Berlin. Bei den Finals in Berlin streichen die Verantwortlichen den nach Olympia umstrittenen Reitwettbewerb. Dauerhafter Ersatz wird gesucht.

Grundkenntnisse der Mathematik waren gefragt auf dem Olympischen Platz. Auch wenn man sich angesichts der Temperaturen in der Berliner Freiluftsauna fragen musste, wann endlich der Fichtennadel-Aufguss zumindest für freie Atemwege sorgen würde – es war nicht die Hitze, die die Sinne der Zuschauenden vernebelte. Tatsächlich boten die internationalen deutschen Meisterschaften im Modernen Fünfkampf eine sehr moderne Variante der 1912 von Pierre de Coubertin, dem Gründer des Inter-nationalen Olympischen Komitees (IOC), erfundenen olympischen Sportart. Wer akribisch mitzählte, der kam mit Degenfechten, 200 Meter Freistilschwimmen und dem aus Schießen und Laufen kombinierten Laser-Run nur auf vier Disziplinen. Es fehlte: das Reiten. Und das aus gutem Grund.

Morddrohungen gegen Athletin

Die Bilder vom August vergangenen Jahres, die die Zukunftsdiskussion um den Modernen Fünfkampf angefacht hatten, hat niemand vergessen, der sie sah. Wie die Berlinerin Annika Schleu (32), auf Goldkurs liegend, mit Einsatz von Gerte und Sporen versuchte, das ihr zugeloste, scheuende Pferd Saint Boy zum Weitermachen zu bewegen. Wie ihr Tränen über das Gesicht liefen, weil es nicht gelang. Wie Bundestrainerin Kim Raisner (49/Berlin) die verzweifelte Athletin aufforderte, „mal richtig draufzuhauen“. Szenen mit dramatischen Folgen.

Fünfkämpferin Annika Schleu beim Skandalritt in Tokio.
Fünfkämpferin Annika Schleu beim Skandalritt in Tokio. © dpa | Marijan Murat

Annika Schleu erhielt Morddrohungen. Ein Ermittlungsverfahren gegen sie und die Bundestrainerin wegen Tierquälerei wurde gegen Zahlung von 500 Euro an eine gemeinnützige Organisation eingestellt. Raisner bekannte im Rahmen der Finals in einem Interview in der Zeitung Welt, bis heute äußerst unter dem fatalen Olympiatag zu leiden. „Wenn man immer wieder auf diesen Ritt reduziert wird, fällt es schwer, alles abzuhaken. Vielleicht wird uns das noch zwei Jahre begleiten, bis Reiten wirklich komplett rausfliegt“, sagte sie.

International ist das spätestens 2024 bei den Sommerspielen in Paris der Fall. Der Deutsche Verband für Modernen Fünfkampf (DVMF) hatte allerdings für das Event in Berlin, das zum Programm des Multisportformats „Die Finals“ gehörte, entschieden, das Reiten ersatzlos zu streichen. „Uns war wichtig, die negativen Assoziationen, die das Reiten nach Tokio hervorgerufen hat, durch positive Bilder zu ersetzen“, sagte Jan Veder, selbst 15 Jahre Fünfkämpfer und heute als Vizepräsident des DVMF aktiv.

Der Umbruch, den diese Entscheidung bedeutet, ist enorm. „Aber er ist notwendig, denn man muss mit der Zeit gehen“, sagte Veder. Schon 2009, als Schießen und Laufen zum sogenannten „Combined“ zusammengelegt wurden, um ein für das Publikum vor Ort und vor den Bildschirmen spannenderes Format zu schaffen, hatte sich der Moderne Fünfkampf gewandelt. Seitdem wird zwischen jeder der fünf 600-Meter-Laufrunden ein Schießen aus zehn Metern Entfernung mittels Laserpistole eingelegt. Der Laser-Run erinnert an den Publikumsmagneten Biathlon.

Finals in Berlin: Moderner-Fünfkampf-Athleten beim Laser-Run
Finals in Berlin: Moderner-Fünfkampf-Athleten beim Laser-Run © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Weil diese einschneidende Veränderung sehr positiv angenommen wurde, ist Jan Veder überzeugt, dass auch für das Reiten ein adäquater Ersatz gefunden werden wird. Nach dem Weltcupfinale in Ankara, das parallel am Wochenende ausgetragen wurde, soll dort eine mögliche Alternative getestet werden. Nachdem zunächst eine Radsportdisziplin im Gespräch war, scheint sich nun die Variante mit einem Hindernislauf durchzusetzen. Mit der Entscheidung, das Reiten zu ersetzen, hofft der Weltverband UIPM, sich einem Rauswurf aus dem Olympiaprogramm zu entziehen.

Welche Konsequenzen das Aus des Springreitens hat, ist aktuell nicht abzusehen. International wird bis Paris geritten, national wird jeder Einzelfall neu entschieden. „Natürlich werden von denjenigen, deren beste Disziplin das Reiten ist, einige abspringen. Aber es werden viele Neue aus Nationen dazukommen, in denen das Reiten aus Kostengründen nicht möglich ist, die aber im Laufen größere Chancen sehen“, sagte Jan Veder.

Titel an Lengrehr und Dogue

Die Berlinerin Rebecca Langrehr (24), die mit 1095 Punkten ihren ersten Meistertitel gewann (Sieger bei den Männern wurde der Potsdamer Marvin Dogue mit 1241 Zählern) wurde , sagte: „Natürlich ist es schade, dass das Reiten fehlt. Aber es ist die richtige Entscheidung, und auch mit nur vier Disziplinen bedeutet mir dieser Titel viel. Ich habe ihn auch für Annika geholt.“ Ob Annika Schleu in den Genuss kommt, die neue fünfte Disziplin nach 2024 im internationalen Wettkampf zu erleben, ist unklar. In Paris möchte sie aber noch einmal antreten – und beweisen, dass sie auf jedem Pferd bestehen kann. Zunächst jedoch steht eine noch schönere Herausforderung an: Sie ist schwanger.