Berlin. Freiburgs Christian Streich und Leipzigs Domenico Tedesco stehen im Berliner Olympia-Stadion im DFB-Pokalfinale.

Christian Streich drehte sich auf dem Podium nach rechts, zeigte mit der Hand auf seinen Nebenmann und strahlte. Dort saß Kapitän Christian Günter, der bei der Pressekonferenz vor dem DFB-Pokalfinale zwischen dem SC Freiburg und RB Leipzig neben dem Trainer der Breisgauer Platz genommen hatte. „Es ist ein Symbol für den Freiburger Weg, dass Christian hier sitzt und als Profi im Finale steht“, sagte Streich. Voller Stolz erzählte der 56-Jährige vor zahlreichen deutschen und ausländischen Journalisten die Erfolgsgeschichte seines Vereins. Günter gehört neben Nicolas Höfler und Jonathan Schmid zu den drei Profis im Freiburger Kader, die den DFB-Pokal an Streichs Seite schon mit der A-Jugend des Sport-Clubs gewannen.

Krönung des Lebenswerks für Christian Streich

An diesem Samstag (20 Uhr/ARD und Sky) könnte der Freiburger Trainer mit seinen früheren Juniorenspielern erstmals bei den Profis den goldenen Pokal in die Luft strecken. Es wäre der Höhepunkt seiner Laufbahn und die Krönung seines Lebenswerks. Dazu muss seine Mannschaft im erstmals nach zwei Pandemie-Jahren ausverkauften Berliner Olympiastadion einen Gegner schlagen, der ebenfalls den ersten Titel seiner deutlich jüngeren Vereinsgeschichte gewinnen möchte. Dafür soll nun Leipzigs Trainer Domenico Tedesco (36) nach den verlorenen Pokalfinals 2019 und 2021 sorgen. Das Duell zwischen Streich und dem früheren Schalke-Trainer ist nicht nur das um den ersten Titel ihrer Trainerkarriere bei den Profis, sondern auch das zweier Persönlichkeiten, die aktuell zu den besten Cheftrainern der Fußball-Bundesliga zählen.

Klare Meinungen mit badischem Akzent

Seit 1995 ist Christian Streich für den SC Freiburg tätig. Seine Laufbahn begann im Jugendbereich. Robin Dutt (57) war es, der Streich im Jahr 2007 aus dem Nachwuchs in das Trainerteam der Profis holte. Vier Jahre arbeiteten beide erfolgreich zusammen. Dutt ging 2011 zu Bayer Leverkusen, Streich wurde in der Winterpause der Saison 2011/12 zum Cheftrainer befördert. Seitdem entwickelte er sich in Freiburg zu einer Kultfigur, die sich im deutschen Fußball großer Popularität und Wertschätzung erfreut. Streich ist nicht nur ein erfolgreicher Trainer, sondern auch jemand, der mit seinem badischen Akzent klare Meinungen zu gesellschaftspolitischen Themen vertritt. „Christian Streich ist der Hauptakteur des SC Freiburg. Ein hervorragender Trainer, der alles erlebt hat“, betont sein Förderer Robin Dutt im Gespräch mit dieser Zeitung.

Entscheidend sei für ihn jedoch die Ausrichtung des Vereins. Kontinuität ist dem Klub wichtig. Dutts prominenter Vorgänger Volker Finke war von 1991 bis 2007 Trainer in Freiburg und bereitete den Weg vor, den Dutt und Streich erfolgreich fortsetzten. „Es sollte kein reiner Trainer-Hype in Freiburg sein. Im Umfeld sind viele Menschen tätig, die Großartiges leisten und den Trainer in Ruhe arbeiten lassen.“

Ausnahmeerscheinung im Fußballgeschäft

Damit gehören die Freiburger im aktuellen Fußballgeschäft zu den Ausnahmen. Allein nach dem letzten Bundesliga-Spieltag am vergangenen Wochenende haben fünf Vereine einen Trainerwechsel verkündet. Streich ist mit einer Amtszeit von zehn Jahren und vier Monaten mit Abstand der dienstälteste Bundesliga-Trainer. 2014 stieg er mit dem SC Freiburg ab, das Vertrauen wurde ihm trotzdem nicht entzogen. Es hat sich ausgezahlt. In der abgelaufenen Spielzeit qualifizierte sich Streichs Mannschaft für die Europa League und kann nun in Berlin sogar einen Titel gewinnen. „Der Pokalsieg des SC Freiburg wäre die Auszeichnung eines einzigartigen Weges. Eines Weges der Nachhaltigkeit. Ein Titel wäre die Krönung“, unterstreicht Dutt.

Tedesco hat sich auf Schalke eine blutige Nase geholt

Streichs Erfolge nötigen auch dem Finalgegner Respekt ab. Freiburg sei aus Tedescos Sicht „ein deutscher Top-Verein“, SC-Trainer Streich „da nicht mehr wegzudenken“. Doch auch der Cheftrainer der Leipziger hat sich zuletzt viel Anerkennung erarbeitet. Tedesco übernahm den Vizemeister der Vorsaison im Dezember als Nachfolger des glücklosen Jesse Marsch. Vom elften Platz aus führte er RB zurück in die Champions League, ins Halbfinale der Europa League und in das DFB-Pokalfinale. Das Erfolgsrezept des in Italien geborenen Tedesco: taktische Variabilität und eine stabile Defensive. Mit nur 37 Gegentoren stellte Leipzig gemeinsam mit den Bayern die sicherste Bundesliga-Abwehr. Im Pokal gab es in fünf Spielen nur ein Gegentor.

Auch interessant

Schon in seiner ersten Bundesliga-Saison beim FC Schalke 04 zeigte Tedesco, dass er großes Potenzial besitzt. Mit dem Revierklub wurde er 2018 Vizemeister. Auch damals zeichnete seine Mannschaft ein starkes Defensivverhalten aus. In der Folgesaison folgte jedoch ein massiver Einbruch. Schalke geriet in Abstiegsgefahr, Tedesco musste gehen. „Auf Schalke hat er sich eine blutige Nase geholt. Doch daraus hat er gelernt“, meint Dutt, der eine Gemeinsamkeit mit Tedesco besitzt. Beide schlossen ihre Fußballlehrer-Lehrgänge als Beste ab. Dutt im Jahr 2005 mit einer 1,4, Tedesco 2016 sogar mit einer 1,0.

Tedesco wählt den Umweg über das Ausland

Tedesco ging nach der Enttäuschung auf Schalke den Umweg über das Ausland. Zwei Jahre war er erfolgreich beim russischen Topklub Spartak Moskau tätig, er wurde dort Vizemeister und bot sich so für eine zweite Chance in der Bundesliga an. Diese hat Tedesco in Leipzig bisher genutzt. „Die Erfahrung im Ausland hat ihm weitergeholfen“, sagt Dutt. „Er wirkt nun abgeklärter. Was er macht, hat Hand und Fuß. Er ist kein reines Trainer-Talent mehr, sondern auf dem Weg zu einem erstklassigen Trainer.“

Beim Pokalendspiel in Berlin steht Domenico Tedesco am Samstagabend mehr unter Druck als sein Freiburger Kollege Christian Streich. Beim vom Großunternehmen Red Bull unterstützten Ostklub ist die Erwartungshaltung eine andere als in Freiburg, wo neben sportlichen Erfolgen Nachhaltigkeit und Identifikation eine wichtige Rolle spielen. Das machte Streich am Tag vor dem Spiel deutlich. Seine Botschaft vor der wichtigsten Partie der Freiburger Vereinsgeschichte: „Wenn wir den Pokal gewinnen würden, wäre es toll. Und wenn wir nicht gewinnen, geht die Welt auch nicht unter.“