Essen. Die Bundesliga ließ große Klubs wie BVB und Schalke weiter wachsen - andere litten. Ein Gespräch mit dem Historiker Dietrich Schulze-Marmeling

Vor 60 Jahren startete die Bundesliga und sie sollte die Sportart Fußball auch im Ruhrgebiet verändern. Ein Gespräch mit dem Fußballhistoriker Dietrich Schulze-Marmeling, 66, über die Folgen und die Zukunft des rollenden Balls in einer Gegend, in der die Schlote nicht mehr rauchen.

Herr Schulze-Marmeling, die Gründung der Bundesliga rief im Ruhrgebiet auch Kritik hervor. Warum?

Dietrich Schulze-Marmeling: Weil ihr ein Konstruktionsfehler zugrunde liegt. Die erste Liga hatte 16 Vereine, darunter gab es dann fünf Regionalligen, in denen die Klubs nicht mehr mithalten konnten. Die Zuschauereinnahmen, die damals noch eine große Rolle spielten, waren zu gering, die Kluft zum Oberhaus riesig. Die Vereinslandschaft wurde auseinandergerissen. Vorortvereine, im Revier stark mit dem Bergbau verbunden, litten unter dieser Entwicklung. Man ging nicht mehr nach Katernberg, sondern nach Dortmund, Schalke, Duisburg. Die nationale Liga bewirkte einen Konzentrationsprozess, in dem die städtischen Repräsentationsvereine gestärkt wurden. Und generell hatte man in Deutschland mit einer Professionalisierung ideologische Schwierigkeiten.

Wieso tat sich das Land schwer?

Dies ist aus der Weimarer Republik rüber geschwappt. In Deutschland galt es lange Zeit als verpönt, dass man für Sport Geld nimmt. Im Deutschen Fußball-Bund gab es in den 1920er-Jahren sogar Stimmen, die den Fußball als Zuschauersport kritisierten, die Leute sollten selbst spielen. Man war weit hinter dem Mond und mit der Bundesligaeinführung spät dran. Die vollständige Legalisierung des Profifußballs erfolgte erst in Folge des Bundesligaskandals 1971.

Verfrühter Meister-Tanz: Andy Möller umarmt Rudi Assauer 2001, doch der Schalker Traum platzt Minuten später noch.
Verfrühter Meister-Tanz: Andy Möller umarmt Rudi Assauer 2001, doch der Schalker Traum platzt Minuten später noch. © Getty Images

Die Großen setzten sich so schnell ab.

Sie waren natürlich vorher schon groß. Dortmund hatte schon drei Meisterschaften gewonnen, Schalke sieben. Dortmund hatte immer mehr Zuschauer als Erkenschwick, doch der Vorsprung baute sich dann massiv aus.

Beim Blick auf die erste Saison müsste Duisburgern warm ums Herz werden. Der Meidericher SV landete auf Platz zwei. Davon ist man heute weit entfernt.

Duisburg, vor allem aber Essen, haben aus ihrem Potenzial zu wenig ausgeschöpft. Gerade Rot-Weiss Essen müsste eigentlich über dem VfL Bochum stehen. Das ist damit zu erklären, dass die Unterstützung von Georg Melches und des Bergbaus wegfiel, und es gab Managementfehler. Und in den 1990ern wurden der BVB und Schalke so groß, dass sie die anderen Klubs an den Rand drängten.

Ist das Ruhrgebiet ein Verlierer der Bundesligagründung?

Es fällt auf, dass es 32 Jahre brauchte bis zur ersten Meisterschaft im Revier. Dortmund holte den Titel. Das liegt aber vor allem daran, dass die Industrie im Ruhrgebiet insgesamt zunehmend an Bedeutung verlor. Auch in Sachen Management hinkte man den Bayern, den Kölnern und den Gladbachern hinterher. In den 1950er- und 1960er-Jahren machte die Stärke des Ruhrgebietsfußballs das industrielle Rückgrat aus, heute prägt die Autoindus­trie Deutschland. Und Volkswagen unterstützt etwa den VfL Wolfsburg und Bayern München.

Borussia Dortmund ist trotzdem die zweite Macht in Deutschland.

Dortmund hat als Stadt den Transformationsprozess geschafft, der Klub hatte wie als Symbol irgendwann die Versicherungsgesellschaft Continentale als Sponsor. Gerd Niebaum und Reinhard Rauball, beide Anwälte, standen für das neue Dortmund. Der Klub wurde modernisiert und profitierte seit 1974 vom neuen Stadion. Auf dieser Grundlage konnte der BVB auch nach der Fast-Insolvenz mächtig werden.

Zwischendurch schaute in der Bundesliga sogar mal Wattenscheid vorbei. Kann das wieder passieren?

Dieser Aufstieg könnte sich heute nicht mehr wiederholen. Klaus Steilmann, der damalige Mäzen, wäre zu klein, um einen Verein nach oben zu bringen. Heute braucht es einen Konzern oder einen Zusammenschluss einer wirtschaftlich starken Region wie in Heidenheim.

60 Jahre BL.png
© Montage: Kuzoluk

Gibt es irgendwann eine Art Red Bull Wattenscheid oder so ähnlich?

Man kann es nicht ausschließen, aber ich glaube nicht. Generell wollen Investoren lieber bei denen investieren, die schon groß sind und über Potenzial verfügen. Hinzu kommt: Der Raum ist zu eng, um auch noch Wattenscheid auf die oberste Etage zu hieven.

Was passiert in der Zukunft?

Schalke wird sicherlich wieder nach oben kommen, Rot-Weiss Essen könnte wichtiger werden. Es wird sich auf Dortmund, Bochum, Schalke, Essen und vielleicht noch Duisburg konzentrieren. Vielleicht gibt es für einen gewissen Zeitraum sogar wieder vier Bundesligisten.

Der Fußball und das Ruhrgebiet – woher kommt die Liebesbeziehung?

Er ist die Kontinuität, alles andere ist zusammengebrochen. Wenn man ins Revier zieht, wird man vom Fußball mitgerissen. Automatisch. Die Faszination wird weitergegeben. Die Söhne der Bergleute sind Fußballfans geblieben, auch wenn sie nicht mehr unter Tage kloppen.

Wird die Kapitalisierung hier kritischer gesehen?

Ich weiß nicht, ob das wirklich so ist. Es gibt sicherlich einen Fußballer, der im Ruhrgebiet besonders verehrt wird: der Kämpfer, der sich verausgabt. Aber diese Fußballer sind auch woanders beliebt. Und solange es sportlichen Erfolg bringt, werden die meisten Entwicklungen von vielen akzeptiert.

Könnte der Fußball irgendwann an Bedeutung verlieren?

Möglicherweise spielen weniger Kinder Fußball, aber als Konsumentensport wird er bleiben. Er macht eher alle anderen Sportarten platt. Ich erzähle da mal eine Geschichte.

Gerne.

Ich kenne einen Professor an der Uni, der hat eine Kollegin, die aus dem Süden der Republik sich in Münster beworben hat, um Borussia Dortmund näher zu sein. Diese Begeisterung wird bleiben.