Melbourne. Rafael Nadal ringt Denis Shapovalov nieder und schleppt sich in Melbourne ins Halbfinale. Doch wie lange spielt sein Körper noch mit?

Es war zu Beginn des fünften Satzes, als Rafael Nadal eher wie ein angezählter Schwergewichtsboxer in der Rod Laver-Arena umher taumelte. Gerade hatte der Matador den bitteren 2:2-Satzausgleich gegen seinen jungen Herausforderer Denis Shapovalov (Kanada) hinnehmen müssen, er litt unter heftigen Magenschmerzen, er wirkte erschöpft, matt und müde, die Strapazen eines schon langen Australian-Open-Tages schienen selbst für den größten Kämpfer der Tennisgeschichte zu groß.

Rafael Nadal glaubt unerschütterlich an seine Chance

Aber als dann nach vier Stunden und acht Minuten auf dem Centre Court abgerechnet war, ging das sagenhafte Comeback des bulligen Mallorquiners in die heiße Verlängerung – 6:3, 6:4, 4:6, 3:6 und 6:3 lautete schwarz auf weiß die Schlussbilanz für den Mann, der nie aufhört zu fighten. Und der, ganz Phänomen der Open, nie aufhört, unerschütterlich an sich und seine Chance zu glauben.

Leichtes Pathos schwang mit, als der verblüffende Halbfinalist Nadal noch am Schauplatz seiner letzten famosen Energieleistung dann diese Worte sprach: „Es ist ein Geschenk des Lebens, wieder Tennis spielen zu können.“

Verletzungen begleiteten die Karriere von Nadal

Und damit blieb auch eine Einschätzung intakt, die der zweimalige Australian-Open-Sieger und TV-Experte Boris Becker bereits in der Startphase des Turniers geäußert hatte. Wer Nadal, den 35-jährigen Altmeister, nicht auf seiner Titelliste habe, so Becker, „der versteht nichts vom Tennis.“

Rafael Nadal litt während der Partie unter heftigen Magenschmerzen.
Rafael Nadal litt während der Partie unter heftigen Magenschmerzen. © Getty

Becker sagte es, obwohl dieser Pokallauf des „Kannibalen“ (L´Equipe) alles andere als eine selbstverständliche Angelegenheit ist. Denn Nadal bastelt in den ersten Tagen des Jahres 2022 ja am werweißwievielten Comeback seiner legendären, allerdings auch von steten Verletzungssorgen begleiteten Karriere. Im August hatte Nadal die ohnehin schon holprige Saison 2021 für beendet erklärt, eine komplizierte Fußverletzung zwang ihn damals zum Rückzug.

Rivale Roger Federer ist zum Zuschauen verurteilt

Rücktrittspekulationen machten in den Monaten von Nadals Abwesenheit die Runde, doch kurz vor Weihnachten kehrte er für ein Showturnier in Abu Dhabi zurück ins Geschäft. Er fing sich dort, in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, dann eine Corona-Infektion ein, litt einige Tage „ziemlich heftig“ unter der Viruserkrankung – aber zum Start der neuen Spielserie meldete er sich schließlich pünktlich und zum Aufschlag bereit an der Grundlinie ein. „Rafa is back“, jubelte Melbournes „Herald Sun“, als der schier unverwüstliche Spanier auf den Spielfeldern des National Tennis Centers gesichtet wurde.

Beim Auftakt-Grand Slam im Tourbetrieb ist und bleibt er nun der einzige aktive Pokalgewinner im Wettbewerb. Roger Federer, sein ewiger Kontrahent und Freund, ist nach mehreren Knieoperationen daheim in der Schweiz zum Zuschauen verurteilt, eine Rückkehr ins Tennisgeschäft erscheint ungewiss.

Als letzter Mega-Star misst sich Nadal mit den Jüngeren

Novak Djokovics Schicksal ist hinlänglich bekannt, der neunmalige Melbourne-Champion war zwar in Australien, aber nicht geduldet von den Autoritäten. Und auch Stan Wawrinka, der Sensationssieger des Jahres 2014, wirkt nicht mit bei den laufenden Grand Slam-Festspielen, er steht verletzt an der Seitenlinie, die Schweizer Presse nannte ihn unlängst ein „Phantom.“

Bleibt also Nadal, der sich als einziger der Altvorderen und Mega-Stars mit den Jüngeren und Jüngsten herumschlägt – und eben auch mit seinem Körper, der ihm ständig „gewisse Schmerzen“ bereitet. „Ich lebe in meiner ganzen Laufbahn mit Schmerzen“, sagt Nadal, „ich habe gelernt, damit zu leben. Aber hart ist es schon manchmal.“

Denis Shapovalov zerhackte seinen Schläger

Noch härter allerdings ist es für jeden anderen, seinen Willen zu brechen, diese schier unerschütterliche Mentalität, weiter und immer weiter zu kämpfen. Fast symbolisch wirkte das Bild, wie der entgeisterte Shapovalov, der Bezwinger von Alexander Zverev und zwölf Jahre jünger als Nadal, nach dem Matchball seinen Schläger zerhackte. Ein gebrochener, verzweifelter Rivale, gescheitert am eisernen Großmeister Nadal.

Der Kanadier Denis Shapovalov scheiterte am eisernen Großmeister und haderte mit sich selbst.
Der Kanadier Denis Shapovalov scheiterte am eisernen Großmeister und haderte mit sich selbst. © dpa

Schon im zweiten Satz hatte Shapovalov Nerven gezeigt, als er vergeblich monierte, Nadal brauche zu viel Zeit, um sich für einen Return bereitzustellen – er pflaumte dann in Richtung der Schiedsrichterin: „Ihr seid alle korrupt.“

Nadal trifft am Freitag im Halbfinale auf Berrettini

Einmal hat Nadal die Australian Open gewonnen, 2009 in einem dramatischen Fünf-Satz-Finale gegen Dauerrivale Federer. Was vor ein paar Wochen noch utopisch schien, könnte nun in Melbourne oder auch später im Saisonverlauf Wirklichkeit werden – nämlich, dass der wieder genesene Nadal als erster der Großen Drei den 21. Grand Slam-Titel gewinnt und damit Djokovic und Federer (derzeit wie Nadal 20) auf die Plätze verweist. Djokovic stünde möglicherweise ohne Impfung bei den kommenden Grand Slams vor verschlossener Tür, Federers Perspektive ist düster.

Zwei Siege braucht Nadal noch für den wohl unwahrscheinlichsten Titelgewinn seiner Laufbahn. Die Pause bis zum Halbfinalmatch gegen Matteo Berrettini am Freitag kann der 35-jährige gut gebrauchen.

Rafael Nadal verrät die Gründe für seine Fitness

Zum Thema seiner irgendwie unerschöpflichen Power hatte Nadal schon früher im Turnier eine legendäre Konversation gehabt. Als ihn Ex-Champion Jim Courier in einem Interview nach den Gründen für seine Fitness fragte, returnierte Nadal kurz: „Ich spiele Golf.“ Couriers fragender, zweifelnder Blick sorgte sodann für einen wunderlichen Nachsatz des Matadors: „Ich bin kein Typ für den Fitness- oder Kraftraum.“