Essen. Am Dienstag spielen Deutschlands Fußballfrauen gegen Schweden. In Duisburg, der Heimatstadt von Bundestrainerin Martina-Voss-Tecklenburg.

Im Trainingslager in Marbella will die Bundestrainerin den Grundstein für die im Sommer anstehende Titeljagd legen: 158 Tage vor ihrem WM-Auftakt in Australien weilt die Auswahl von Martina Voss-Tecklenburg in Andalusien. Weit weg von der Heimat – und doch so nah. Schon jetzt kreisen die Gedanken der 55-Jährigen auch um das erste Länderspiel des Jahres. Am kommenden Dienstag geht es gegen Schweden (18.15 Uhr/ZDF). In Duisburg – der Heimatstadt von Voss-Tecklenburg.

Für Alessia Russo soll der FC Arsenal dem Rivalen Manchester United 456.000 Euro Ablöse geboten haben, das EM-Finale der Frauen im vergangenen Sommer hatte höhere TV-Einschaltquoten als die WM-Spiele der deutschen Männer und das kommende WM-Eröffnungsspiel in Australien wird wegen der Ticketnachfrage in ein größeres Stadion verlegt. Sind es gerade gute Zeiten für den Frauenfußball?

Martina Voss-Tecklenburg: Absolut. Ich glaube auch, dass es verdiente gute Zeiten sind. Man muss nur sehen, wie sich der Frauenfußball in den vergangenen Jahren sportlich entwickelt hat. Was Vereine, Funktionärinnen und Funktionäre, Spielerinnen, Trainerinnen und Trainer sowie Ehrenamtliche alles geleistet haben – das ist eine Belohnung für Dinge, die für uns nicht selbstverständlich waren und es auch noch immer nicht sind. Wir haben aktuell eine gute Zeit, aber darauf wollen wir uns auch nicht ausruhen. Wir müssen dies weiter mit guter Leistung bestätigen.

Auch in der Frauen-Bundesliga sind die Zuschauerzahlen gestiegen. Ist dies auch ein Verdienst der Nationalmannschaft?

Martina Voss-Tecklenburg: Auf jeden Fall, das eine geht ja einher mit dem anderen. Wir sehen es auch als Miteinander, als zwei Komponenten. Da war die tolle Europameisterschaft 2022, aber da ist auch der Mut der Vereine, vermehrt in große Stadien zu gehen und eine Infrastruktur zu bieten, die einer Frauenfußball-Bundesliga gerecht wird und den Zuschauern einen gewissen Komfort bietet. All das ist in der Summe zusammengekommen und macht Lust auf mehr. Ein weiterer Punkt sind unsere Spielerinnen. Sie sind Identifikationsfiguren, sie sind sichtbarer geworden, kommen auf und außerhalb des Platzes sympathisch rüber und locken so den einen oder anderen Zuschauer zusätzlich ins Stadion. Es freut mich, dass wir eine Nachhaltigkeit erkennen, dass wieder mehr junge Mädchen Fußball spielen und es mehr Trainerinnen und Trainer gibt.

Doch es bleiben Baustellen.

Martina Voss-Tecklenburg: Die gibt es immer. Wir versuchen, alles im Rahmen unserer Möglichkeiten zu optimieren. Man muss ja alles erst einmal in den Kontext setzen und sehen, was wir in den vergangenen Jahren angeschoben haben. Da ist eine ganze Menge passiert, und dass daran noch weitergearbeitet werden kann, steht außer Frage. Ich möchte auch nicht, dass wir komplett zufrieden sind, es gibt noch wichtige Themen: Grundgehälter, Professionalisierung in der kompletten Liga, Verbesserung der Infrastruktur… Aber alles muss gesund wachsen, nicht überdreht und überzogen, sondern im realistischen Rahmen und Tempo. Da können wir als Frauennationalmannschaft sportlich etwas anschieben, aber auch immer wieder in Kommunikation auf Augenhöhe mit Verbänden und Vereinen sensibel in gewisse Themen reingehen. Das sehe ich auch als unseren Auftrag.

Das Länderspieljahr startet in Duisburg. Es wird sicher ein besonderes Spiel für Sie.

Martina Voss-Tecklenburg: Ja aber Hallo! Duisburg ist meine Heimatstadt, ich wurde dort geboren und habe in der Stadt so viele tolle Dinge erlebt. Von daher freue ich mich und hoffe, dass ganz Duisburg Lust hat, ins Stadion zu kommen. Nicht nur 20.000, nein, die Hütte soll richtig voll werden. Ich habe meinen Teil schon beigetragen, meine komplette Familie, viele Freunde und Wegbegleiter werden da sein (lacht).

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg.
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. © dpa

Ist Duisburg noch immer Heimat?

Martina Voss-Tecklenburg: Ja, natürlich. Duisburg wird immer meine Heimat bleiben, auch wenn ich mittlerweile in Straelen lebe. Ich definiere Heimat jetzt einfach etwas größer. Diese Verbundenheit zu Duisburg wird nie abreißen, egal, wo ich aktuell lebe.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der MSV-Arena, beziehungsweise mit dem Vorgänger Wedaustadion?

Martina Voss-Tecklenburg: Da gibt es ganz viele Erinnerungen. Dass ich als kleines Mädchen mit dem Papa zum MSV gegangen bin. Dass ich beim Training zugeschaut und als Fünfjährige die Bälle zurückgeschossen habe. Ich habe dort auch ein Länderspiel als Spielerin machen dürfen und stand als Vereinstrainerin an der Seitenlinie. Dieses Spiel in der MSV-Arena war ja ein besonderes, als wir 2009 mit dem FCR 2001 Duisburg vor vielen Zuschauern den Europapokal gewannen. Aber auch als Fan und Zuschauerin war ich oft dort, auch als Spielbeobachterin in meiner Zeit als Schweizer Nationaltrainerin. Den MSV verfolge ich auch noch immer, nicht mehr so häufig live, aber ich verfolge ihn.

Sind Sie froh, dass die Zeiten vorbei scheinen, in denen sich Mädchen wie Sie noch heimlich zum Bolzplatz schleichen mussten?

Martina Voss-Tecklenburg: Klar bin ich froh darüber, dass es selbstverständlich ist, dass Mädchen heutzutage Fußball spielen. Wir haben mittlerweile eine andere Akzeptanz, es ist eine andere Zeit. Spielerinnen und Trainerinnen können international arbeiten, es gibt mehr Topklubs auf der ganzen Welt, wo wir das Ganze nicht nur aus Berufung ausüben können, sondern als Beruf. Ein Statement wäre jetzt noch, wenn die Frage „Wie bist du zum Fußball gekommen?“ endlich nicht mehr gestellt wird. Die hört man nämlich nur bei Fragen an Fußballerinnen.

Der Gegner in Duisburg ist Schweden – der Weltranglistenzweite spielt gegen den -dritten.

Martina Voss-Tecklenburg: Es ist sportlich ein absolut hochwertiges Spiel. Das letzte Mal haben wir uns bei der WM 2019 im Viertelfinale gegenübergestanden, es war eine 1:2-Niederlage, die uns sehr weh getan hat. Wir sprechen auch nie über Freundschaftsspiele, das sind Testspiele. Wir sind in der Vorbereitung auf die WM, alle Spielerinnen wollen sich empfehlen. Jede Spielerin wird alles geben, um dabei zu sein.

Welche Rolle spielt die EM 2022 mit Platz zwei im Hinblick auf die kommende WM im Sommer?

Martina Voss-Tecklenburg: Sie spielt eine große Rolle. Die Dinge, die gut funktioniert haben, wollen wir beibehalten und weiter ausbauen. Andererseits standen wir im Finale – und haben es nicht gewonnen. Wir haben also auch noch Ziele. Es ist wieder unser Anspruch, um Titel mitzuspielen, und wenn man andere Nationen fragt, wird Deutschland auch wieder zum Favoritenkreis gezählt. Wir haben die Qualität, wir haben das Potenzial. Nur ausruhen dürfen wir uns nicht.

Ziel ist also der Titel. Kann man das so offensiv formulieren?

Martina Voss-Tecklenburg: Ziel ist es, um den WM-Titel mitzuspielen. Ich glaube, das ist die richtige Ausdrucksweise. Die Zahl der Nationen, die das ebenfalls können, ist größer geworden in den vergangenen Jahren. Aber genau das wollten wir ja immer im Frauenfußball.

Sie sind seit etwas mehr als vier Jahren Bundestrainerin. Wie haben Sie sich in dieser Zeit verändert in Ihrem Führungsstil?

Martina Voss-Tecklenburg: Ich bin schon gelassener und ruhiger geworden, was bestimmte Themen angeht. Das hat auch mit dem Umfeld im DFB zu tun, das ist alles hochprofessionell. Ich habe ein tolles Trainerteam und sehr gute Spielerinnen. Ich habe gelernt, Kompetenzen, Ressourcen und Möglichkeiten der anderen zu nutzen. Wir mussten uns kennenlernen und daran gewöhnen, einander zu vertrauen. Das gibt mir jetzt den Freiraum, übergeordnet auf alles zu schauen und nicht mehr zu meinen, alles alleine umsetzen zu müssen.

Sie sind auch regelmäßig als TV-Expertin zu sehen. Weil es Ihnen Spaß macht – oder auch als Zeichen für die größere Präsenz des Frauenfußballs?

Martina Voss-Tecklenburg: Ich bin Fußball-Expertin, da macht es für mich keinen Unterschied, ob ich die Champions League der Frauen oder die der Männer beurteile. Für mich ist es ein Fußball, deshalb trenne ich das gar nicht. Ich freue mich, dass unsere Kompetenzen auch genutzt werden und wir dadurch auch wieder ein Stück sichtbarer werden. Ich mache es in erster Linie aber, weil es mir Spaß macht, neue Dinge zu lernen, aber auch viele tolle Menschen zu treffen. Wenn ich wie zuletzt bei der Männer-WM mit Per Mertesacker und Christoph Kramer viel über Fußball rede – das ist immer ein Gewinn für mich.