Wolfsburg. Marc-André ter Stegen wird am Samstag gegen Japan spielen. Doch was geschieht, wenn Neuer zurückkehrt? Und es gibt weitere Fragen.
Beobachtet man das Torwarttraining der deutschen Nationalmannschaft in Wolfsburg, liefert eine Übung gleich zwei Erkenntnisse. Die Männer mit den großen, weißen Handschuhen sollen sich erst ins Eins-gegen-Eins stürzen. Dabei müssen sie das eine Knie auf den Boden setzen, um den Winkel zu verkleinern und es dem Schützen so möglichst kompliziert zu machen. Anschließend huschen sie in eine Ecke des Tores, um einen Schuss vom Flügel und, im Notfall, einen zweiten abzuwehren.
Marc-André ter Stegen wirft sich noch ein wenig geschmeidiger in die Bälle, seine Reflexe sind schneller als jene von Kevin Trapp und Oliver Baumann. Er kratzt da Schüsse von der Linie, die man doch eigentlich schon im Netz einschlagen sah. Das unterscheidet dann wohl Torhüter von Weltklasse zu anderen. „Sensationell!“, ruft Torwarttrainer Andreas Kronenberg, als ter Stegen einen Schuss pariert. Dann: „Respekt!“
Darüber hinaus lässt sich studieren, was ter Stegen, die Nummer eins des spanischen Meisters FC Barcelona, für ein Typ ist. Die Hände hat er in seinen Schaffenspausen während der Übungen hinter dem Rücken versteckt, er hält sich eher im Hintergrund auf, vermutlich auch deshalb, weil die Bäume auf dem Trainingsplatz des VfL Wolfsburg hier noch einen Hauch Schatten spendieren.
Marc-André ter Stegen gibt ein klares Statement ab
Ter Stegen ist kein Lautsprecher, aber sein Status ist ihm bewusst. „Ja, ich bin die Nummer eins im Moment“, stellte der 31-Jährige am Mittwochmittag klar. „Ich glaube, dass ich lange auf diesen Moment gewartet habe und, dass ich das nutzen kann. Am Ende zählt die Leistung, der man sich unterordnen muss. Ich werde alles tun, damit ich diesen Status behalte und ich denke, dann gibt es relativ wenige weitere Fragen dazu.“ Das war ein Statement.
Am Samstag, wenn mit dem Länderspiel gegen Japan (20.45 Uhr/RTL) die EM-Saison beginnt, steht er im Tor. Aber auch darüber hinaus? Bundestrainer Hansi Flick, 58, hält sich bedeckt. An der Säbener Straße schuftet ja Manuel Neuer nach seinem Skiunfall am Comeback. Das Selbstverständnis des Kapitäns der DFB-Elf und von Bayern München ist, als Nummer eins ins deutsche Tor zurückzukehren. Ter Stegen hin oder her. „Das sind Themen, die ich nicht beeinflussen kann, für die ich auch relativ wenig Energie verschwende“, meint Barcelonas Stammtorwart, „einer der drei besten der Welt“, wie dessen Klubtrainer Xavi Hernandez jüngst zu Protokoll gab.
Flick habe zwar „keine Verpflichtung zu irgendwas. Ich konzentriere mich darauf, was ich tun kann“, sagte ter Stegen diplomatisch, doch Flick wird sich bald festlegen, um eine ermüdende Diskussion bis zum Turnierstart zu vermeiden.
Es wäre ja nicht die Einzige, die droht. Rund neun Monate vor dem EM-Auftakt sind einige Planstellen unbesetzt, eine Achse sucht man vergeblich.
Schon im Juni schlug deshalb Leon Goretzka, diesmal von Flick nicht berücksichtigt, Alarm. „Du musst als Fan, finde ich, einfach wissen: Das ist meine Mannschaft“, befand der 28 Jahre alte Bayern-Profi. „Das ist der linke Flügelspieler, der marschiert hoch und runter und schlägt die Flanken. Das ist der Stürmer, der bei uns Tore macht. Wir sind noch auf der Suche nach der besten Mannschaft und der besten Formation. In diesem Prozess befinden wir uns aktuell, das muss man ganz ehrlich sagen.“
DFB: Im defensiven Mittelfeld steht der Kern - aber davor?
In der Innenverteidigung ist einzig Abwehrchef Antonio Rüdiger, 30, von Real Madrid gesetzt. Auf den defensiven Außenbahnen, den womöglich wichtigsten Positionen im modernen Fußball, wird seit dem Abtritt von Philipp Lahm nach der Weltmeisterschaft 2014 verzweifelt neues Personal ausprobiert. Es liegt auch daran, dass Spieler wie Robin Gosens, 29, bestens geeignet sind für die Anforderungen einer Fünferkette, im von Flick favorisierten System mit vier Abwehrspielern jedoch Schwächen bei der Defensivarbeit offenbaren. Ungünstig.
Vor der Abwehr erhielt Borussia Dortmunds Kapitän Emre Can, 29, jüngst eine Einsatzgarantie. Auch Joshua Kimmich, 28, der designierte Anführer der DFB-Elf, der zurzeit mehr mit sich selbst zu kämpfen hat, ist gesetzt – immerhin im defensiven Mittelfeld steht der Kern für das Turnier im kommenden Sommer. Aber davor?
Vertraut Flick nun Ilkay Gündogan, der nach dem Champions-League-Sieg mit Manchester City zum FC Barcelona gewechselt ist? Aus verschiedenen Gründen konnte der 32-Jährige im Trikot der Nationalelf noch nicht so recht überzeugen. Und wo soll da noch Platz für die hochbegabten Jamal Musiala und Florian Wirtz sein, beide 20, die mit ihren Fähigkeiten ein Land begeistern könnten? Ach ja, Thomas Müller, 33, gibt es nun auch wieder. Hm.
Niclas Füllkug bekam im Sturm zuletzt kaum Einsatzzeit beim DFB
Dann wäre da noch der Sturm. Niclas Füllkrug, 30, ist der Publikumsliebling, bekam im Juni aber kaum Einsatzzeit in der deutschen Mannschaft. Als er für Werder Bremen Tore schoss, war er Stammspieler. Nach seinem Wechsel zu Borussia Dortmund rangelt er sich mit Sebastien Haller, 29, um einen Platz – das Risiko, auch mal länger auf der Bank zu sitzen, besteht. Nicht förderlich, wenn man sich für die EM empfehlen möchte. Die Alternative? Kai Havertz vom FC Arsenal, eher ein mitspielender Angreifer, der sich in Reihe der Edeltechniker einreiht. Dem 24-Jährigen fehlt im Gegensatz zu Füllkrug allerdings die Effektivität im Strafraum. Schwierig.
Am Samstag gegen Japan muss Hansi Flick erste Antworten parat haben. Im Tor gibt es schon eine, die womöglich nur vorläufig Gültigkeit besitzt.