München. Der FC Bayern steht nach der 1:3-Niederlage gegen Leipzig vor den Trümmern einer entglittenen Saison. Konsequenzen werden folgen.
In der Bilderflut des denkwürdigen Sonnabends gab es beim FC Bayern so viele bemerkenswerte Szenen, dass es sich als unmöglich erwies, diese in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Es war aber auch gar nicht nötig, nach der 1:3 (1:0)-Niederlage gegen die nun sicher für die Champions League qualifizierten Leipziger eine Rangliste des Schreckens zu erstellen, um das große Entsetzen beim noch amtierenden Dauer-Meister aus München zu illustrieren.
FC Bayern erlebt eine missratene Saison
Jede Szene stand ja ausdrucksstark für sich. Und all diese Szenen transportierten den Befund, dass ihnen beim FC Bayern die ohnehin missratene Saison komplett entglitten ist und sie vor deren Trümmern stehen. Das lässt sich schon jetzt und unabhängig vom Ausgang des bis zum letzten Spieltag spannenden Titelrennens mit Borussia Dortmund bilanzieren.
Klar ist in München auch, dass so oder so Konsequenzen folgen werden – nur noch nicht, wer sie zieht und wen sie betreffen. Das dürfte erst nach der Aufsichtsratssitzung am Dienstag in einer Woche deutlich werden, wenn das Gremium auch über die Zukunft der Vorstände Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic befinden wird.
Rekordmeister kollabierte nach der Führung
Zu den ikonischen Impressionen der Bilderflut des Sonnabends zählte der Konter nach einem Münchener Eckball und den verlorenen Zweikämpfen von Jamal Musiala und Kingsley Coman, als vier Leipziger auf den einzig verbliebenen Münchener Abwehrspieler João Cancelo zustürmten. Wohlgemerkt bei einer 1:0-Führung des FC Bayern, die Serge Gnabry mit seinem 14. Saisontor in der guten ersten halben Stunde der Münchener erzielt hatte (25.).
Doch bald danach wurden die Bayern immer passiver, ehe sie regelrecht kollabierten. Am Ende des genannten Konters traf der wohl zur kommenden Saison ablösefrei nach München wechselnde Konrad Laimer für RB zum 1:1 (65.). Sein Gegentor fügte sich wie eine Pointe in den Gesamteindruck dieser Saison, dass sich die Bayern vor allem selbst besiegen und ihre Dauer-Krise hausgemacht ist.
Fans strömen in Massen aus der Arena
Zu den bemerkenswerten Szenen gehörte nach den weiteren Leipziger Treffern durch die verwandelten Elfmeter von Christopher Nkunku (76.) und Dominik Szoboszlai (86.), wie die Zuschauer in der Schlussphase in Massen aus der Münchener Arena strömten, ja regelrecht flüchteten. Auf der Ehrentribüne verharrten derweil die langjährigen Macher des FC Bayern, Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge.
Vor allem dem Bauchmenschen Hoeneß war das Leiden anzusehen. Starren Blickes schaute das einflussreichste Aufsichtsratsmitglied herab auf die wieder einmal implodierte Mannschaft. Diese sah mit ihrer verzagten, geradezu ängstlichen Körpersprache und in ihren neuen weiß-roten statt rot-weißen Trikots auch gar nicht mehr aus wie der FC Bayern.
Umgestaltung des Kaders steht bevor
Es folgten die Bilder der aktuellen Macher nach dem Kollaps. Der Vorstandschef Kahn drehte sich um und lief beinahe vor eine Werbewand, nachdem er seinen Unmut über die Havarie der Mannschaft zum Ausdruck gebracht hatte. „Intelligent haben wir uns da nicht angestellt“, schimpfte Kahn über den Konter zum 1:1, wieder einmal habe sich danach das Gefühl eingestellt, „alles bricht zusammen“.
Warum das so sei und man keinen Widerstand leiste, das gelte es zu ergründen. Der Sportvorstand Salihamidzic zerlegte kurz darauf den von ihm komponierten Kader, als er eine Umgestaltung im Sommer anklingen ließ. Man werde schauen, was auf dem Transfermarkt „gemacht werden muss“, sagte er, „es sind auf jeden Fall ein paar Themen da“.
Tuchel verzweifelt an seiner Belegschaft
Und dann waren da noch die Bilder eines Trainers, der Ende März als Nachfolger des gefeuerten Julian Nagelsmann angetreten war, um möglichst das Triple zu gewinnen. Nun aber droht den Bayern nach dem Aus mit Thomas Tuchel in der Champions League (gegen Manchester City) und im DFB-Pokal (gegen Freiburg) jeweils im Viertelfinale sogar die erste titellose Saison seit 2012. Tuchel verzweifelt zunehmend an seiner Belegschaft.
Ins Bild passte, dass er sich in der Sprache seiner vorherigen Trainerstation FC Chelsea wohler zu fühlen schien, vielleicht, weil ihm Englisch ein Gefühl der Distanz bei seiner Kritik erlaubte. „Die Zahl der einfachen, nicht erzwungenen Fehler ist viel zu hoch“, sprudelte es zu der Frage einer britischen Reporterin aus Tuchel auf der Pressekonferenz heraus.
„Man weiß gar nicht mehr, wo man anfangen soll“
Er könne aber nur sagen, was dem Team alles fehle, jedoch nicht warum. Seine Ratlosigkeit vermittelte auch dieser Satz: „Man weiß gar nicht mehr, wo man anfangen soll.“ Er werde versuchen zu verstehen, warum „wir so einen krassen Rückschritt machen“, kündigte Tuchel an, zweifelte aber umgehend, „ob ich das rausbekomme“. Fest steht für ihn nur der Gesamtbefund: „Das ist deutlich unter dem, wie wir uns vorstellen, wie wir Fußball spielen wollen. Wenn wir aufhören, nach unseren Prinzipien zu spielen, dann wird es ein Würfelspiel.“
Auch dieses Sprachbild könnte bleiben von dieser denkwürdigen Bayern-Saison, die mit einem fulminanten 5:3-Sieg im Supercup in Leipzig begonnen hatte und am Samstag mit dem Bundesliga-Spiel in Köln (15.30 Uhr/Sky) zu Ende gehen wird. Sollten die Bayern dort trotz allem noch Meister werden, dann wäre es ja wirklich ein Titelgewinn wie beim Knobeln. Aus purem Zufall, das reinste Glück.