Melbourne. Novak Djokovic hat Australien verlassen. Die Australian Open beginnen ohne den Tennis-Star. Wie es für ihn weitergeht, ist offen.

Am Ende gab es doch noch einen einzigen Gewinner, obwohl der in Wahrheit auch ein Verlierer war: Salvatore Caruso. Der 29-jährige Italiener war auf der Zielgeraden der ebenso unwahrscheinliche wie glückliche Lotteriesieger in der leidigen Novak-Djokovic-Affäre.

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Im Qualifikationswettbewerb zu den Australian Open war der Tennis-Nobody vom Weltranglistenplatz 150 ausgeschieden, doch als am Sonntag in Melbourne das finale Verdikt im Fall Djokovic gegen den amtierenden Titelverteidiger gesprochen war, fand sich Caruso als Lucky Loser (Nachrücker per Los) auf einmal im Hauptfeld des millionenschweren Grand-Slam-Spektakels wieder – jäher Profiteur des vom Fünften Kontinent verbannten Weltranglistenersten, der unter Direktion der australischen Bundespolizei zum Flughafen gebracht wurde und in einer Emirates-Maschine in Richtung Dubai sein langjähriges Tennisparadies verlassen musste.

Fall Djokovic: Begründung der Entscheidung folgt

Der letzte Akt der anderthalbwöchigen Farce um Djokovics Einreise zu den Australian Open war zuvor um 17.45 Uhr vor einem Bundesgericht in Melbourne zu Ende gegangen – in jenem Moment, als der Vorsitzende Richter James Allsop (68) verkündete, dass Djokovics Einspruch gegen den zweiten Entzug seines Visums durch das Einwanderungsministerium von dem dreiköpfigen Richtergremium abgewiesen worden sei. Eine detailliertere Begründung für diese Entscheidung stellte das Bundesgericht frühestens für diesen Montag in Aussicht. Die Entscheidung des Ministeriums sei aber nicht ungesetzlich gewesen, erklärte „Chief Justice“ Allsop, nur darum sei es gegangen: „Es ist nicht unsere Rolle, zu urteilen, ob die Entscheidung der Exekutive klug war.“

Australiens Einwanderungsminister Alex Hawke hatte sein Vorgehen primär damit begründet, ein Aufenthalt Djokovics im Land und seine Turnier-Teilnahme könnten eine Anti-Impfstimmung befördern, der Serbe sei mittlerweile zu einer Ikone der Impfgegner geworden.

Novak Djokovic "extrem enttäuscht" über das Urteil

Ganz so, als hätten er und seine Anwälte schon mit der juristischen Niederlage und der Abschiebung gerechnet, verkündete der neunmalige Melbourne-Sieger Djokovic kurz nach dem Urteil ein erstes Statement. Er sei „extrem enttäuscht“ über die Entscheidung, sagte der 34-Jährige. Auf der anderen Seite der Erde gab seine Familie in einer Erklärung, die serbische Medien veröffentlichten, zu Protokoll: „Wir hatten geglaubt, dass Gerechtigkeit walten würde.“ Die Politik und ihre Interessen hätten über den Sport gesiegt.

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Serbiens Ministerpräsident wählte drastische Worte. Seit seiner Ankunft in Australien sei der ungeimpfte Djokovic „schikaniert und gequält“ worden, sagte Aleksandar Vucic der britischen BBC. Man habe ihn „wie einen Massenmörder behandelt“.

Große Turniere im Frühjahr nur für geimpfte Spieler

Djokovic selbst erklärte weiter: „Es ist mir unangenehm, dass der Fokus in den vergangenen Wochen auf mir lag. Ich hoffe, dass wir uns nun alle wieder auf das Spiel konzentrieren können und auf das Turnier, das ich liebe. Ich werde mir jetzt die Zeit nehmen, um mich auszuruhen und zu erholen.“

Leichter wird es für ihn in den nächsten Wochen allerdings nicht: Denn bei den großen Turnieren im amerikanischen Frühjahr, also den Topevents in Indian Wells und Miami, können nur geimpfte Spieler an den Start gehen. Auch im weiteren Verlauf der Saison dürfte Djokovic vor großen Hürden stehen, wenn er weiter eine Impfung gegen Corona ablehnt. Die ATP-Tour, die globale Spielerorganisation, hatte bereits im November alle Spieler darauf hingewiesen, dass sie ohne Impfung vor erheblichen Schwierigkeiten stehen würden – bis hin zu einer Startverweigerung bei den meisten Wettbewerben. Allerdings sind nach Angaben der ATP 97 Prozent der Spieler geimpft, hätte Djokovic vor Gericht gesiegt, wäre er offenbar der einzige ungeimpfte Spieler im Wettbewerb gewesen.

Im ersten Gerichtsverfahren entschieden formale Gründe

Djokovic war vor knapp zwei Wochen am Tullamarina Airport in Melbourne – aus Dubai ankommend - von Grenzbeamten der Bundesregierung das Einreisevisum verwehrt worden. Eine Ausnahmegenehmigung, die ihm eine medizinische Expertenkommission auch vom Bundesstaat Victoria ausgestellt hatte, wurde damals nicht anerkannt. Später wurde deutlich, dass Djokovic sich bei der Sonderzulassung auf eine überstandene Virusinfektion am 16. Dezember 2021 berief.

In einem ersten Gerichtsverfahren bekam Djokovic Recht, allerdings nur aus formalen Gründen – weil ihm die Grenzschützer nicht ausreichend Zeit gegeben hatten, den Fall u.a. mit seinen Anwälten zu besprechen. So konnte er auch das eher schmucklose Abschiebehotel in Melbournes Stadtteil Carlton verlassen, in das es ihn verschlagen hatte.

Djokovic verstrickte sich mehrfach in Widersprüche

Während das Einwanderungsministerium mehrere Tage verstreichen ließ, um über einen neuerlichen Visumsentzug zu entscheiden, verhedderte sich Djokovic in dem aufsehenerregenden Drama mehrfach in Widersprüche. Er musste sich auch entschuldigen, nach seiner Infektion noch öffentliche Termine in seiner Heimatstadt Belgrad wahrgenommen zu haben, etwa bei einem Treffen mit Journalisten vom französischen Fachblatt „L´ Equipe“ am 18. Dezember. Auch das Datum seines Positiv-Tests wurde bei einer digitalen Spurensuche in Frage gestellt.

Vorübergehend wirkte Djokovics Aufenthalt in Melbourne indes wie in einer früheren Turnier-Normalität: Der sogenannte „Capitano“ trainierte bis zum Freitagabend auf den Australian Open-Courts mit Sparringspartnern oder Coaches aus seinem Serviceteam, auch in Kraft- und Fitnessräumen suchte er den Trainingsrückstand aufzuholen. Dann allerdings folgte die Entscheidung des Einwanderungsministeriums, die in letzter Konsequenz zur Verbannung Djokovics führte. Theoretisch könnte das Verdikt sogar zu einem dreijährigen Einreiseverbot Djokovics führen, allerdings könnte die Regierung ihn davon auch in einer Art Gnadenerlass befreien.

Olympiasieger Alexander Zverev trifft zum Auftakt der Australian Open in der Rod Laver Arena in einem deutschen Duell auf Daniel Altmaier.
Olympiasieger Alexander Zverev trifft zum Auftakt der Australian Open in der Rod Laver Arena in einem deutschen Duell auf Daniel Altmaier. © AFP

Alexander Zverev könnte auf Top-Spieler treffen

Der juristische Streitfall Djokovic ist nun zwar ausgestanden, aber die Nachwirkungen für die Grand Slam-Festspiele im National Tennis Center werden bis zum übernächsten Sonntag spürbar bleiben. Durch Djokovics Ausscheiden ergibt sich ein massives Ungleichgewicht im Tableau, im oberen Viertel ist vor den ersten Ballwechseln nun der Italiener Matteo Berrettini (Weltrangliste: 7) als höchstplatzierter Spieler und einziger Top-Ten-Profi verblieben. Im zweiten Viertel dagegen muss sich Alexander Zverev, die deutsche Nummer eins, beispielsweise mit den weiteren Top-Ten-Rivalen Rafael Nadal und Hubert Hurkacz herumplagen.

Die globale Tenniskarawane hatte das erbitterte und zähe Ringen des ungeimpften Weltranglistenersten zuletzt mit immer größerem Unmut verfolgt. Spitzenspieler wie Rafael Nadal oder der Grieche Stefanos Tsitsipas klagten über die Aufmerksamkeit, die der Fall Djokovic dem eigentlichen Tennisgeschehen entziehe. Nadal, der spanische Matador, machte deutlich, für wie überflüssig er den gesamten Vorgang hielt: „Wenn Novak sich hätte impfen lässen, wäre alles ganz einfach gewesen für ihn.“

Fall Djokovic hat Nachspiel für Turnierveranstalter

Auch andere Topspieler schüttelten mit dem Kopf, nicht zuletzt weil sie anerkannten, in den fast zwei Jahren der Pandemie „ziemlich privilegiert“ gewesen zu sein: „Wir können nicht durch die Welt fliegen und bei Turnieren antreten, wenn wir ungeimpft sind. Und wenn wir nicht die Regeln der jeweiligen Länder befolgen“, erklärte ein Top 30-Spieler aus dem Westen Europas, seinen Namen wollte er nicht erwähnt wissen.

Umso mehr geriet die Rolle des veranstaltenden Verbandes „Tennis Australian“ und von Turnierchef Craig Tiley in Zwielicht, die sich hinter den Kulissen um die umstrittenen Ausnahmegenehmigungen bemüht hatten. „Für die Grand Slam-Bosse wird das sicher noch ein Nachspiel haben“, hieß es dazu in Melbournes Boulevardblatt „Herald Sun.“