Gelsenkirchen. Heribert Bruchhagen spricht über Schalke 04, die Verteilung des TV-Geldes und sagt, warum ihm Bayerns Erfolge in der Champions League egal sind.
Ein besonderes Spiel? Heribert Bruchhagen belässt es dabei nicht. „Existenziell besonders wichtig“ sei die Partie von Schalke 04 gegen Eintracht Frankfurt am Samstag um 15.30 Uhr (Sky), sagt der 74-Jährige. Die Königsblauen brauchen jeden Punkt, um sich noch den Bundesliga-Verbleib zu sichern. Ob das am vorletzten Spieltag gelingt? Heribert Bruchhagen, der von 1989 bis 1992 Manager bei den Königsblauen und von 2003 an für 13 Jahre als Manager oder Vorstands-Chef mit ein Gesicht der Eintracht war, wird es im Stadion erleben. Ob er an den Klassenerhalt glaubt, warum Uli Hoeneß ihn als Schalke-Manager beschimpft hat und warum ihm eine spannendere Meisterschaft mehr als ein Champions-League-Titel für den FC Bayern gäbe, erzählt der seit vier Jahren im Ruhestand befindliche Fußballfunktionär im Gespräch.
Herr Bruchhagen, bei Schalke 04 waren Sie 1989 erstmals in Ihrer Karriere als Manager tätig. Was hat der Fußball heute noch mit dem von vor 34 Jahren gemeinsam?
Heribert Bruchhagen: Der Rasen ist grün, und wie der große Ernst Kuzorra sagte, als er Trainer war: Merkt euch eins, in der Mitte steht die Kiste. Alles andere hat sich geändert.
Auf Schalke hatte Burchhagen damals 20 Mitarbeiter
Können Sie aktuell Fußball noch genießen?
Heribert Bruchhagen: Ach ja, das schon. Die Fitness der heutigen Jungs ist enorm, die nehmen ihren Beruf ernst. Früher war das alles ein bisschen leichtfertiger, die Spieler von damals waren alle vom Talent her Bundesligaspieler, aber die arrondierenden Maßnahmen spielten eine weniger große Rolle. Heute ist alles viel professioneller und auch besser.
Kann das Geschäft Sie noch überraschen?
Heribert Bruchhagen: Das hat es 30 Jahre lang, in denen ich als Manager oder Vorstandsvorsitzender gearbeitet habe. Alle drei Jahre habe ich fast eine Verdopplung des Fernsehgeldes erfahren; das hat mir das Management immer leichter gemacht. Wenn alles teurer wurde, die Verträge der Spieler größer wurden, war nach drei Jahren wieder das Fernsehgeld verdoppelt und alles leichter. Aber ich fürchte, diese Zeiten werden erst einmal stagnieren.
Herr Bruchhagen, wenn Sie erlauben: Auf das TV-Geld kommen wir nachher noch zu sprechen.
Heribert Bruchhagen: Gut, aber weil sie danach fragten, wie ich das Geschäft empfunden habe: Auf Schalke hatte ich damals 20 Mitarbeiter. Für alles. Heute ist es das Zehnfache, Bayern München hat 500 Mitarbeiter. Ich musste damals alle Rechte nach Schalke zurückholen. Günter Siebert hatte das Ticketing und Merchandising outgessourced, die Bandenwerbung gehörte der Deutschen Städtereklame. Da hat mich Günter Eichberg erstmal beauftragt, alles wieder zurückzuholen. Das war ein schwerer Kampf.
Hat Sie die Schalker Zeit geprägt für Ihr Managerleben?
Heribert Bruchhagen: Eine gewisse Hartnäckigkeit wurde da schon praktiziert. Unsere Ziele haben wir mehr mit intensiven Hintergrundgesprächen erreicht und weniger durch öffentliche Förderungen.
Hat es Ihnen da genutzt, vorher als Gymnasiallehrer gearbeitet zu haben?
Heribert Bruchhagen: Was mir zu pass kam, war, dass ich mich gut artikulieren konnte. Wenn Sie einen Leistungskurs halten, brauchen Sie schon ein paar Fertigkeiten bei der Sprache. Ich hatte ja auch schon eine große Klappe, als ich noch Lizenzspieler war (lacht).
Als Schalke-Manager gab es für Heribert Bruchhagen bei Uli Hoeneß Schimpfe
In Ihrem zweiten Jahr als Schalke-Manager gelang der Aufstieg in die Bundesliga. Erinnern Sie sich noch an die ersten Aufeinandertreffen mit der Eintracht?
Heribert Bruchhagen: Schwierig. Ich weiß eher noch, dass auf der Gegenseite Tony Yeboah, Charly Körbel und Uwe Bein waren.
Zuerst ein 0:0 auf Schalke, dann ein 3:0 in Frankfurt.
Heribert Bruchhagen: Wer machte die Tore?
Peter Sendscheid, Mike Büskens und Radmilo Mihajlovic.
Heribert Bruchhagen: Ja, Mihajlovic. Der war aus München gekommen, Günter Eichberg hatte einen viel zu hohen Betrag für ihn geboten. Drei Millionen Mark waren damals noch viel Geld. Da bin ich nach München gefahren, obwohl wir den gar nicht bezahlen konnten. Was haben mich Uli Hoeneß und Karl Hopfner in ihrem Büro beschimpft: Was bildet ihr euch ein, macht solche Verträge, habt aber nichts auf der Brust. Wie die Bayern so sind: Erst schimpfen sie, dann haben sie mir aber doch einen Aufschub von sechs Monaten gewährt.
Welches Herz in Ihnen schlägt am Samstag stärker – das Schalker oder das Frankfurter?
Heribert Bruchhagen: Das kann ich nicht sagen. Diese Frage ziehen Sie mal bitte schön brav zurück.
Na, gut. Dass Thomas Reis die Mannschaft überhaupt noch in die Situation gebracht hat, sich retten zu können, ist schon erstaunlich.
Schalke und Hertha BSC - so schätzt Heribert Bruchhagen die Chancen im Abstiegskampf ein
Heribert Bruchhagen: Ein einstelliger Tabellenplatz in der Rückrunde, das sagt schon einiges aus. Mit einer Mannschaft, die aussichtslos unten herumgedümpelt war. Aber wir brauchen uns auch nicht in die Tasche zu lügen: Es spricht viel dafür, dass es Schalke erwischt. Es wird hart, in der Bundesliga zu bleiben.
Schalke 04 kämpft um den Klassenerhalt. Schmerzt es Sie, wenn Sie einen so großen Klub ums sportliche Überleben ringen sehen?
Heribert Bruchhagen: Ich bin Schalke-Mitglied seit 1989. Was ich immer wieder bedauere, ist, dass Schalke schwer dazu geneigt, die handelnden Personen stark zu attackieren. Günter Siebert wurde auf Hauptversammlungen niedergebrüllt. Günter Eichberg wurde mit Schimpf und Schande weggejagt, obwohl er Schalke in der 2. Liga übernommen und im Mittelfeld der Bundesliga abgegeben hat. Rudi Assauer war auch immer umstritten. Unter Clemens Tönnies hat Schalke wie lange international gespielt? Er wurde auch vergrault. Das ist schon ein sehr merkwürdiges Gebilde geworden. Die Fans singen auf den Tribünen die Strophe: 1000 Freunde, die zusammenstehen, da wird der FC Schalke niemals untergehen. Das singen sie jetzt am Samstag auch – aber de facto gehen sie mit handelnden Personen doch sehr unschön um.
Sie sind der Meinung, Schalke wird die Trennung von Clemens Tönnies noch bereuen?
Heribert Bruchhagen: Aber ganz sicher. Schalke hatte nie Probleme mit der Lizenz – unter anderem auch wegen Clemens Tönnies.
Dass er gegangen ist, hatte ja aber auch andere, berechtigte Gründe. Schalke hat bis vor wenigen Jahren noch regelmäßig um das Startrecht für die Champions League mitgespielt und ist dann abgeschmiert. Ist das die unrühmliche Ausnahme von Ihrer früheren These, dass die Tabelle der Bundesliga zementiert sei.
Heribert Bruchhagen: Die ist zementiert. Nehmen Sie die Lizenzspieleretats der letzten zehn Jahre, addieren sie und teilen die dann durch zehn. Dann nehmen Sie die Abschlussplatzierungen in den Tabellen der letzten zehn Jahre, addieren auch sie und teilen sie durch zehn. Dann haben sie eine fast 90-prozentige Kongruenz.
Heribert Bruchhagen hofft im Kampf um die Meisterschaft auf den BVB
Jetzt kann es passieren, dass der FC Bayern am nächsten Wochenende zum elften Mal in Serie Deutscher Meister wird. Interessiert Sie der Saisonausgang noch?
Heribert Bruchhagen: Aber ja, denn ich habe immer noch die Hoffnung, dass es Borussia Dortmund schafft. Weil das einfach für das Produkt Bundesliga gut und wichtig wäre. Das ist meine Hoffnung – ich glaube aber, dass Bayern beide Spiele gewinnen wird.
Wie beurteilen Sie die Situation in der Bundesliga?
Heribert Bruchhagen: Es ist überhaupt nicht zielführend, dass Bayern München elfmal in Folge Deutscher Meister wird. Aber die Dinge sind nicht umkehrbar. Vor zehn, fünfzehn Jahren hatte ich im Liga-Ausschuss oder im Vorstand der Deutschen Fußball-Liga Auseinandersetzungen mit Uli Hoeneß. Ich hatte eine völlig andere Position bei der Spreizung der Fernsehgelder. Die große Mehrheit hat seiner Vorstellung einer Spreizung aber zugestimmt. Das ist ja das Witzige: Die Vereinsvertreter wählen meistens Protagonisten der großen Klubs in den Vorstand der DFL. Und dann wundern sie sich, wenn die dann im Sinne der großen Vereine agieren. Die gleiche Argumentation brauchen Bayern und Dortmund übrigens auch, wenn sie ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit ins Feld führen. Aber im nationalen Bereich sind die Umstände fest eingefahren. Geld schießt Tore, das ist so.
Eine Bundesliga ohne Schalke und Hertha BSC…
Heribert Bruchhagen: Und dafür Darmstadt und Heidenheim? Respekt vor denen, das ist großartig, was sie leisten. Sie werden das eine Jahr oder vielleicht auch ein zweites Jahr genießen. Aber sie sind keine Bundesligisten und werden sich nicht halten können. Ich will Schalke und den Hamburger SV in der Bundesliga sehen. Und auch Hertha BSC, das jetzt eine große Krise hat, die werden wieder zurückkehren in die Bundesliga, sollten sie jetzt absteigen.
Auf der anderen Seite steht, dass es Darmstadt und Heidenheim offensichtlich besser gemacht haben als Klubs wie Duisburg, Essen, Kaiserslautern oder 1860 München.
Heribert Bruchhagen: Rot-Weiss hat es wie der MSV aber auch schwer. Das Ruhrgebiet ist in einer Strukturreform. Ich habe die Bundesliga noch erlebt, als Eintrittsgelder und Mitgliedsbeiträge wichtige Faktoren waren. Die interessieren heute niemanden mehr. Und es gibt ja noch Traditionsklubs wie Wattenscheid 09 oder Westfalia Herne. Das Ruhrgebiet ist ausgeblutet, die Stahlbarone und Kohlefürsten gibt es nicht mehr.
Heribert Bruchhagen über Zuschauerquoten, wenn Dortmund oder Hoffenheim spielt
Ohne despektierlich zu sein, ein Bundesliga-Samstag könnte demnächst so klingen: Leverkusen gegen Leipzig, Mainz gegen Heidenheim, Union Berlin gegen Wolfsburg, Darmstadt gegen Bochum, Augsburg gegen Leverkusen. Nicht die besten Argumente für eine Auslandsvermarktung…
Heribert Bruchhagen: Nein, nein. Zumal wir da ganz sicher in einem abnehmenden Markt sind. Ich ahne, wie die Angebote von DAZN und Sky werden. Die Abonnenten werden auch nicht begeistert sein, wenn dann noch Amazon und RTL + die internationalen Spiele zeigen. Ein bisschen muss man sich Sorgen machen.
Sie sagten bereits: Die Größten und Erfolgreichsten bekommen das Meiste. Ein ungerechtes Verfahren?
Heribert Bruchhagen: Aus sportlicher Sicht ist das nicht gut, aber das Verursacherprinzip ist nun mal so. Wenn Leverkusen gegen Hoffenheim spielt, schalten bei Sky 21.000 Leute ein. Wenn Bayern gegen Dortmund spielt, sind vier Millionen Abonnenten am Fernseher. Zu meinen Anfangszeiten bei Schalke bekamen alle Klubs gleich viel – 300.000 Mark. Man kann heute aber nicht mehr plakativ sagen, dass der Erste zu viel und der Letzte zu wenig bekommt. Stellen Sie sich mal einen Kuchen mit 36 Stücken vor, die natürlich nicht gleichgroß sind. Weil der Radius des Kuchens aber immer größer wurde, sind die Stücke auch zum Rand hin enorm angewachsen. Das hat die Unterschiede im Wettbewerb entscheidend verstärkt; das hat dazu geführt, dass der FC Bayern nun schon zehnmal in Folge Meister geworden ist. Zum damaligen Zeitpunkt konnte man nicht wissen, dass man in diese Größenordnung vorstößt.
Was ist dann die Lösung, dass es wieder spannender wird?
Heribert Bruchhagen: Tja, was ist die Lösung? Wir haben das Argument der Großklubs bezüglich deren internationaler Wettbewerbsfähigkeit versus einen spannenderen Wettbewerb in der Bundesliga. Wenn ich dazwischen entscheiden müsste, würde ich mir eine spannendere Bundesliga wünschen. Mir macht es überhaupt nichts aus, wenn der FC Bayern diesen Champions-League-Schwindel nicht mitmacht oder frühzeitig ausscheidet. Eine packendere Bundesliga ist für mich als Fan immer noch werthaltiger als eine besonders gute Rolle der deutschen Vereine in der Champions League.
Befürchten Sie eine größer werdende Entfremdung seitens der Fans?
Heribert Bruchhagen: Ich befürchte gar nichts mehr, denn ich habe schon zu oft geglaubt: Wenn das und das eintritt, tut das dem Fußball weh. Wenn die Verteilung der Fernsehgelder so weitergeht, dann das und das. Wissen Sie was?
Bitte.
Heribert Bruchhagen: Die Stadien sind voll. Punkt und aus. Die bleiben nicht leer. Trotz eines tollen Sportangebots in Deutschland: Es gibt halt keine Alternative zum Bundesliga-Fußball.