Melbourne. Gereift, effizient, präzise: Alexander Zverev spielt beim Sieg über John Millman in Melbourne auf einem neuen Niveau.

John McEnroe ist kürzlich einmal gefragt worden, warum sich Alexander Zverev inzwischen so souverän ganz oben in der Tenniswelt behauptet habe. McEnroe, einer der genialsten wie kompliziertesten Spieler aller Zeiten, fand eine schnelle Antwort: „Zverev lässt die schweren Dinge jetzt einfach aussehen“, sagte der 62-jährige Amerikaner, „er vergeudet eben keine unnötige Kraft mehr in den Turnieren.“

Sieg mit geräuschloser Präzision

Wer den deutschen Olympiasieger am Mittwoch, dem dritten Tag der Offenen Australischen Meisterschaften des Jahres 2022, auf dem Centre Court erlebte, sah tatsächlich diesen „neuen Zverev“ in Aktion – einen gereiften, effizienten, grundsoliden Mann, der seine eigentlich herausfordernde Aufgabe gegen John Millmann mit geräuschloser Präzision erledigte. „Ich bin sehr zufrieden“, sagte der 24-jährige nach seinem zweistündigen 6:4, 6:4, 6:0-Sieg gegen den zähen Kämpfertypen Millman, der schon lange vor dem Matchball innerlich die weiße Flagge gehisst hatte – zu groß war die Übermacht seines Gegners.

Es ist nun schon früh einsam geworden um Zverev, das deutsche Aufgebot Down Under beschränkt sich auf ihn, den einzigen Weltklassespieler und regelmäßigen Titelkandidaten, und auf Routinier Philipp Kohlschreiber. So wie früher Boris Becker und Michael Stich die schwarz-rot-goldene Fahne als letzte deutsche Interessensvertreter hoch hielten, ist es nun Zverev, auf den sich alle Erwartungen und Hoffnungen konzentrieren. Während er ungefährdet in die dritte Runde einzog und am Freitag auf den Moldawier Radu Albot, einen Qualifikanten, trifft, endete die Kampagne von drei deutschen Weggefährten Zverevs. Der Karlsruher Yannick Hanfmann verkaufte sich zwar teuer beim Centre Court-Abenteuer gegen Rafael Nadal, aber die 2:6, 3:6, 4:6-Niederlage gegen den 20-maligen Grand Slam-Champion zeigte, wer in der Partie Ton, Takt und Rhythmus angab. Auch der Kölner Oscar Otte, der bei den US Open im vergangenen Herbst noch überraschend das Achtelfinale erreicht hatte, musste nach Runde zwei die Koffer packen – er unterlag dem Italiener Lorenzo Sonego mit 6:2, 2:6, 3:6 und 1:6. Der Furtwangener Dominik Koepfer verlor erwartungsgemäß mit4:6, 3:6 und 6:7 (4:7) gegen US-Aufschlagriese Reilly Opelka.

Alexander Zverev: Vertreter einer positiven Sachlichkeit

Und Zverev? Er hatte in der Frühphase seiner Grand Slam-Karriere oft Probleme mit dem Management seiner körperlichen Ressourcen, oft ließ er in unnötig langen Auftaktpartien viel Substanz und hatte dann, als es wirklich zählte, keine Kraftreserven mehr. Doch längst ist Zverev zum Energie-Sparkommissar geworden: Fast immer schafft es der 24-jährige mit bemerkenswerter Selbstdisziplin, in den Grand Slam-Partien die Konzentration auf das Wesentliche zu lenken und überflüssige Diskussionen mit Schiedsrichtern oder Scharmützel mit Fans zu vermeiden. Zverev ist mit Herz und Verstand am Werk, er ist vom heißblütigen Hitzkopf überwiegend zum Vertreter einer positiven Sachlichkeit geworden – dabei durchaus Branchenführer wie Roger Federer und Novak Djokovic nachahmend. Der Deutsche habe „schlicht seinen Weg gefunden“, eine „Reife, die ihn zu einer Favoritenstellung befähigt“, wo immer er auch antrete, sagt der australische Topcoach Darren Cahill – einst auch der Übungsleiter von Andre Agassi.

Im Viertelfinale könnte es für Zverev gegen Nadal gehen

Lässt der Deutsche ganz einfach und zielsicher seine machtvolle Physis sprechen, mit pfeilschnellen Aufschlägen und harten Grundschlägen, ist nur wenig auszurichten. Millman, der erfahrene Tourspieler, hielt sich durchaus wacker gegen Zverev, aber gegen dessen 14 Asse, aber vor allem gegen eine Gewinnquote von 85 Prozent bei ersten Aufschlägen gab es kein wirksames Rezept. „Das war schon viel besser als das erste Match. Aber ich muss und will mich weiter in jeder Runde steigern“, sagte der Hamburger, der die Saison 2021 mit dem Gewinn des Weltmeistertitels in Turin abgeschlossen hatte.

Bei der Jagd nach dem ersten Grand Slam-Pokal wird er vermutlich früh die große Bewährungsprobe erleben – im Viertelfinale gegen Nadal, den Meister der ungezählten Comebacks. Zverev weiß allerdings, dass es sich nicht lohnt, weit und noch weiter vorauszublicken: Bis zum potenziellen Duell mit Nadal braucht es erst mal noch zwei weitere Siege. Mit möglichst wenig Energieverbrauch. Denn der wird gegen den Matador zweifellos dramatisch steigen.