Melbourne. Tennis-Olympiasieger Alexander Zverev hat das Viertelfinale der Australian Open nach einer schwachen Vorstellung überraschend verpasst.

Alexander Zverev hatte gerade mit hängenden Schultern den Schauplatz seiner Australian-Open-Demütigung verlassen, da meldete sich vom anderen Ende der Welt der deutsche Tennis-Kanzler zu Wort. Boris Becker stand, ganz in Schwarz gekleidet („Dem Anlass angemessen“), in einem Münchener Fernsehstudio und wirkte mehr als erschüttert über das Achtelfinal-Aus. Becker war einst der Mann für die verrückten Centre-Court-Momente gewesen, er machte gern das Unmögliche möglich, er bog die wildesten Partien noch für sich und die Tennisnation um. Nichts von dieser Willenskraft hatte Becker an diesem 23. Januar 2022 bei Zverev gesehen, dem vielversprechendsten Akteur seit den goldenen deutschen Zeiten, dem stolzen Olympiasieger.

Alexander Zverev: Spitzenspieler ohne Spitzenleistung

„Man kann schlechte Tage haben, man kann schlecht spielen. Aber man muss sich anstrengen und die Seele auf dem Platz lassen“, sagte Becker kopfschüttelnd zum 3:6, 6:7 (5:7), 3:6-Desaster Zverevs gegen den Kanadier Denis Shapovalov, „da war kein Aufbäumen, keine Körpersprache.“ Beckers Fazit: „Das war eine herbe Klatsche.“

Tatsächlich: Zverevs Sturz aus rosaroten Tennisträumen, in Melbourne den ersten Grand-Slam-Titel seiner Karriere zu gewinnen und auf Platz eins der Weltrangliste zu springen, hätte am siebten Turniertag der Offenen Australischen Meisterschaften 2022 nicht krasser ausfallen können. Eine knappe Woche lang hatte der 24-jährige Hamburger schon eher untertourig seine Arbeit erledigt, die Pflichtaufgaben glanzlos, wenn auch effizient bewältigt, doch niemand hätte ein Grand-Slam-Desaster dieses Ausmaßes vorausahnen können – einen Auftritt am Nullpunkt, der an schwärzeste Zeiten des jungen, unerfahrenen Zverev erinnerte. Gegen Shapovalov (22), den allenfalls solide und durchschnittlich aufspielenden Kanadier, brach Zverevs Widerstand früh in sich zusammen.

Zverev: "Das geht allein auf meine Kappe“

„Niemand außer mir hat Schuld an dieser Niederlage. Das geht allein auf meine Kappe“, sagte Zverev, „das war das schlechteste Spiel seit dem Wimbledon-Aus im letzten Jahr.“ Insgesamt sei es eine „Scheißwoche“ in Melbourne gewesen, nie habe er das nötige Level gefunden, um hier an einen Grand-Slam-Triumph glauben zu können.

Große Enttäuschung: Die deutsche Tennis-Hoffnung Alexander Zverev verabschiedet sich von den Australian Open.
Große Enttäuschung: Die deutsche Tennis-Hoffnung Alexander Zverev verabschiedet sich von den Australian Open. © dpa

Bei den kostbarsten Wettbewerben der Tennis-Saison, den Grand-Slam-Festspielen in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York, bleibt Zverev auch zu Beginn seiner neunten Profisaison damit ein eher instabiler Machtfaktor – ein Mann, der sich trotz aller Verdienste anderswo, trotz Olympiasieg und zweimaligem Erfolg bei der ATP-WM, seiner Sache nicht recht sicher ist. Öffentlicher Druck und eigene Anspruchshaltung lähmen den Mittzwanziger weiter auf den Grand-Slam-Bühnen, auch jetzt noch, da er sich in der engeren Weltspitze stabilisiert hat und berechtigter Weise stets zu den Titelkandidaten auf einen Major-Pokal gezählt wird.

Eine gewisse Nachlässigkeit in der Startphase des Turniers

In Melbourne wirkte es nun, als gebe es eine unheilvolle Kombination beim deutschen Frontmann: Die kompromisslos an sich selbst formulierte Forderung, den nächsten Karriere-Durchbruch in Melbourne zu schaffen, aber auch eine gewisse Nachlässigkeit in der Startphase des Turniers. Manchmal erschien es, als blicke Zverev früh beim Australian-Open-Marsch auf das mögliche Viertelfinale gegen Rafael Nadal. Oder auf ein denkbares Endspiel gegen US-Open-Champion Daniil Medwedew.

Keine Frage, Zverev wollte unbedingt auf Touren kommen, er setzte nach schwachen Partien sogar Extraschichten mit Training an, aber die Verkrampfung löste das nicht. Der frappierende Eindruck blieb: Zverev war ein Spitzenspieler ohne jede Spitzenleistung. Einer, der weder die körperliche noch die gedankliche Frische aufwies, die für einen Grand-Slam-Coup nötig sind.

Zverevs Bilanz gegen Topgegner bei den Grand-Slam-Höhepunkten spricht eine unmissverständliche Sprache. Gegen Top-20-Konkurrenz steht sein Zeugnis nun bei 4:15, gegen Top-Ten-Gegner weiterhin bei 0:11. So sehr sich Zverev auch bemüht, seinen Olympiasieg als größtmöglichen Karrierecoup zu benennen, eins bleibt klar: Rang, Bedeutung und Vermächtnis definieren sich am Abschneiden bei den vier Majors, den wichtigsten Leistungsschauen dieses Sports. Und hier bleibt Zverev wie schon zu oft wieder unter seinen Möglichkeiten.