Peking. Die deutschen Biathlon-Frauen haben ihr Ziel erreicht: In der Staffel holten sie Olympia-Bronze. Gefeiert wurde sie wie Gold.
Als der erste Jubelsturm vorüber und das Adrenalin im Körper gesunken war, atmete Franziska Preuß tief durch. „Diese Medaille bedeutet mir, bedeutet uns allen, extrem viel“, sagte sie und wirkte sichtlich erleichtert. In einem spannenden 4x6-km-Rennen hatte sich die deutsche Frauenstaffel in Zhangjiakou Bronze hinter Schweden und Russland gesichert.
Die zweite Medaille für die deutschen Biathleten nach Denise Herrmanns Einzel-Gold wurde gefeiert wie ein Sieg. Und es schien, als hätte die Bayerin in diesen Momenten des Glücks ihren Frieden mit Olympia geschlossen.
Rückblick, Sotschi 2014: In den Stunden vor dem Staffelrennen hatten die Dopingenthüllungen um Evi Sachenbacher-Stehle das deutsche Team völlig geschockt. Unter dem Eindruck der Geschehnisse musste ausgerechnet die erst 19-jährige Preuß als Erste in die Spur. Schon nach 600 Metern stürzte sie, hatte teilweise nur einen Stock zur Verfügung und kämpfte am Schießstand mit Schneeresten in der Visiereinrichtung – und den Tränen. Weil alle Missgeschicke zusammen jede Menge Zeit kosteten, war der Wettkampf gelaufen, noch ehe er richtig begonnen hatte. Am Ende stand Platz elf.
Rückblick, Pyeongchang 2018: Wieder begann Preuß, wieder verlor sie beim Schießen die Nerven. Kurioserweise war es ein Treffer, der sie aus dem Konzept brachte. Sie lud nach, obwohl die Scheibe (verzögert) gefallen war, musste die Patrone wieder heraus repetieren und bekam dieses Malheur nicht mehr aus dem Kopf. Die Stehendprüfung ging gänzlich daneben. Strafrunde. Der Anfang vom Ende – und Rang acht.
Auch die Spiele 2022 standen für Preuß bislang unter keinem günstigen Stern. Im Dezember zog sie sich bei einem Treppensturz eine Fußverletzung zu, dann bremste sie eine Corona-Infektion aus. Die achtwöchige Zwangspause hinterließ Spuren. Die letztjährige Gesamtweltcup-Dritte kam bei ihren drei Auftritten in Zhangjiakou nicht über die Plätze 25 (Einzel), 30 (Sprint) und 15 (Verfolgung) hinaus. Gefrustet stellte sie anschließend die Sinnfrage: „Mich nervt es richtig, weil ich nicht der Biathlet sein kann, der ich bin und sein möchte. Ich sehe gerade keinen Sinn mehr, noch weiterzumachen.“
Doch die Teamkolleginnen fingen sie auf. Gemeinsam schworen sie sich auf die Staffel ein und lieferten bei eisiger Kälte ein beherztes Rennen ab. Allen voran: Vanessa Voigt. Die Thüringer Startläuferin, die im Mixed-Wettbewerb noch bitteres Lehrgeld gezahlt hatte, überzeugte mit makellosem Schießen und couragiertem Auftritt in der Loipe. Sie übergab als Führende an Vanessa Hinz und verriet hinterher: „Es ist genau dieses perfekte Rennen gewesen, was ich mir erträumt hatte.“
Angefeuert von den mitfiebernden Skispringern Karl Geiger und Markus Eisenbichler mischte Hinz weiter in der Spitzengruppe mit und überstand ihre Wackeldisziplin, das Stehendschießen, mit zwei Nachladern. Als Vierte übergab sie mit einem Rückstand von 46 Sekunden an Preuß, die ebenfalls zwei Extrapatronen benötigte. Sie verkürzte den Abstand nach vorn auf 37 Sekunden und schickte Herrmann auf der gleichen Position los.
Die Sächsin zündete sofort den Turbo, überholte nach dem Liegendschießen Italien und befand sich trotz zweier Nachlader auf Medaillenkurs. Fast hätte sie jedoch ihrem enormen Anfangstempo Tribut zollen müssen, weil Norwegen mit der herausragenden Marte Olsbu Röiseland mächtig aufkam. Doch mit letzter Kraft rettete Herrmann den kostbaren dritten Platz ins Ziel – 37 Sekunden hinter Olympiasieger Schweden und den Russinnen.
Im Ziel lag die 34-Jährige dann schwer atmend auf dem Bauch. Zu erschöpft, um sich selbst der Ski und Stöcke zu entledigen. Das übernahmen die überglücklichen Teamkolleginnen und fielen der Schlussläuferin anschließend in die Arme. „So bin ich auf der letzten Runde noch nie gestorben“, erklärte Herrmann drastisch, aber selig lächelnd. Für die deutschen Biathletinnen war es indes eine Wiederauferstehung nach den olympischen Staffel-Pleiten.
Disziplintrainer Kristian Mehringer strahlte mit seinen Schützlingen um die Wette: „Wir wollten diese Medaille unbedingt und sind jetzt superglücklich.“ Mit Freudentränen in den Augen genoss vor allem die so häufig vom Pech verfolgte Franziska Preuß den Erfolg: „Das war sehr emotional. Es tut so gut, wenn nach den ganzen Tiefs auch mal ein Höhenflug kommt.“
Ungeachtet des abschließenden Massenstarts am Samstag kündigten die Frauen für den Abend eine krachende Party in der Unterkunft an. Denn mit zwei Medaillen haben sie schon mehr errungen, als ihnen vor den Olympischen Spielen zugetraut wurde.