Yanqing. Die Teamstaffel gewinnt vor Österreich und Lettland. Natalie Geisenberger ist nun Deutschlands erfolgreichste Winterolympionikin.

Die Schlittenfahrt ins goldene Glück war tatsächlich erst mit der finalen Kurve, dem letzten Anschlag am Touchpad vollbracht. Mit acht Hundertstelsekunden Vorsprung auf Österreich hatte Deutschland auch den vierten olympischen Rennrodel-Triumph unter Dach und Fach gebracht. Natalie Geisenberger, Johannes Ludwig und die Doppelsitzer Tobias Wendl/Tobias Arlt kratzten einmal mehr historische Marken ins Eis. Mit vier Goldmedaillen und zwei Silbernen waren die deutschen Rodler noch erfolgreicher als in Sotschi und Pyeongchang. Und mit ihrer sechsten olympischen Goldmedaille rückten Geisenberger und Wendl/Arlt im Olymp der erfolgreichsten deutschen Wintersportler an Claudia Pechstein vorbei.

Dieser Status war der Olympiasiegerin aus Bayern allerdings erst mal reichlich egal. „Das kommt vielleicht, wenn ich älter bin“, sagte Geisenberger, „jetzt genieße ich erst einmal diesen Moment.“.

Die Deutschen mussten tatsächlich lange zittern, Wendl/Arlt gingen mit dem Rucksack von einer Zehntelsekunde Rückstand – im Rodeln eine kleine Ewigkeit - in die Bahn. Im österreichischen Quartett hatten vor allem Madeleine Egle und Vize-Olympiasieger Wolfgang Kindl mit famosen Läufen vorgelegt – beiden waren schneller unterwegs als Geisenberger und Ludwig. Und so sprang die Ampel bei den Zwischenzeiten von Wendl/Arlt erst spät auf Grün, signalisierte dann einen hauchdünnen Vorsprung, den die beiden bei einem letzten Schlenker kurz vor dem Ziel fast noch verspielt hätten. Ein Rodel-Krimi, der keinen im National Sliding Center kalt ließ, weil ihn Kommissar Wendl erst mit seinem letzten Fausthieb an das Pad klärte – und der zugleich ein Plädoyer dafür war, wie spannend und mitreißend der scheinbar so unnahbare Kufensport sein kann.

Johannes Ludwig: "Der Druck am Start war groß"

„Es sind drei Läufe, die in eine gemeinsame Leistung fließen, also besteht auch drei Mal die Chance, es zu verpatzen“, sagte Andi Langenhan, Vizeweltmeister 2013 und 2016 und heute Stützpunkttrainer in Oberhof. Dass das, was so leicht aussieht, eine ziemliche Last sein kann, verspürte Johannes Ludwig: „Deutschland ist eine Rodelnation, und jeder erwartet von uns Gold. Da wird der Druck am Start manchmal ganz schön groß.“ Umso glücklicher sei er jetzt, so der Oberhofer.

Deutschlands erfolgreichste Winterolympionikin: Natalie Geisenberger.
Deutschlands erfolgreichste Winterolympionikin: Natalie Geisenberger. © Getty

In der Stunde des kompletten Erfolges wirkte sogar Bundestrainer Norbert Loch berührt wie selten. „Ich bin kein Medaillenzähler“, sagte er, „ich bin fokussiert auf den Höhepunkt. Das haben wir hervorragend gemacht. Das zählt für mich. Ich bin unheimlich stolz auf die Truppe.“ Und er lobte ausdrücklich auch noch einmal die gestürzte Julia Taubitz für ihren starken letzten Lauf im Damenrennen.

So logisch der deutsche Kufenerfolg scheint, so hart ist er erarbeitet. Das Geheimnis liegt vor allem in der einzigartigen sportlichen Infrastruktur begründet. Neben intensiver Materialforschung und der engen Zusammenarbeit mit BMW und dem Berliner Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES), sind es die vier Bahnen und vier Trainingsstützpunkte, die für einen ungebremsten Quell an Talenten sorgen. „Wir haben eine breitere Grundlage als andere Länder, wo sich alles auf einen Standort konzentriert“, beschreibt Andreas Trautvetter, Präsident des Deutschen Bob- und Schlittensportverbandes, den Vorteil der Deutschen.

Grundlage wurde auf der zerstörten Bahn am Königssee gelegt

Vom Wissen, das einstige Weltklasserodler wie Langenhan in Oberhof weitergeben, profitieren die Jungen, die schon zur Wachablösung bereitstehen. Sein Namensvetter, der aber nicht mit ihm verwandte Max Langenhan (22/Friedrichroda) ist ebenso bereit, die lange Traditionslinie fortzuziehen wie die gleichaltrige Anna Berreiter aus Berchtesgaden, die mit Silber in Peking schon ein Stück aus dem Schatten der großen Natalie Geisenberger treten konnte.

Vier der olympischen Medaillengewinner erlernten das Rodel-Abc auf der Bahn am Königssee. Noch steht der Wiederaufbau des durch einen Erdrutsch zerstörten traditionsreichen Eislabyrinths in den Sternen. 50 Millionen soll die Sanierung kosten – ein Zehntel der Neubaukosten für den „chinesischen Drachen“ in den Bergen von Yanqing. In China mangelt es an Rodlern, am Königssee möglicherweise am Geld. Bezahlen lässt sich die Bahn auch nicht vom olympischen Edelmetall, das die Geisenberger & Co. mit nach Hause bringen. Aber einen besseren Grund für den Wiederaufbau kann den Berchtesgadenern niemand liefern.