Essen. Schlussmann Andreas Wolff hat bei der EM eine neue Rolle, er ist auch der Mentor von Till Klimpke. Die Harmonie zwischen beiden ist eine Stärke.

Andreas Wolff sagt kein Wort. Seit Monaten nicht. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Der Torhüter der deutschen Handballer schweigt eisern. Keine Interviews, keine Stellungnahmen nach dem Spiel. Wolff macht seinen Job, reden darüber möchte er nicht, selbst nicht vor dem abschließenden Vorrundenspiel am Dienstag gegen Polen (18 Uhr/ZDF) bei der Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei. Wobei man sagen muss: Wolff spricht nicht mehr. Denn in der Vergangenheit war der 30-Jährige immer einer, der gerne und viel redete. Der vor Turnieren hohe Forderungen stellte, während die Mitspieler tiefstapelten. Der Andreas Wolff zwischen 2016 und 2021 war eines der Sprachrohre der Nationalmannschaft. Forsch, kritisch, wortgewaltig.

Und der Wolff 2022? Beim Versuch, die derzeitige Lage zu verstehen, muss man die vergangenen Monate Revue passieren lassen. Bei der WM im Vorjahr war Wolff von Bundestrainer Alfred Gislason öffentlich gerügt worden, weil er in einem Interview seinen Unmut über die damalige Absage etlicher Teamkollegen geäußert hatte. Für den Nationalmannschafts-Lehrgang im vergangenen November war er nicht einmal nominiert worden, Gislason begründete dies mit Wolffs Leistungstief bei seinem polnischen Klub Vive Kielce. Wolff kam also nicht als der unumstößliche Torhüter-Titan zur EM, wobei an seiner Rolle als Nummer eins trotzdem kein Zweifel bestand. Im 23-jährigen Till Klimpke hatte Bundestrainer Alfred Gislason schließlich einen Turnierdebütanten als zweiten Torhüter auserwählt und dafür schon früh auf Routinier Silvio Heinevetter verzichtet.

Angeschlagen zur Handball-EM

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Gislason bastelt bereits am Team der Zukunft, in dem Klimpke eine Rolle spielen soll. Wolff auch, allerdings eine neue. Der Mann, der während der EM 2016 mit seinen herausragenden Leistungen einer der Hauptgründe für den überraschenden Titelgewinn war, ist nun auch verstärkt als Mentor und Motivator gefragt. Sicher, als Gislason zu Beginn des deutschen EM-Auftaktspiels auf den jungen Klimpke setzte und dem gegen Belarus die Bälle um die Ohren flogen, musste Wolff zwischen die Pfosten und den 33:29-Sieg sichern. Doch beim 34:29 gegen Österreich begann Klimpke erneut – und weckte Erinnerungen an den 2016er-Wolff. Er sprang hin und her, verbog Arme und Beine in schier unmögliche Winkel und wehrte Ball um Ball ab. 14 Paraden in den 60 Spielminuten bedeuteten eine Quote von 42 Prozent gehaltener Bälle. „Das ist Weltklasse“, stellte Gislason fest. Und Rechtsaußen Timo Kastening, dank seiner neun Tore zum besten Spieler gegen Österreich gewählt, meinte nur: „An meiner Stelle hätte Till die Auszeichnung bekommen müssen.“ Wolff schrie und jubelte derweil am Seitenrand, feuerte seinen Kollegen an. Wolff und Klimpke, den Eindruck kann man gewinnen, verstehen sich gut miteinander.

Das ist zwar Voraussetzung für ein erfolgreiches Turnier, aber längst keine Selbstverständlichkeit. Der ehrgeizige Wolff konnte sich seit seinem kometenhaften Aufstieg nur schwer mit einer gelegentlichen Nebenrolle im deutschen Tor arrangieren. Alfred Gislason hat in diesem Punkt aber einen Reifeprozess bei einem seiner erfahrensten Spieler dieser EM ausgemacht. „Er hat sich damit abgefunden, dass er nicht in jedem Spiel anfangen muss. Das ist gut so“, sagte der Bundestrainer und stellte klar: „Anders als im Fußball ist es im Handball ein Torwart-Duo. Auch wenn er nicht anfängt, heißt das nicht, dass er der zweite Mann ist.“

Duell gegen die Klubkameraden

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Am diesem Dienstag wird Wolff aber wohl in der Startformation stehen. Gegen Polen, gegen viele seiner Vereinskameraden aus Kielce. Auch wenn der Hauptrundeneinzug schon sicher ist, geht es immer noch um den Gruppensieg und um Punkte, die in der nächsten Turnierphase noch wichtig werden könnten. Till Klimpke wird Wolff die Daumen drücken: „Wir können sehr gut miteinander. Jeder gönnt dem anderen eine gute Leistung“, sagte Klimpke. Immerhin wurde der gelernte Land- und Baumaschinenmechaniker als Jugendlicher selbst Zeuge vom Aufstieg seines Kollegen. Klimpke stammt aus dem hessischen Wetzlar, spielt dort wie einst Wolff für die HSG in der Bundesliga. Beide Torhüter sind für ihren Ehrgeiz bekannt, und beide halten auch mit ihren Zielen nicht hinter dem Berg. „Wir wollen den Gruppensieg, auf jeden Fall“, sagt Klimpke. Es sind Worte, die man auch von Andreas Wolff nicht anders erwartet hätte.