Köln. Basketball-Legende Dirk Nowitzki spricht über die Heim-EM. Das Turnier in Köln und Berlin wird auch für ihn ein ganz besonderes.
Wenn die besten Basketballer Europas ab 1. September um den EM-Titel spielen, wird er nur noch Zuschauen. Doch Dirk Nowitzki ist zufrieden. Der 43-Jährige, einst Superstar des NBA-Teams Dallas Mavericks und langjähriges Aushängeschild der deutschen Nationalmannschaft, ist schon jetzt als Botschafter der EM aktiv, deren Vorrunden in Köln, Mailand, Prag und Tiflis ausgetragen werden, bevor es zur Hauptrunde nach Berlin geht. „Ich freue mich jetzt schon riesig darauf“, sagt Nowitzki.
Herr Nowitzki, Sie sitzen hier in Köln, an dem Ort, an dem am 1. September Ihr Nationalmannschaftstrikot an die Hallendecke gezogen wird. Die Nummer 14 wird nicht mehr vergeben. Eine besondere Ehre?
Dirk Nowitzki: Eine riesige. Zumal es ja das erste Mal ist, dass der Deutsche Basketball-Bund überhaupt eine Trikotnummer nicht mehr vergibt. Ich freue mich wahnsinnig darauf, das wird bestimmt noch einmal sehr emotional. Ich werde die ganze Familie mitbringen.
Das Jahr 2022 war bisher ohnehin ein Jahr der Nowitzki-Ehrungen. Im Januar wurde Ihr Trikot bei den Dallas Mavericks an die Decke gezogen, jüngst wurden Ihre Leistungen beim Titelgewinn 2011 zum bisher besten europäischen Moment der NBA-Geschichte gewählt.
Dirk Nowitzki: 2021 war auch schon viel Trubel, es ist ja fast schon peinlich (lacht). Eine mehrjährige Tour der Ehrenveranstaltungen. Es fing ja damit an, dass in Dallas eine Straße nach mir benannt wurde. Dann kommt bald noch eine Statue vor die Halle. Es ist schon Wahnsinn, dass ich damals vor 24 Jahren aus Deutschland weg bin und durch den Basketball so eine Wirkung auf die Stadt hatte. Das macht mich schon stolz.
Hätten Sie rund drei Jahre nach dem Karriereende noch einmal mit so viel Aufmerksamkeit gerechnet?
Dirk Nowitzki: Es ist schon viel. Aber ich denke mal, dass es irgendwann abebben wird. Jetzt kommt die EM in Deutschland, dann die Statue in Dallas und eventuell irgendwann die Aufnahme in die Hall of Fame der NBA. Dann sollte es etwas ruhiger werden. Aber momentan macht es auch echt Spaß.
Sie genießen also das Leben als „Rentner“?
Dirk Nowitzki: Ja, ich kann viel reisen, und auch so habe ich immer etwas zu tun. Es gibt die Aktionen mit dem Deutschen Basketball-Bund, ich sitze in der Spielerkommission beim Weltverband Fiba und ich habe ja auch noch meine Stiftungen in Deutschland und in den USA. Hinzu kommen Sponsorentermine. Es ist also immer etwas los, aber nie so, dass ich sage: Es wird zuviel. Meine drei Kinder sind ja noch recht jung, die Zeit mit ihnen möchte ich entsprechend zu Hause genießen. Derzeit fühle ich mich richtig wohl.
Konkrete Karrierepläne gibt es nicht?
Dirk Nowitzki: Nein. Ich bin derzeit noch in einer Art Zwischenphase, in der ich ein bisschen was probiere. Noch will ich mich nicht festlegen und weiß selbst noch nicht, wo ich in fünf Jahren stehen werde. Irgendwas wird sich schon ergeben. Zurzeit bin ich bei den Dallas Mavericks als Berater tätig, es ist natürlich gut möglich, dass ich dort künftig stärker involviert sein werde.
Wir nähern uns ja langsam dem EM-Auftakt im September. Juckt es da manchmal nicht doch wieder in den Fingern?
Dirk Nowitzki: Klar, das wird schon schwer werden. Ich war ja bei der WM 2019 in China dabei. Bei einem Deutschland-Spiel zuzuschauen, wenn es nicht rund läuft und man selbst nichts machen kann – das war hart. Ein Gefühl der Hilflosigkeit. Mittlerweile bin ich da schon ein bisschen weiter drüber weg. Aber das wird mir schon fehlen, wenn ich dann in der Halle als Zuschauer sitze und dann Luka Doncic für Slowenien so ein unglaubliches Ding reinschießen wird. Dann wünscht man sich schon, dass man dieses Gefühl auf dem Spielfeld auch noch mal irgendwie haben kann. Wohlwissend, dass es nicht mehr wiederkommt. Das Kribbeln wird sicher immer bleiben, aber über die größte Hürde bin ich mittlerweile rüber.
Ihr linkes Sprunggelenk macht Ihnen ja größere Probleme, die 21 NBA-Jahre haben Spuren hinterlassen…
Dirk Nowitzki: Ja, es gibt gute und weniger gute Tage. Ich habe jetzt wieder acht Kilo abgenommen, das tut auch dem Fuß gut. Klar wird der Fuß nie wieder so sein wie vor 20 Jahren. Ich lerne aber, damit zu leben. Radfahren, Fitnesstraining – das geht derzeit alles. Probleme habe ich nur manchmal beim Tennisspielen. Jetzt muss ich nur mein derzeitiges Gewicht halten. Das ist aber nicht leicht. Wenn ich abends mit Freunden essen gehe und alle bestellen sich Wein und Dessert – puh, ich habe 20 Jahre lang ,Nein‘ gesagt. Das wird immer schwerer (lacht).
Sie haben 153 Länderspiele absolviert. Was hat Ihnen die Nationalmannschaft bedeutet?
Dirk Nowitzki: Es war immer eine riesige Ehre, für Deutschland zu spielen. Und auch ein Abenteuer. Ich hatte ja schon in den Jugendnationalmannschaften gespielt und bin durch Europa gereist – während viele andere Kids aus meiner Klasse nicht mal aus Würzburg rauskamen. Der Sport und die Nationalmannschaft haben mir so wahnsinnig viel ermöglicht im Leben. Klar blicke ich mit einem lachenden und manchmal auch mit einem weinenden Auge auf diese Zeit. Ich glaube, dass wir 2001 eine EM-Medaille verdient hatten, 2002 wäre bei der WM mindestens Silber möglich gewesen, es wurde Bronze. Aber die Erinnerungen sind insgesamt trotzdem tolle.
Was trauen Sie dem derzeitigen Team denn bei der EM im September zu?
Dirk Nowitzki: Es ist eine schwere Vorrunde in Köln, die besten Vier der Sechsergruppe kommen weiter. Titelverteidiger Slowenien wird rund um Luka Doncic eine tolle Mannschaft haben, Frankreich auch. Litauen ist immer gut und wird ein tolles Publikum mitbringen, auch Bosnien-Herzegowina ist gefährlich. Wenn du weiterkommen willst, ist auf jeden Fall ein Sieg gegen Ungarn also Pflicht. Nichts gegen Ungarn, aber die muss man schlagen, um aus der Vorrunde rauszukommen. Aber ich denke, wir haben viel Potenzial. In Berlin in der Hauptrunde ist dann alles möglich. Es gibt keinen großen Favoriten
Freuen Sie sich schon auf Berlin?
Dirk Nowitzki: Ja klar, Berlin ist toll. Wegen der vielen Neu- und Umbauten war es ja zweitweise etwas unübersichtlich. Aber in den letzten Jahren ist Berlin für mich zu einer der besten Städte in Europa geworden. Da gibt es alles, coole Restaurants, tolle Hotels. Ich freue mich schon darauf, wieder eine Woche in Berlin zu sein. Ich bin ja regelmäßiger dort, mindestens einmal im Jahr wegen verschiedener Events und ich komme immer gerne wieder.
2015 waren Sie auch dort. Bei der Heim-EM war für die deutsche Mannschaft aber bereits in der Vorrunde Schluss, danach traten Sie aus der Nationalmannschaft zurück. Haben Sie trotzdem gute Erinnerungen daran?
Dirk Nowitzki: Sportlich war die EM in Berlin leider enttäuschend, ich selbst habe auch kein gutes Turnier gespielt. Aber es endete mit einem wunderschönen Moment. Nach dem letzten Spiel bin ich noch mal in die Halle für ein kurzes TV-Interview. Und die Zuschauer waren noch da und es gab lauten Applaus. Das war unglaublich. Diesen Abschied werde ich nie vergessen, das Bild habe ich heute noch vor Augen, wie sich hinter mir alle erheben. Klar wäre ich lieber zur Endrunde nach Frankreich weitergereist, aber so endete das Kapitel immerhin bittersüß.
Wussten Sie damals schon, dass der Berlin-Auftritt ihr letzter als Nationalspieler sein wird?
Dirk Nowitzki: Ich war damals ja schon 37 Jahre alt. Es hatte sich schon abgezeichnet, zuletzt hatte ich eh 2011 die EM in Litauen gespielt, dann gab es eine längere Pause. Also ja, es war schon naheliegend.
Können Sie sich in Deutschland überhaupt unerkannt bewegen?
Dirk Nowitzki: Sagen wir mal so: Durch einen Hauptbahnhof würde ich sicher nicht laufen (lacht). Aber das geht schon. Ich kann schon Spaß haben, schöne Dinge erleben und Freunde treffen.
Ist es in Dallas anders?
Dirk Nowitzki: Das nimmt sich jetzt nicht viel. Auch in Dallas verstecke ich mich nicht, wir machen da auch schöne Sachen. Ich gehe mit den Kids auf den Fußballplatz und zum Tennistraining. Aber klar, samstags würde ich auch nicht ins Einkaufszentrum mit 20.000 Leuten gehen. Ein bisschen vorplanen muss man also schon. Aber ich lebe da voll mein Leben und will mit den Kids so viel involviert sein wie möglich.
Eine Rückkehr nach Deutschland ist also kein Thema?
Dirk Nowitzki: Das glaube ich nicht. Zumindest in naher Zukunft. Es liegt ja schon nahe, dass ich künftig bei den Mavericks etwas machen werde. Meine Kinder sind in Dallas geboren, gehen dort zur Schule und meine Frau steigt bald auch wieder voll in die Arbeit ein. Sie hat da ihr Netzwerk, ich habe meins – das passt für uns als Familie. Aber ich will da auch keine Türen zuschlagen, alles kann sich so schnell ändern.
Wie sehen Sie denn den die Entwicklung am Basketball-Standort Berlin?
Dirk Nowitzki: Wahnsinn, dass sich Alba so lange gehalten hat. Damals in den 90ern drehte sich ja noch alles um Bayer Leverkusen mit Henning Harnisch. Da war ich selbst großer Fan. Da kam Berlin gerade hoch. Dass sie so lange auf diesem Niveau halten, ist toll und vollkommen verdient für eine Hauptstadt. Da brauchst du natürlich auch das richtige Umfeld und Sponsoren, die einen so lange unterstützen. Die Arbeit mit der Akademie, die sozialen Sachen – ich glaube, dass sie ein tolles Rundum-Paket aufziehen. Da passt alles.
Was genau sind denn Ihre Aufgaben als EM-Botschafter?
Dirk Nowitzki: Das haben wir noch gar nicht so richtig definiert. Ich werde die Werbetrommel rühren und hoffentlich die Hallen vollbekommen. Ich bin aber auch nicht nur deutscher EM-Botschafter, sondern Botschafter der ganzen EM. Es kann also sein, dass ich auch mal Spiele in Italien gucke. Aber soweit ist das noch gar nicht geplant. Ich freue mich einfach, dabei zu sein und helfen zu können.
Wird der sportliche Erfolg auch davon abhängen, ob Dennis Schröder diesmal mitspielen kann? Im vergangenen Jahr ging es aus versicherungstechnischen Gründen ohne den derzeit bekanntesten deutschen Basketballer zu den Olympischen Spielen.
Dirk Nowitzki: Wir hoffen natürlich, dass er spielen wird. Seine vertragliche Situation wird sich ja im Sommer klären. Und wenn nicht – im letzten Sommer hat die deutsche Mannschaft gezeigt, dass sie auch ohne viele NBA-Profis gut spielen kann. Mit Maodo Lo als Aufbauspieler und vielen jungen Talenten. Wir sind ja richtig gut besetzt, auf den großen Positionen fast schon übergut besetzt, wenn wir auf alle Spieler setzen können. Wir müssen den Sommer abwarten, wer alles spielen kann – aber bei einer Heim-EM müssten alle darauf brennen, dabei zu sein.
Macht Sie das generell stolz, dass Deutsche nicht länger wie Sie zu Beginn eher Exoten in der NBA sind?
Dirk Nowitzki: Definitiv. Sieben deutsche Spieler sind es derzeit, wer hätte das jemals gedacht? Es freut mich, dass der Sport in Deutschland und in der ganzen Welt populärer geworden ist. Damals haben wir immer versucht, zumindest die Vorbereitungsspiele auf die großen Turniere in Deutschland zu absolvieren, um den deutschen Fans etwas zu geben. Sonst mussten sie ja mitten in der Nacht aufstehen, um mich spielen zu sehen. Wenn der eine oder andere damals davon inspiriert wurde und heute in der NBA spielt – da schließt sich der Kreis.
Einer davon ist der Berliner Franz Wagner, der eine starke erste Saison spielt.
Dirk Nowitzki: Franz hat uns alle überrascht. Ich habe schon mehrere Spiele von ihm gesehen, auch live. Er ist ein unglaublich toller Allround-Spieler für sein Alter. Ich glaube, dass wir einen richtig guten Kader haben können. Aber entscheidend wird sein, dass alle auf den Punkt fit sind. Sonst ist es egal, wie gut der Kader ist.