Bonn. Silke Sinning gewann bei der DFB-Präsidiumswahl überraschend gegen Rainer Koch. Sie will für einen Neuanfang stehen. Kann das gelingen?

Silke Sinning stand vor der Bühne im Bonner World Conference Center, auf der soeben Historisches geschehen war, und war ziemlich überwältigt. Dieses Ergebnis hatte niemand auf dem Zettel gehabt, sie am allerwenigsten: Sinning ist nun Mitglied im Präsidium des Deutschen Fußballbunds. Und sie war mit einem schier unglaublichen Ergebnis eingezogen: 163 Delegierte hatten für die nahezu unbekannte Sportwissenschaftlerin gestimmt, 68 nur für den langjährigen 1. Vizepräsidenten Rainer Koch – „diesen starken Mann des deutschen Fußballs“, wie Sinning es selbst formulierte, als sie die Fassung zurückgewonnen hatte.

Erkennbar nervös war die 52-Jährige bei ihrer Bewerbungsrede gewesen. „Hauptsache, ich bekomme einen Achtungserfolg“, dachte sie, als sie von der Bühne ging. „Dass es so deutlich wird, damit habe ich nicht gerechnet.“ Aber im Bonner Kongresszentrum entlud sich jahrelang aufgestauter Ärger über Sinnings Gegenkandidaten Koch in einer fulminanten Abrechnung.

Gewaltige Abfuhr für Rainer Koch

Die Delegierten, sonst nur als Abnicker der vorher ausgekungelten Personalien vorgesehen, durften erstmals wählen. Sie wählten Bernd Neuendorf mit 193:50 Stimmen gegen Peter Peters ins Amt des DFB-Präsidenten. Und sie erteilten dem ewigen Strippenzieher Koch eine gewaltige Abfuhr.

Der umstrittene Interims-Präsident Rainer Koch wurde von den Delegierten des DFB-Bundestags nach 15 Jahren im DFB-Präsidium nicht wieder in die Verbandsspitze gewählt.
Der umstrittene Interims-Präsident Rainer Koch wurde von den Delegierten des DFB-Bundestags nach 15 Jahren im DFB-Präsidium nicht wieder in die Verbandsspitze gewählt. © Firo | Unbekannt

Dessen Name war ja immer wieder aufgekommen, wenn in den vergangenen Jahren Affären hochkochten und Verbandspräsidenten gehen mussten. Der 63-jährige Jurist hatte es stets geschafft, zwar im Mittelpunkt des Geschehens zu sein, aber aus allen Verwerfungen im Verband unbeschadet hervorzugehen. Als Präsident der Konferenz der Landes- und Regionalverbände und als gewiefter Strippenzieher verstand er es stets, die Funktionäre aus dem Amateurlager hinter sich zu versammeln, die beim DFB die Mehrheit stellen.

Silke Sinning bekam viel Zuspruch – und trat an

Diesmal aber hatte sich Koch verkalkuliert: Bis zuletzt glaubte er nicht, dass seine Gegenkandidatin antreten würde. Die war ja Mitglied im Team Peters und hatte angekündigt, zurückzuziehen, falls dieser nicht gewählt werde. Deswegen hatte ausgerechnet Kochs bayerischer Verband sie für die Wahl vorgeschlagen – als gönnerhaftes Zeichen, wie wenig Angst man vor einem demokratischen Entscheid hat.

Doch als sich in den vergangenen Tagen abzeichnete, dass es anders kommen könnte, wurde Koch zunehmend nervös, hinter den Kulissen wurde Sinning immer stärker bearbeitet. „Ich musste einiges über mich ergehen lassen, das war nicht einfach“, deutete sie an. Aber weil sie viel Zuspruch bekam – vor allem von Vertretern des Profilagers – rang sie sich zur Kandidatur durch: „Ich hatte meiner Tochter zugesagt, dass ich den Mut aufbringe.“

Sehr viel Neuanfang beim DFB

Und als sie dann tatsächlich ins Rennen ging, war es vorbei mit Kochs Demokratieverständnis, in seiner Bewerbungsrede fiel die Maske. Man möge doch bitte den Kandidaten wählen, den das Präsidium des Süddeutschen Verbands einstimmig nominiert hatte – nämlich Koch selbst. „Und wenn sie mich nicht bestätigen können, dann bitte ich Sie, sich an der Wahl nicht zu beteiligen“, rief er. Es raunte und zischte im Auditorium, viele Entsandte der Profiklubs lachten laut auf. In diesem Moment hatte Koch die Wahl endgültig verloren. „Der Auftritt war entweder dumm oder arrogant“, wunderte sich Westfalens Verbandschef Gundolf Walaschewski. „Er hat sich wie bei Selbstmord aus Angst vor dem eigenen Tod die Chancen verbaut.“

Die Granden um Koch hatten in den Tagen zuvor zwar immer von Neuanfang gesprochen, so viel Neuanfang aber hatten sie dann doch nicht gewollt. Der gesamte geschäftsführende Vorstand ist nun neu besetzt, es gibt einen neuen Präsidenten, in Heike Ullrich bald eine neue Generalsekretärin, statt einer plötzlich fünf Frauen im Präsidium – und Sinning als sichtbarstes Zeichen des Wandels. „Die Basis hat deutlich gesagt, dass sie gerne Veränderung wollen“, sagte Sinning. „Und diese Wahl ist ein Zeichen, dass sich etwas verändern soll. Das nehme ich natürlich als Auftrag an.“ Für mehr Transparenz und Demokratie wolle sie stehen, für die Aufklärung der dunklen Vergangenheit des Verbands?

Es bleiben starke Beharrungskräfte

Aber wie gut aber kann ihr das gelingen? Wie stark sind die Beharrungskräfte trotz Kochs Abwahl? Der neue Präsident Neuendorf hat im Wahlkampf stets seine Unabhängigkeit betont, aber seine Wahl hat er auch der großen Unterstützung Kochs zu verdanken. Ronny Zimmermann, 1. Vizepräsident Amateure und damit neuer starker Mann, war jahrelang treuer Gefolgsmann des Strippenziehers. Am Vorabend der Wahl soll er laut Süddeutscher Zeitung den Regional- und Landesverbandschefs das geschrieben haben, was Koch tags drauf sagte: Ja, man habe Sinning vorgeschlagen, um nicht undemokratisch zu wirken – aber nun sollten die Verbände doch bitte für Koch stimmen. Es wird spannend zu sehen, wie gut die Zusammenarbeit künftig gelingt.

Sinning aber hat schon bewiesen, dass sie beharrlich sein kann, dass sie sich gegen Widerstände durchsetzen kann. Stück für Stück hat sie sich nach oben gearbeitet, über Kreis-, Landes- und Regionalverband. Zehn Jahre saß sie im Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball des DFB. Nun aber steht ihr die bislang größte Aufgabe bevor.