Essen. Am Sonntag spielen Los Angeles und Cincinnati um den Super Bowl. In Deutschland hat die Football-Liga NFL immer mehr Fans. Die Gründe.
Touchdown, Field Goal, Quarterback, Interception: In der Nacht zu Montag werden diese Begriffe ab 0.30 Uhr (ProSieben und DAZN) wieder deutsche Wohnzimmer erobern. Doch anders als vor einem Jahrzehnt werden ziemlich viele Zuschauer damit etwas anzufangen wissen, wenn die Los Angeles Rams und die Cincinnati Bengals um den 56. Super Bowl spielen. Die Aussicht auf fettige Snacks und Bier ist nicht (mehr nur) die einzige Motivation, die Nacht zum Tag zu machen. Immer mehr junge Menschen werden von der NFL in den Bann gezogen, in einer Erhebung hängt sie traditionelle Sportarten wie Handball und Eishockey ab. Aber warum eigentlich?
33,8 Prozent der 14- bis 49-Jährigen kamen nach einer Befragung der AGF Videoforschung im Jahr 2021 mindestens einmal im Fernsehen mit American Football in Kontakt. Einen höheren Wert hat nur: König Fußball. Es ist eine Zahl, die kurz vor dem Super Bowl aufhorchen lässt. „Diese Studie bestätigt unsere Überzeugung, dass American Football kein Nischenprodukt, sondern in der Mitte der sportbegeisterten Gesellschaft angekommen ist“, sagt etwa Zeljko Karajica, Geschäftsführer der European League of Football (EFL). Zur Untermalung erreichte Deutschland in der Super-Bowl-Woche die Nachricht, dass München und Frankfurt Gastspielorte der NFL werden. Düsseldorf bleibt weiter im Gespräch, das Team Rhein Fire startet ab Sommer 2022 in der EFL.
Ist das alles nur ein temporäres Phänomen – verschwindet die NFL bald wieder vom Radar der deutschen Sport-Fans? Die Zahlen des deutschen Rechteinhabers ProSiebenSat.1 widerlegen diese Ansicht. Vor zwanzig Jahren schalteten sich beim Super Bowl gerade mal 480.000 Zuschauer bei Sat.1. zu. Der Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen lag bei 18,4 Prozent. 2014 knackte der Super Bowl erstmals die Millionen-Marke. Im vergangenen Jahr schließlich schauten 2,23 Millionen Football-Fans zu. Die Quote bei der Hauptzielgruppe lag bei 58 Prozent.
TV-Kommentator Buschmann konzipierte Football-Sendung
Einer, der gut beurteilen kann, warum die NFL so viele Fans gewinnt, ist Frank Buschmann. 2012 hatte der TV-Kommentator den Super Bowl kommentiert, auch wenn er Basketball-Experte war. „Ehrlich gesagt fand ich das als Fan reizvoll und spannend, mal zum Super Bowl zu kommen“, blickt der 57-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung zurück. „Ich hätte niemals gedacht, dass das so eine Geschichte wird. Damals war die NFL vor allem etwas für Football-Freaks – und die hatten alle mehr Ahnung als ich.“
Doch als die Sendergruppe Buschmann 2015 damit beauftragte, unter der Marke „ran“ eine Football-Sendung am Sonntagabend aufzubauen, die jeweils ab 19 Uhr zwei Spiele parallel zum „Tatort“ überträgt, und ihm größtmögliche Freiheiten einräumten, fühlte er sich wie auf einer Spielwiese. Als Top-Experten verpflichtete er Patrick Esume (48), damals ein lediglich in Fachkreisen bekannter Football-Trainer. Esume begann aber damit, Deutschland verständlich Football zu erklären, baute sich seine eigene Marke auf mit dem Spitznamen „Coach“. Sein Buch wurde zum Bestseller, er ist ein gefragter Werbepartner, sein Podcast gehört zu den erfolgreichsten in Deutschland.
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Zudem konzipierte Buschmann gemeinsam mit dem Fernsehredakteur Christoph Dommisch die Figur eines „Netmans“. Dommisch selbst, wegen seines Berliner Akzents „Icke“ genannt, übernahm diese Rolle, begleitet seitdem jede Football-Sendung, verfolgt zahlreiche Social-Media-Kanäle, präsentiert Fans live in der Sendung. Der Gesprächston ist locker, es wird viel gelacht. So wurde „ran“ in einer jungen Zielgruppe bekannt, die nun zum Ausklang einer Woche wieder vor dem TV-Gerät sitzt. Aber nicht mehr den Tatort schaut, sondern Football.
Die Sonntagsübertragungen, sagt Buschmann, hätten viel zum Erfolg beigetragen. Dies diesjährigen Play-offs erzielten auf ProSieben einen Markanteil von 14,3 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen. 2015, beim Start des Projekts, waren es noch 6,7 Prozent gewesen. Doch Buschmann nennt zwei weitere Gründe: „Punkt 1: Der Super Bowl ist die perfekte Eventisierung eines Wettbewerbs. Für die Deutschen ist vieles, was aus den USA kommt, eine heilige Kuh. Sie finden es einfach geil.“ Und zweitens, sagt er: „Fußball bleibt immer die Nummer 1. Aber ganz junge Leute spricht die Bundesliga nicht mehr so an. Es fehlt das Maß, die Nahbarkeit, die Überraschung.“
Cincinnati Bengals waren vor drei Jahren das schlechteste Team
Denn der aktuelle Super Bowl ist das perfekte Beispiel, was die NFL den europäischen Ligen voraus hat. Die Bengals waren vor drei Jahren das schlechteste NFL-Team, vor zwei Jahren das fünftschlechteste. Nun stehen sie im Finale und ihnen wird eine große Zukunft vorhergesagt. Das liegt an einigen NFL-Regeln, die den spannenden Wettbewerb garantieren sollen – zum Beispiel eine Gehaltsobergrenze. Die Gehaltskosten der 32 Teams dürfen eine gewisse Summe nicht überschreiten (in dieser Saison 182,5 Millionen Dollar). Die Bengals nutzten den Draft perfekt, dort dürfen die schlechtesten Teams die besten Talente der Universitäten auswählen – sie holten 2020 Quarterback Joe Burrow und 2021 Passempfänger Ja’Marr Chase. Sie bildeten in diesem Jahr eins der besten Duos. Die Gehaltsobergrenze nutzten die Bengals durch geschickte Transfers zudem besser als 30 andere Teams, die nun nicht im Super Bowl stehen.
Ganz unkritisch sieht Buschmann die NFL aber nicht. Sie sei die „perfekte Kohlemaschine“, die Märkte erobern wolle. „In den USA stört das aber niemanden. Die Klubs sind Unternehmen, und jeder weiß das. Es gibt keine Fankultur wie im deutschen Fußball.“ Zuweilen werden Teams verlegt – die Los Angeles Rams hießen bis 2016 St. Louis Rams und spielten 2900 Kilometer entfernt. Für die Rams und das zweite L. A.-Team Chargers wurde das 2,4 Milliarden Euro teure SoFi Stadium gebaut, das teuerste Stadion der Welt, Fassungsvermögen 100.240 Zuschauer. NFL, die Liga der Superlative.
Gehaltsobergrenze auch im Fußball?
Könnte sich der europäische Fußball etwas abschauen? „Warum nicht mal über eine Gehaltsobergrenze nachdenken?“, sagt Buschmann. „Oder die Wettbewerbe unterhaltsamer machen? Man stelle sich mal vor, der Fußball würde im Fernsehen mit so viel Spaß, Sarkasmus und Ironie präsentiert wie die NFL. Es würde ein Aufschrei der Verantwortlichen geben. Aber warum eigentlich?“
In diesem Jahr sitzt Buschmann vor dem TV-Gerät, nicht im Stadion. Er kommentiert inzwischen wieder Fußball bei Sky. Dass aber Millionen, die das Spektakel in Deutschland verfolgen, wissen, dass ein Touchdown sechs Punkte bringt, ist auch sein Werk.