Doha. Hansi Flick hat während der WM Fehler gemacht, die ein Bundestrainer nicht machen sollte. Zur EM 2024 wird er sich steigern müssen.

Hansi Flick sah nicht bloß zu, er packte tatkräftig mit an. Es musste nämlich umgebaut werden, bevor der Bundestrainer sich aufs Pressepodium im Sultan Qaboos Sports Complex setzen konnte. Es fehlte noch die schwere Werbetafel mit den Sponsoren des deutschen Fußballbunds, die im Rücken des Bundestrainers natürlich niemals fehlen darf. Die wurde nun von vielen fleißigen Helfern durch den engen Presseraum gewuchtet, über die Köpfe der Journalisten hinweg. Und Flick fasste mit an, trug seinen Teil zum Gelingen des Aufbaus bei. Es war Mitte November, es war in der omanischen Hauptstadt Maskat, und Flick galt landauf, landab noch als der pragmatische, zupackende Bundestrainer, dem einfach alles gelang – selbst der Aufbau einer Werbetafel.

Die Uhr für die deutsche Mannschaft und Bundestrainer Hansi Flick ist bei der WM in Katar abgelaufen.
Die Uhr für die deutsche Mannschaft und Bundestrainer Hansi Flick ist bei der WM in Katar abgelaufen. © Getty Images

Zweieinhalb Wochen später sieht die Welt ganz anders aus, nach dem Vorrundenaus bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar steht auch der Bundestrainer schwer in der Kritik. Denn seine Mannschaft konnte in einer Gruppe mit Spanien und den Außenseitern Japan und Costa Rica nicht bestehen und der 57-Jährige hat zu dem frühen Aus beigetragen. Nicht als einziger, auf und neben dem Platz ging manches schief. Aber Flick hat Fehler gemacht, die ein Bundestrainer vor oder während eines Turniers nicht machen sollte. Die Reise in den Oman war der erste.

Die ersten großen Entscheidungen hat ein Bundestrainer schon zu treffen, bevor ein Turnier überhaupt beginnt, die wichtigste: Wen nimmt er mit? In der Hinsicht hat der hauptberufliche Bundestrainer Flick nicht viel falsch gemacht. Hätte er Mats Hummels mitnehmen müssen? Vielleicht. Hätte der am Ausgang des Turniers groß etwas geändert? Wohl nicht.

Flick nach Oman-Test: "Jeder wird absolut fokussiert sein"

Unglücklich war dagegen die Planung der Vorbereitung, namentlich das Kurztrainingslager im Oman: Wobei der Begriff Kurztrainingslager schon ein gewaltiger Euphemismus war, im Oman fand exakt ein Training statt. Und ein Testspiel, in dem Flick nicht etwa seine Stammelf Automatismen einüben ließ, sondern eine wild zusammengewürfelte Auswahl auf den Platz schickte, die sich zu einem mageren 1:0 gegen den Fußballzwerg Oman quälte. Doch der Bundestrainer blieb entspannt: „Wenn wir in Katar ankommen, wenn wir uns auf Japan vorbereiten, dann hat jeder Einzelne das Spiel gegen Japan im Blick und jeder wird absolut fokussiert sein“, sagte er. „Daher bin ich überzeugt, dass wir da eine andere Mannschaft sehen, auch eine andere Körperlichkeit.“ Den Spielern aber sollen da schon erste Zweifel gekommen sein.

Denn nüchtern betrachtet lautete die Bilanz nach vier gemeinsamen Tagen: zwei Reisetage, ein Training, ein Testspiel ohne Erkenntnisse. Und dann gab Flick noch einen weiteren Tag frei, bevor vier Tage vor dem Spiel die Vorbereitung auf den Auftaktgegner Japan begann – der da schon fast eine Woche gemeinsam trainiert hatte.

Vielleicht lag es auch an der fehlenden Zeit, dass Flick bis zum Turnier nicht die passende Struktur für seine Mannschaft gefunden hatte. Es fehlte die eingespielte Abwehr, es fehlte die Achse, die eine Mannschaft braucht. Während sich etwa Spaniens Trainer lange vor dem Turnier auf seine Viererkette festgelegt hatte, den Mittelfeldspieler Rodrigo in der Abwehr einplante und das in vielen Spielen und Trainingseinheiten einschliff, ging Flick mit drei verschiedenen Abwehrformationen in die drei WM-Spiele. Konsequenz: Die Defensive wackelte in jedem Spiel und ließ sogar gegen Costa Rica acht Torschüsse zu – in den zwei Spielen zuvor hatte der Fußballzwerg ein einziges Mal abgeschlossen.

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Im Zentrum setzten sich das Problem fort. Hier hatte der Bundestrainer Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Ilkay Gündogan, drei herausragende Spieler für zwei Positionen. Und offensichtlich wollte er keinem wehtun. So schob er mal Kimmich nach rechts, mal Gündogan nach vorne, ließ Goretzka gegen Japan draußen und brachte ihn dann doch – zu Lasten seines bis dato besten Spielers und der Spielkontrolle. Eine stabile Struktur war so nur schwer zu finden. Gegen Japan versäumte es der Bundestrainer zudem, auf die Umstellungen des Gegners zur Pause zu reagieren – und das Spiel wurde aus der Hand gegeben.

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Am schwersten aber wog wohl die Nibelungentreue des Bundestrainers zu Thomas Müller. In seiner Zeit als Bayern-Coach hatte Flick den Angreifer wieder aus der Versenkung geholt, er wurde sein verlängerter Arm auf den Platz und war ein wichtiger Faktor für den Champions-League-Sieg. Nach Katar aber reiste Müller nach wochenlanger Verletzungspause ohne Spielpraxis, dennoch stand er dreimal in der Startelf – und nicht etwa der formstarke Mittelstürmer Niclas Füllkrug.

Und als der Auftakt gegen Japan schiefgegangen war, da war vom netten Hansi nicht mehr viel zu sehen, da reagierte der Bundestrainer gereizt auf kritische Fragen, motzte über die zu kalt eingestellte Klimaanlage im Pressekonferenzraum und weitere vermeintliche Zumutungen der Fifa. Das war weit weg von jener Souveränität, die ein Bundestrainer bei einem großen Turnier ausstrahlen sollte, Unruhe überträgt sich immer schnell auf eine Mannschaft.

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Ausscheiden müssen hätte die deutsche Mannschaft trotz allem nicht. Es hätte ja schon gereicht, wenn Spanien sein letztes Spiel nicht verloren hätte. In jedem Spiel hatte die deutsche Mannschaft zudem mehr hochkarätige Chancen als der Gegner, mit etwas mehr Effizienz würden die Diskussionen im Land nun ganz anders laufen. Den Lichtblick Jamal Musiala hat Flick als Bayern- und Nationaltrainer zudem maßgeblich gefördert und integriert. Bekanntlich bestimmt aber das Ergebnis meist die Analyse. Und das Ergebnis passt nicht, der Bundestrainer hat dazu beigetragen – und muss nun auch selbst dazulernen, bevor in anderthalb Jahren die Europameisterschaft im eigenen Land ansteht.

Die ersten Aussagen nach dem Scheitern von Katar waren noch nicht von tiefer Einsicht geprägt: Sein Trainerteam habe „gute Arbeit geleistet, wir haben das Team gut vorbereitet“, meinte Flick. Beim Krisengipfel mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf im Laufe der Woche wird das als Analyse kaum ausreichen.