Yanqing. Nächste deutsche Goldmedaille bei Olympia: Christopher Grotheer war im Skeleton am schnellsten, Axel Jungk komplettiert den Doppelsieg.

. Er hat ihn gezähmt. Vier Mal raste Christopher Grotheer wie auf Schienen über den Rücken des Eisdrachens. Der Ritt auf dem fast zwei Kilometer langen „Beton-Ungeheuer“ in der Steinwüste von Yanqing endete mit einem verdienten goldenen Lohn wie in einem chinesischen Märchen.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Olympische Winterspiele: Durststrecke im Skeleton endet

Während die Konkurrenten vom tückischen Eis-Riesen immer wieder aus dem Rhythmus gebracht wurden, hatte der Wahl-Thüringer die Fahrlinie in Kurven und Geraden fest im Griff. Der „Drachenflüsterer“ aus Oberhof schmiegte sich, wie mit seinem Schlitten verwachsen, mit insgesamt 0,66 Sekunden Vorsprung ins Ziel. Erster deutscher Olympiasieger im Skeleton. Der gebürtige Wernigeröder hatte Sportgeschichte geschrieben.

Hinter dem 29 Jahre alten Grotheer, der für den Bob-Racing-Club Thüringen in Oberhof startet, holte Axel Jungk (30) die zweite deutsche Medaille. Der Dresdner ging Risiko und wurde mit Silber belohnt. Bronze ging an Wengang Yan. Es war die erste internationale Medaille für China im Skeleton. Achter mit Materialproblemen wurde Alexander Gassner aus Winterberg.

„Das ist alles noch so unwirklich. In den letzten zwei Jahren habe ich an so etwas aber immer mehr geglaubt. Dieses Gold habe ich im Kopf gewonnen. Ich bin unfassbar stolz auf mich“, sagte der Olympiasieger. Sein langjähriger Trainer Christian Baude, der bei der Siegerehrung vor Freude heulte, fand: „Die ersten drei Läufe waren der Wahnsinn, im vierten Lauf ging er auf Nummer sicher.“

Sein sächsischer Kollege Jungk, der ebenfalls einen schweren Weg voller Verletzungen bis zum Erfolg beschritten hatte, sagte: „Es hat sich alles ausgezahlt, die ganzen körperlichen Probleme. Das war es wert.“

GYI_1369671873.jpg
© Getty

Grotheers Weg auf den Skeleton-Schlitten, bei dem man mutig mit dem Kopf voran teils mit über 130 Sachen durch die Eisrinne brettert, war nicht vorgezeichnet. Mit 14 Jahren kam der Harzer Junge 2006 nach Oberhof ans Sportgymnasium und wollte Skispringer werden. „Doch ich wurde zu schwer und mein Trainer Rainer Schmidt, Olympiadritter von 1972 in Sapporo, empfahl mir, es doch besser im Skeleton zu versuchen. Eigentlich war mein Plan, dann mit 18 Bobfahrer zu werden, doch ich bin glücklicherweise beim Skeleton geblieben“, erzählte Grotheer. 2012 debütierte er mit 20 im Weltcup. 2013 in Igls und 2015 in Altenberg wurde er Juniorenweltmeister. 2017 feierte der Polizist – wieder in Altenberg – seinen ersten Weltcup-Triumph.

Es ging langsam aber stetig immer nur bergauf für den stillen Typen. 2019 war er aber plötzlich raus aus dem Geschäft. Grotheer verpasste in der internen Qualifikation die Weltcupplätze. Ein Schock, denn im Winter zuvor war er als WM-Vierter noch erfolgreichster deutscher „Bauchrodler“ gewesen. Nur weil der bereits nominierte Felix Keisinger Juniorenweltmeister wurde und ein Extra-Startrecht erhielt, durfte Grotheer 2020 bei der WM auf seiner Lieblingsbahn in Altenberg überhaupt antreten.

Der 83 Kilo schwere und 1,80 Meter große Athlet hatte davor alles auf den Prüfstand gestellt. Mit gnadenlosem Krafttraining wollte er seine Startzeiten verbessern. Doch das ging in die Hose. Bei der Suche nach dem Problem landeten Grotheer und sein Trainer bei Gewicht und Aerodynamik. „Von dir sieht man beim Fahren nur den Arsch“, scherzte Jungk wegen des muskelbepackten Hinterteils Grotheers.

Was bei Frauen vielleicht heiß ankommt, war beim Skeleton zu viel des Guten. Grotheer ließ Kohlenhydrate weg und disziplinierte sich. Mit Erfolg. Der Mann aus Oberhof schaffte den Durchbruch, holte zweimal in Folge den WM-Titel in Altenberg, wo die Meisterschaft wegen Corona zweimal hintereinander ausgetragen wurde. Der ewige Grübler hatte sein wahres Ich gefunden. Körper und Psyche standen endlich im Einklang.

In diesem Winter ließ sich Grotheer nicht aus der Ruhe bringen. „Es dauerte ein wenig, bis ich mich mit der Bahn in China angefreundet hatte“, sagte er nach dem Trainingslager im November in Yanqing. Im Weltcup trat er diesmal von Beginn an stark auf, sicherte sich früh das Olympiaticket. Sechs Mal stand Grotheer auf dem Podest, siegte in Innsbruck zusammen mit dem Briten Weston und Geng (China). „Das ist die beste Saison meines Lebens“, erklärte er vor Olympia.

Nur Corona hätte Grotheer stoppen können

Grotheer hatte nur eine Furcht. Den K.o.-Schlag durch eine Corona-Infektion. „Das wäre die Horrorvorstellung“, meinte er vor der Abreise. Während es seinen Kollegen Jungk „rechtzeitig“ vor der Abreise erwischte, kam Grotheer gesund durch. Immer in einer Blase, Weihnachten nur mit der ständig getesteten Verlobten und deren Schwester, kaum noch Einkäufe, kein Restaurant. Grotheer tat einfach alles, um dem Virus zu entgehen.

Nun darf er endlich wieder alle Lieben in die Arme schließen. Vor allem Mary-Ann, in die er seit vier Jahren verliebt ist. Beide wollen im Mai heiraten, erwarten im Sommer ein Kind. Das Paar baut im Schleusinger Ortsteil Erlau im Thüringer Wald ein Haus. Eine goldene Zukunft ist bereitet. Wie im Märchen.