flick. „Er ist natürlich auch tief getroffen wie alle in der Kabine. Wir werden darüber reden, warum das passiert ist.“ Zunächst einmal bat Völler aber um eine Nacht Schlaf. „Wir spielen in drei Tagen gegen die beste Mannschaft in Europa. Das wird schwer. Aber wir dürfen uns jetzt nicht in die Hose machen. Wir sind immer noch Deutschland“, so Völler.

Hansi Flick bemängelt Ausbildung beim DFB

Flick selbst hatte die Frage nach seiner Zukunft unmittelbar nach dem Spiel bei RTL mit einem klaren Ja beantwortet. „Wir machen es als Trainerteam gut und ich bin auch der richtige Trainer“, sagte Flick, ehe er bei der Pressekonferenz die Diskussionen auf die Mängel in der Ausbildung im deutschen Fußball lenkte. „Wir brauchen wieder Dribbler, wir brauchen mehr Sanés, Musialas und Spieler wie Wirtz“, sagte Flick und gab dabei auch DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke einen Seitenhieb, der das neue Nachwuchskonzept des DFB für den Kinderfußball unter der Woche als „unfassbar“ bezeichnete und eine Reform der Reform einforderte.

Jener Watzke muss nun gemeinsam mit Völler und DFB-Präsident Bernd Neuendorf entscheiden, wie es mit Flick weitergeht. Die Frage scheint aber nicht mehr zu sein, ob es zu einer Entlassung des Bundestrainers kommt, sondern eher wann der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist. Dass sich Völler selbst für ein Spiel nochmal an die Seitenlinie stellt, ist kaum vorstellbar, auch wenn der tiefste Tiefpunkt bereits erreicht ist. Es wäre allerdings fahrlässig, wenn sich die DFB-Spitze nicht schon mit potenziellen Nachfolgern beschäftigen würde.

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Wenig Hoffnung für Bundestrainer Hansi Flick

Was Flick jetzt noch Hoffnung macht? Vielleicht die Geschichte. Vor dem letzten großen Turnier in Deutschland 2006 kassierte der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann auch mal eine empfindliche 1:4-Niederlage in Italien. Die „Bild“-Zeitung versuchte anschließend Lothar Matthäus in Position zu bringen. Klinsmann aber blieb Bundestrainer, Matthäus wurde TV-Experte und Deutschland erlebte das Sommermärchen. Was Flick jetzt braucht, ist aber kein Märchen, sondern eher ein Wunder, wenn er die EM 2024 im eigenen Land noch als DFB-Trainer erleben will.