Zhangjiakou. In einem dramatischen Schlussspurt holte Vinzenz Geiger Gold in der Nordischen Kombination. Eine Sensation, die nur einer geahnt hatte.

Eric Frenzel hatte es in der Corona-Quarantäne schon vorher geahnt. „Mit ein bisschen Glück ist ein großer Coup für das deutsche Team möglich“, meinte der erfolgreichste deutsche Skisportler der Geschichte vor der ersten Olympia-Entscheidung der Nordischen Kombinierer. Dass dann ausgerechnet der als „Close Contact“ von ihm eingestufte Vinzenz Geiger seine Nachfolge als Olympiasieger antrat, war nach dem Verlauf des Wettkampfs freilich eine echte Sensation.

Eric Frenzel gratuliert Vinzenz Geiger: "Hammerrennen"

„Wie geil. Ich gratuliere dir – was für ein Hammerrennen“, schrieb Frenzel bei Instagram nach einem der dramatischsten Entscheidungen der Olympia-Geschichte in dieser Sportart. Er erlebte am Bildschirm im Quarantäne-Hotel mit, wie Vinzenz Geiger von Platz elf nach dem Springen am letzten Anstieg des 10-km-Skilanglaufs an seinem lange führenden Teamkollegen Johannes Rydzek vorbeiflog. Es war ein ganz spezielles Happyend für diese von Corona überschatteten Tage bei den „Königen“ des Wintersports. Vier der acht besten Kombinierer im Weltcup fehlten wegen positiven Tests, neben Frenzel und dem zweiten Deutschen Terence Weber auch der norwegische Überflieger Jarl Magnus Riiber.

„Unglaublich! Man darf halt niemals aufgeben. Ich habe mich einfach so gut gefühlt und hatte noch nie so gute Ski an den Füßen. Und das alles nach dem Riesenscheiß und Psycho-Chaos der letzten Tage. Aber das hat mich noch heißer gemacht“, erklärte Geiger. Im Moment seines größten Einzel-Triumphs dachte der Team-Olympiasieger von 2018 an seine beiden Teamkollegen in Corona-Quarantäne: „Ich finde schlimm, dass Eric und Terence in Isolation sind. So gesehen kann ich kann glücklich sein, dass ich überhaupt starten konnte.“

Telefongespräche mit der Freundin halfen Geiger

Weil er als „Close Contact“ von Frenzel und damit als potenzielles Ansteckungsrisiko ausgemacht worden war, musste Geiger separat vom Team zum Sprungtraining fahren. „Wir haben dann ein Extra-Shuttle für ihn gebucht, aber das ist einfach nicht rechtzeitig gekommen und eine falsche Strecke gefahren“, schilderte Bundestrainer Hermann Weinbuch. Die Trainingsleistungen von Geiger auf der Schanze waren in den vergangenen Tagen entsprechend schlecht.

In diesen Momenten, so berichtete Geiger danach, hätten ihn vor allem die Telefongespräche mit der Freundin daheim gerettet: „Ich hatte so viel Zeit allein in meinem Hotelzimmer.“ Die psychologische Unterstützung seiner Partnerin und ein von Trainerfuchs Weinbuch verordneter Ruhetag brachten den  24-Jährigen rechtzeitig zum Wettkampf auf der Schanze halbwegs zurück in die Spur.

Vinzenz Geiger schoss das Adrenalin in den Körper

Nach seinem Sprung auf 98 Meter auf der Normalschanze von Zhangjiakou glaubte dennoch nicht einmal mehr der erfahrene Chefcoach Weinbuch an eine Siegchance für Geiger. „Vielleicht hat Vinzenz noch eine kleine Chance auf Bronze“, erklärte Weinbuch mit Blick auf den stolzen Rückstand von 1:26 Minuten auf die Spitze. Tatsächlich sah auch alles lange nach einem Triumph von Geigers Oberstdorfer Teamkollegen Johannes Rydzek aus.

Johannes Rydzek sah lange wie der sichere Sieger aus, fiel auf den letzten Metern aber noch komplett aus den Medaillenrängen.
Johannes Rydzek sah lange wie der sichere Sieger aus, fiel auf den letzten Metern aber noch komplett aus den Medaillenrängen. © dpa | Unbekannt

Der im Springen viertplatzierte Doppel-Olympiasieger von 2018 führte im 10-Kilometer-Langlauf mit konstant hohem Tempo eine Spitzengruppe an, zu der auch der dritte Oberstdorfer Julian Schmid gehörte. Geiger arbeitete sich im Hinterfeld an eine Gruppe um den starken Norweger Jörgen Graabak heran. Nach einer kurzen Ruhephase schoss dem Mann, der über viele Ecken mit Skisprung-Star Karl Geiger verwandt ist, dann das „Adrenalin in den Körper“.

Führender Johannes Rydzek brach am letzten Anstieg ein

Am letzten Anstieg holte er nach einer unglaublichen Attacke den völlig erschöpften Rydzek ein und setzte sich im Zielsprint mit 0,8 Sekunden Vorsprung vor Graabak durch. Rydzek fiel mit 21,8 Sekunden Rückstand als Fünfter ins Ziel, der junge Schmid komplettierte das überragende Abschneiden des Oberstdorfer Trios als Achter. Hermann Weinbuch schüttelte noch Minuten nach der Fortsetzung der unglaublichen Goldserie seiner Kombinierer den Kopf: „Ich bin fassungslos nach dieser Leistung. Ich hatte Bedenken, dass Vinzenz die anderen heranführt und wir als Team am Ende mit leeren Händen dastehen. Aber er war einfach überragend stark.“

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Selbst der mit Gold vor Augen am Ende mit leeren Händen dastehende Rydzek konnte diesem Happyend etwas abgewinnen: „Ich bin stolz, ein Teil dieses unglaublichen Rennens gewesen zu sein. Und ich freue mich für einen Oberstdorfer, einen guten Freund. Der Vincz hat es sich verdient, er ist der Beste in unserem Team.“ Und ganz nebenbei auch einer, der auch ohne die ganzen Corona-Ausfälle unter den Topathleten eine Goldchance gehabt hätte. Schließlich hatte er bei der Olympia-Generalprobe in Seefeld neben Frenzel (Olympiasieger von 2014 und 2018 in diesem Wettbewerb) auch den überragenden Jarl Magnus Riiber (Weltmeister von 2019 und 2021 in diesem Wettbewerb) geschlagen.

Olympiasieger Geiger freut sich auf die Großschanze

Die beiden Topathleten könnten dann genau wie Terence Weber in der kommenden Woche beim Einzelwettbewerb von der Großschanze und der Teamkonkurrenz – auch hier hat Deutschland 2018 jeweils Olympia-Gold gewonnen - wieder mit von der Partie sein. Olympiasieger Geiger freut sich darauf: „Wir haben einfach ein geniales Team. Eric Frenzel ist immer noch eines meiner größten Vorbilder und ich hoffe, dass ich hier noch gemeinsam mit ihm starten kann.“