Peking. Geboren in San Francisco, aber Gold für China: Der Olympiasieg von Ski-Freestylerin Eileen Gu ist in den USA ein Politikum.

Es spielt keine Rolle, ob man einen 1440 von einem 1620 nicht unterscheiden kann, einen Cork von einem Safety, ja, sogar: links von rechts. Wer Eileen Gu beim Big-Air-Wettbewerb zusieht, wie sie im Shougang Park vor der sehr speziellen Industriekulisse mit Kühltürmen eines ehemaligen Stahlkraftwerkes im Hintergrund die riesige Rampe herunterfährt, wie die Freestylerin durch die Luft wirbelt und ihre Skier überkreuzt, wie sie auch rückwärts ihren Sprung sicher landet, versteht auch so: Die Olympischen Spiele von Peking zeigen hier eines ihrer spektakulärsten und schönsten Gesichter.

Olympiasieg: Eileen Gu hört nicht auf ihre Mutter

Eileen Gu zupft sich die blondierten Strähnchen, die seitlich aus dem Helm ragen, zurecht, als ihr erster von drei möglichen Olympiasiegen feststeht, zu dem auch IOC-Präsident Thomas Bach vor Ort gratuliert. Für Gold musste nicht weniger als der beste Sprung ihres Lebens her. Eine Medaille hatte sie sicher, als sie oben vor dem letzten der drei Versuche das Alles-bloß-nicht-Bronze-Spiel startete. „Dann klingelte das Telefon“, erzählt Gu, ihre Mutter Yan unten auf einer der Tribünen wollte sie zu einem Sicherheitssprung mit zwei Salti und vier Schrauben überreden, um vielleicht noch auf Platz zwei zu klettern. Aber die Tochter entgegnete: „Mom, ich habe das Sagen, also: Veto, ich lege noch eine halbe Umdrehung drauf, finde dich damit ab.“ Gu entschied, Gu flog, und Gu brillierte beim Left Double 1620 Safety, den noch nie zuvor eine Frau zur Vollendung gebracht hatte.

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„Das ist der beste Moment meines Lebens“, sagt die 18 Jahre alte Kalifornierin aus San Francisco. Es könnten noch weitere im Slopestyle (14. Februar) und in der Halfpipe (18. Februar) folgen. Klingt nach einem amerikanischen Märchen – wenn sie nicht für China starten würde, wo aus Eileen Gu einfach Ailing Gu wird.

Selbst ihr Dauerlächeln kann an diesem sonnigen Dienstag nicht die Komplexität einer Story beiseite schieben, die in ihrem Geburtsland den Status einer Staatsdebatte einnimmt. Eileen Gu ist die Tochter eines Amerikaners und einer Chinesin, die vor 30 Jahren in die USA emigrierte. In den Sommerurlauben flog die Familie immer nach Peking, Eileen Gu spricht fließend Mandarin. „Wenn ich in Amerika bin, bin ich Amerikanerin“, sagt sie. „Aber wenn ich in China bin, bin ich Chinesin. Ich bin stolz auf meine chinesischen Wurzeln und genauso stolz auf meine amerikanische Herkunft.“

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Vor zwei Jahren entschied sich Eileen Gu aber, nicht mehr für die USA, sondern für die Heimat ihrer Mutter die Skier anzuschnallen. Bilder von einer Audienz bei Staatspräsident Xi Jinping verbreiteten sich, Eileen Gu trug eine rote Uniform, ihr Erfolg bei den bevorstehenden Winterspielen in Peking sei maßgeblich für die „Erneuerung der chinesischen Nation“. In den Vereinigten Staaten erloschen bei so manchem sehr schnell Zuneigung und Verehrung. Zwischen den beiden Weltmächten liegt auch ideologisch ein Ozean, es herrscht Misstrauen und Feindseligkeit. Die persönliche Kritik an Eileen Gu: Sie habe sich mit dem Vorhaben, „Millionen junger Leute im Geburtsland meiner Mutter zu inspirieren“, kaufen und für Propaganda missbrauchen lassen.

Der goldene Sprung: Eileen Gu holt sich im letzten Versuch den Olympiasieg.
Der goldene Sprung: Eileen Gu holt sich im letzten Versuch den Olympiasieg. © AFP

Heute kann die Schneeprinzessin, wie Eileen Gu in China genannt wird, bei Stippvisiten nicht unerkannt über die Straße gehen. Ihr folgen mehr als zwei Millionen Menschen bei Weibo, dem Pendant zu Twitter. Sie arbeitet neben der Schule (im Herbst beginnt sie ihr Studium an der Elite-Uni Stanford) und dem Sport als Model, läuft bei der Pariser Fashion Week mit, ziert die Cover der namhaftesten Modejournale. Gu ist dauerpräsent im Staatsfernsehen, Forbes China zählt sie zu den einflussreichsten 30 unter 30, sie hat Sponsorendeals mit den größten Unternehmen.

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Die Vereinigten Staaten sehnen sich nach dem Abgang von Skifahrerin Lindsey Vonn und dem bevorstehenden sportlichen Renteneintritt von Snowboard-Legende Shaun White nach dessen letzter Show in Peking nach einem neuen globalen Olympia-Star. Eileen Gu wäre dafür prädestiniert: Sie ist erfolgreich, für ihr Alter unglaublich charismatisch und klug und wird mit Sätzen wie „Ich bin nicht hier, um andere zu besiegen. Ich wollte der Welt auf dieser großen Plattform zeigen, was ich kann – was jedes andere Mädchen kann“ zu einem Idol für die Jugend, für alle Frauen. Sie wolle das Landes ihres Vaters nicht ausnutzen, erfahre aber viele negative Reaktionen. Gu: „Wer kein gutes Herz hat, der glaubt mir halt nicht. Ich kann den Hass gut ausblenden. Das US-Team hat mich immer weiter unterstützt, dafür bin ich sehr dankbar. Auch das zeigt: Der Sport kann Brücken überwinden.“

Eileen Gu: Reporter fragen nach ihrem US-Pass

Die Chinesen, die ihr unter anderem bei der Siegerehrung begeistert zujubeln und die rote Fahne mit den fünf goldenen Sternen schwenken, denken sich derweil genüsslich: Sie hat uns ausgewählt und die USA verstoßen. Dafür soll die Volksrepublik sogar darauf verzichtet haben, dass Eileen Gu ihre amerikanische Identität ablegen müsste: In China werden keine doppelten Staatsbürgerschaften geduldet. Mehr als eine Handvoll mal fragen Reporter nach dem Olympiasieg nach ihrem US-Pass.

Eileen Gu lächelt und weicht in ihren Antworten aus: „Ich bin ein Teenager, ich will nur meine Geschichte erzählen. Das ist alles, was ich kann“, sagt sie. Schon ganz wie ein großer Star.