Essen. Schalke, Bochum, BVB, Bayern: Das Bundesligafinale knistert. Bei allem Druck ist der Kopf entscheidend. Ein Sportpsychologe erklärt.

Es gibt da diese These von Pal Dardai. Noch bevor Hertha BSC als Absteiger der Fußball-Bundesliga feststand, hatte der Trainer vor wenigen Tagen im TV erklärt: Die besten, die gefährlichsten Spieler, das sind die Frustrierten. Natürlich wollte der 47-Jährige seine Mannschaft, die längst der Zweiten Liga entgegentaumelte, stark reden. Doch der Weg war offensichtlich der falsche.

Es knistert gewaltig in der Schlussphase dieser Bundesliga-Saison. Spannung im Titelrennen, Spannung im Kampf um die Europapokalplätze, Spannung im Ringen um den Klassenerhalt. Erst seit dem vorletzten Spieltag steht Hertha als erster Absteiger fest – Schalke 04, der VfL Bochum und der VfB Stuttgart rangeln noch um die sicheren Plätze. Am anderen Ende kämpfen Borussia Dortmund und der FC Bayern um den Titel. Doch was für den Fußballfan unterhaltsam ist, bedeutet für Trainer, Funktionäre und allen voran die Spieler eines: Druck, Druck, Druck.

Der FC Bayern hat den Druck, die erste titellose Saison seit 2012 zu verhindern. Der BVB hat den Druck, die Riesenchance, die erste Meisterschaft seit 2012 gewinnen zu können. Die Schalker und Bochumer haben den Druck, den Abstieg verhindern zu müssen. Mit ihm umzugehen, sich nicht lähmen zu lassen, ist gar nicht so einfach.

Versagensangst der Profis: Fehler der Klubführungen

Natürlich lernen angehende Profis früh, mit Drucksituationen umzugehen. Wem dies nicht gelingt, wird sich im Leistungssport nicht durchzusetzen – meint René Paasch. Der Sportpsychologe und Professor an der Deutschen Hochschule für Sport und Gesundheit in Unna hat mit vielen Fußballern und Trainern gearbeitet. Er findet: „Ob Bundesliga oder Dritte Liga, ob Titelrennen oder Abstiegskampf – das macht keinen Unterschied. Am Ende sind es Menschen, und Menschen reagieren sehr ähnlich auf extreme Drucksituationen. Die Frage ist nur, wie wird der Druck, die Angst in die Mannschaft hineingetragen? Wie wird damit umgegangen?“

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Den deutschen Profifußball sieht Paasch in dieser Hinsicht extrem schlecht aufgestellt: „Nur ein Drittel der Klubs arbeitet mit festangestellten Sportpsychologen zusammen. Wir werden immer nur gerufen, wenn es schon zu spät, das Problem bereits da ist. So lässt sich keine nachhaltige Arbeit erzielen.“ Seine Kritik geht noch weiter und betrifft vor allem Klubs im Tabellenkeller. „Wo es um Abstieg geht, geht es natürlich auch um Geld“, schildert Paasch seine Erfahrungen. „Also was machen die Geschäftsführungen? Sie konfrontieren die Spieler mit möglichen Konsequenzen: Denkt daran, wie viele Arbeitsplätze daran hängen, denkt daran, wer euch noch unter Vertrag nehmen würde. Ihr dürft nicht absteigen!“ Das Problem: „Sie sagen ganz viel, was sie tun sollen. Sie zeigen ihnen aber nicht die notwendigen Mittel, um in dieser Situation performen zu können.“ Auch von außen wirke Druck auf die Spieler ein.

Sportpsychologe René Paasch erklärt, worauf es im Bundesligafinale ankommt.
Sportpsychologe René Paasch erklärt, worauf es im Bundesligafinale ankommt. © FFS

Und da kommt Pal Dardai mit seiner These vom frustrierten Profi ins Spiel. Frust, Druck, Angst – sicher, eine Trotzreaktion ist möglich, aber keine Strategie. „Du kannst nicht Menschen unter Druck setzen und hoffen, dass sich das Beste entwickelt, denn wir brauchen eine vertrauenswürdige Situation, die aber in einer Drucksituation nicht mehr da ist“, sagt Paasch.

Union-Trainer Urs Fischer als Positivbeispiel

Dem Trainer schreibt der 49-Jährige daher eine Schlüsselrolle zu. Dabei komme es für ihn weniger auf perfekt orchestrierte Übungseinheiten an. Stichworte, die Paasch nennt, sind: Führungskompetenz, Kommunikationsfähigkeit und zwischenmenschlicher Zauber. „Die Trainer spielen eine ganz tragende Rolle.“ Spieler unter zusätzlichen Druck zu setzen, sie anzuschreien oder zu sanktionieren, verunsichere nur. „Ich brauche einen Schutzrahmen, eine vertrauenswürdige Atmosphäre, in der die Spieler sich trotz dieser Belastung entlastet fühlen“, sagt Paasch. „Und wenn jetzt ein Team zusammenarbeitet, sich nicht fertig macht, sich konstruktiv nach vorne bewegt, sich gegenseitig motiviert, füreinander da ist, dann kannst du mit diesen Situationen viel besser umgehen, als wenn jeder versucht, alleine damit zurechtzukommen.“ Um das zu schaffen, braucht es einen kompetenten Menschen – „und das ist ganz sicher der Schlüsselmoment des Trainers“.

Enttäuscht und völlig frustriert: Hertha-Torwart Oliver Christensen nach dem besiegelten Abstieg aus der Bundesliga.
Enttäuscht und völlig frustriert: Hertha-Torwart Oliver Christensen nach dem besiegelten Abstieg aus der Bundesliga. © afp

Beim Blick auf die Bundesliga-Trainer sticht für Paasch Urs Fischer heraus. Seit Jahren prägt dieser Union Berlin. „Der hat dieses Gefühl, mit unterschiedlichen Charakteren umzugehen“, sagt Paasch. Pal Dardais Maßnahme, einen Spieler wegen einer Disziplinlosigkeit harsch des Trainings zu verweisen, empfand er indes eher als abschreckend: „Da haben wir diesen zwischenmenschlichen Zauber nicht. Den Spieler verlierst du, andere finden das eventuell auch nicht gut. Und irgendwann spielt die Mannschaft nicht mehr für dich.“

Tipp für den Abstiegskampf: den Selbstwert der Spieler stärken

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Immer wieder arbeitet Paasch mit Profis daran, sich von Gedanken an mögliche Folgen zu lösen. „Ich lenke die Aufmerksamkeit auf die Dinge, die der Spieler selbst beeinflussen kann. Dann erarbeiten wir kleine Ziele fürs Training, fürs Spiel. So wird auch sein Selbstwert, sein Selbstvertrauen wieder gesteigert. Denn ganz häufig setzen sich Spieler in dieser Situation nur noch mit Dingen auseinander, die sie nicht beeinflussen können, die ihnen Angst oder Sorge machen, und dann verlieren sie sich.“

Paasch versucht, dem Einzelnen Werkzeuge an die Hand zu geben, damit er sich auf seine Arbeit fokussieren und seiner Stärken vergewissern könne, indem er zum Beispiel auch an bereits Erreichtes erinnert. „Viele vergessen in diesen Momenten, dass sie gar keine schlechten Fußballer sind – dabei haben sie es ja bis in die Bundesliga geschafft.“ So lernen die Spieler, sich auch in schwierigen Momenten auf das zu besinnen, was sie können.

Der Druck fällt ab, die Freude muss raus: BVB-Torschütze Sebastien Haller (rechts) jubelt nach seinem Treffer mit seinen Dortmunder Teamkollegen.
Der Druck fällt ab, die Freude muss raus: BVB-Torschütze Sebastien Haller (rechts) jubelt nach seinem Treffer mit seinen Dortmunder Teamkollegen. © dpa

Sportpsychologe Paasch: Eigentlich Vorteil für die Bayern

Die Spieler des FC Bayern hätten es daher im Titelkampf grundsätzlich etwas leichter als die Profis von Borussia Dortmund. „Bayern München hat zwar Druck“, sagt Paasch, „aber sie haben natürlich auch sehr viel Kompetenz.“ Das heißt, sie haben viele Spieler, die schon Titel gewonnen haben, die schon in Drucksituationen bestanden haben. „Sie können auf vorhandene Ressourcen zugreifen. Sobald es Schlüsselmomente gibt, können sie sich relativ schnell in ein Fahrwasser der Begeisterung führen.“ Da Fußball aber nicht nur im Kopf entschieden wird, sondern auch mit den Beinen, kann es dann trotzdem dazu kommen, dass der BVB nun mit zwei Punkten Vorsprung ins Saisonfinale geht.

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Im Abstiegskampf wirken häufige Trainerwechsel und hohe mediale Beobachtung verstärkend. Ein Beispiel: Ein Spieler ist unter seinem Trainer gefragt, hat einen Stammplatz. Wegen Erfolglosigkeit wird der Coach ausgetauscht. Unter dem neuen Trainer spielt der Profi plötzlich keine Rolle mehr. Es entsteht das Gefühl, sich auf nichts mehr verlassen zu können. „Es gibt keine Routinen, die uns Menschen aber sehr wichtig sind“, sagt Paasch. Sie geben Sicherheit. So aber „arbeiten die Spieler immer aus Druck und aus Angst heraus“.

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Das wiederum führe erst recht zu Fehlern. „Wenn sie das nicht regulieren können, ist die Gefahr, dass sie im entscheidenden Moment verlieren. Jemand, der ängstlich ist, kann kein Potenzial entfalten.“ Hertha ist das beste Beispiel. Mal sehen, wie Schalke 04 und der VfL Bochum damit am Samstag umgehen werden.