Essen. Jule Niemeier und Tatjana Maria haben in Wimbledon begeistert. Am Samstag wurden sie Deutsche Meisterinnen in der Bundesliga. Ein Besuch.
Gedränge an Platz zwei beim TC Bredeney. Mihaela Buzarnescu kämpft gerade um einen wichtigen Punkt für den Tennis-Bundesligisten am letzten Spieltag. Doch sie ist es nicht, auf die an diesem Tag die meisten Augen der Zuschauer gerichtet sind. „Wo ist denn jetzt die Maria?“, fragt eine Zuschauerin leise. „Sie steht da drüben am Zaun. Blaues T-Shirt, rosa Schuhe“, flüstert ihr Nachbar zurück. „Und die Niemeier? Ist die noch da?“ Ja, ist sie. Und gibt Autogramme nach ihrem Match auf Platz sechs.
Gemeint sind Jule Niemeier und Tatjana Maria, die aus der Weltmetropole London an den Zeißbogen im Essener Stadtteil Bredeney gekommen sind und ihre Mannschaft am Samstag im Kampf um die Deutsche Meisterschaft unterstützen. Für beide ist die Reise ein kleiner Kulturschock; die Uhr auf dem Weg von Wimbledon nach Bredeney eine Stunde weiterzudrehen, ist noch die kleinste Umstellung. Denn da wären: rote Asche statt grüner Rasen, 700 statt 15.000 Zuschauer, Bratwurst statt Erdbeeren.
Wimbledon: Ein außergewöhnliches Turnier für Niemeier und Maria
Für Jule Niemeier, 22 Jahre jung, und Tatjana Maria, zwölf Jahre älter, ist gerade erst das außergewöhnlichste Grand-Slam-Turnier ihrer Karriere zu Ende gegangen. Mit ihren Siegeszügen auf dem heiligen Rasen im All England Lawn Tennis and Croquet Club haben beide für Aufsehen gesorgt. Maria hatte nach dem Viertelfinalsieg über Niemeier noch einen couragierten Auftritt mehr, scheiterte im Halbfinale aber an der Tunesierin Ons Jabeur.
Als Boris Becker noch für den ETuF spielte
Ganz in Weiß gekleidet, beeindruckte das deutsche Duo mit großem Tennis, während in den Logen Royals und lauter Stars saßen. Es ist ein kleiner schillernder Ausschnitt, denn die Kapitel im Leben der Tennisprofis sind kurz und facettenreich. Kaum war die Seite Wimbledon umgeschlagen, schrieben Tatjana Maria und Jule Niemeier schon an der nächsten Geschichte, die da hieß: Deutscher Mannschafts-Meister zu werden. Ein fließender Übergang zwischen Grand-Slam-Glitzerwelt und Bundesliga-Alltag.
Manchmal geht es ein wenig unter, dass Tennis nicht nur ein Einzelsport ist. „Die Mannschaftsspiele haben in Deutschland Tradition. Die meisten Vereinsspieler nehmen daran teil. Das sind viel, viel mehr als die, die Turniere spielen“, sagt Torsten Rekasch, Teammanager des TC Bredeney. Gerade im und rund um das Ruhrgebiet feierte der Teamwettbewerb große Erfolge: Anfang der 90er-Jahre schlugen Boris Becker, Carl-Uwe Steeb und Eric Jelen für ETuF Essen auf, viermal wurde der Klub zwischen 1997 und 2002 Deutscher Meister. 2001 schnappte sich die Dinslakener TG Blau-Weiß den Titel. Aktuell stehen bei den Herren der Rochusclub Düsseldorf und Bredeney mit dem deutschen Emporkömmling Oscar Otte auf den ersten Plätzen der Tabelle.
Top-Tennis kostet, aber beim TC Bredeney geht es familiär zu
Für den Erfolg müssen die Klubs ordentlich Geld in die Hand nehmen – bei Herren und den Damen, auch wenn sich die Kader meist aus Akteuren aus der unteren Hälfte der Top 100 der Welt oder noch dahinter zusammensetzen. Ein Spieltag in Topbesetzung kann schnell mehrere 10.000 Euro kosten.
Beim TC Bredeney geht es trotzdem familiär zu. Da stehen die Spielerinnen Schulter an Schulter mit Zuschauern am Zaun, einige geben Autogramme, lassen Fotos mit sich machen, ehe sie zum Schläger greifen. Das Tennis ist hochklassig, die Spielerinnen sind teils dieselben wie in London. „Es war klar, dass ich nach Essen kommen werde, wenn ich nicht im Finale stehe“, sagt Maria, die zuvor noch nie eine dritte Grand-Slam-Runde erreicht hatte und nun wegen einer Verletzung nur von der Seite aus ihre Kolleginnen wie Jule Niemeier oder Laura Siegemund anfeuern kann.
Am Rande des Platzes in Bredeney ist Wimbledon noch präsent: „Wenn in den nächsten Tagen der Druck abfällt, werde ich das Ganze erst richtig realisieren können“, sagt Maria. Mit einem Vereinsduell im Viertelfinale in London hatten beide vorab nicht gerechnet. „Ich habe mich in Wimbledon auf mein erstes Spiel konzentriert – und es erst im dritten Satz gewonnen“, sagt Maria, die seit einigen Jahren in Florida lebt. „So zog sich das ja durch das ganze Turnier. Jede Runde in so einem Grand-Slam-Turnier ist super schwer. Wir beide haben versucht, das Turnier zu genießen.“
Die gebürtige Dortmunderin bestätigt diese Marschroute: „Ich habe mir am Anfang die erste Runde vorgenommen und dann von Spiel zu Spiel geschaut. Teilweise wusste ich nach dem Match gar nicht, auf wen ich als nächstes treffe“, erzählt Niemeier und lacht. „Ich wusste, dass ich gut spielen kann und mich auch auf diesem Niveau etablieren will, aber mit dem Viertelfinale habe ich ehrlicherweise nicht gerechnet.“ Für Tatjana Maria, die nach Essen ihre Kinder Charlotte und Cecilia mitgebracht hat, empfindet Jule Niemeier höchsten Respekt: „Wir haben ja auch hier in der Mannschaft mitbekommen, wie viel Einsatz es erfordert, Familie und Tennis unter einen Hut zu bekommen, und wie sehr sie dafür kämpft.“
Jule Niemeier macht einen Abstecher zu den Eltern in Dortmund
Den Tennis-Ausflug ins Ruhrgebiet wird Jule Niemeier, die als Tennisprofi sonst quer über die Kontinente jettet, natürlich noch anderweitig nutzen. „Ich habe meine Eltern in Dortmund schon länger nicht gesehen, die besuche ich dann jetzt auch noch“, sagt sie. Apropos Dortmund. Von dort kamen zu ihrem Wimbledon-Auftritt auch einige Glückwünsche: „Mats Hummels und Nico Schlotterbeck haben mir gratuliert“, sagt Jule Niemeier, Anhängerin des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund.
Hier aber steht die Tennis-Bundesliga im Vordergrund, der letzte Spieltag gegen den direkten Verfolger TK Blau-Weiß Aachen. Und man merkt Jule Niemeier die Strapazen der vergangenen Tage an. 3:6, 4:6 heißt es am Ende gegen die Serbin Aleksandra Krunic. Der TC Bredeney kann sich sogar die 4:5-Niederlage leisten, verteidigt seinen Titel, ist wieder Deutscher Mannschafts-Meister. Und das inmitten der Anhänger. Tatjana Maria sagt: „Man kann wirklich sehr nah dran sein an guten Spielerinnen und Spielern. Ich freue mich, dass Jule und ich zumindest heute vielleicht noch ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für die Bundesliga gebracht haben.“
Dem deutschen Tennis haben sie die in den vergangenen Wochen auf jeden Fall beschert