München. Nach dem 1:2 gegen Gladbach schiebt der FC Bayern eine Debatte über die DFL-Spielordnung an. Das könnte bald die gesamte Liga betreffen.
Thomas Müller konnte noch halbwegs eingebremst werden, bei Sven Ulreich blieb das aber aus. „Es ist natürlich dann schon auch ein Stück weit unverantwortlich, auch von der DFL, so ein Spiel auszutragen, weil es einfach auch um die Gesundheit der Spieler geht“, kritisierte der Ersatztorwart des FC Bayern nach der 1:2-Niederlage mit einer Notelf gegen Borussia Mönchengladbach in der ARD-Sportschau. Ulreich hatte Stammkeeper Manuel Neuer wegen dessen Corona-Infektion im Tor vertreten. Im ZDF-Sportstudio ergänzte die Nummer zwei der Münchner: „Es ist für mich schon fragwürdig, ob man so ein Spiel wirklich austragen muss.“
FC Bayern: Oliver Kahn äußert seinen Unmut
Nun ist Ulreich, 33, bisher nicht als Dampfplauderer oder gar Scharfmacher aufgefallen, sondern im Gegenteil als besonnener Fußballer. Wenn er also eine derart deutliche Kritik an der Deutschen Fußball Liga (DFL) formuliert, nachdem beim FC Bayern neun Profis wegen Corona-Infektionen ausgefallen waren, lässt sich erahnen, wie groß die Verärgerung bei den Münchnern intern gewesen sein muss.
Angeklungen war dieser Unmut schon kurz vor dem Anpfiff am Freitagabend beim Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn. Als die erhoffte Revanche für das 0:5-Pokaldebakel im Oktober verpasst war, schoben neben Ulreich Trainer Julian Nagelsmann und Müller diese Debatte verstärkt an, die in der gesamten Liga noch anschwellen könnte, weil die Modellierungen ja vorerst weiter steigende Corona-Fallzahlen erwarten lassen.
Für den Tabellenführer war die Niederlage fürs Saisonziel Meistertitel noch halb so wild. Die Bayern thronen ja weiterhin über der Konkurrenz, nun eben mit sechs statt neun Punkten Vorsprung auf den Zweiten Dortmund. Was aber, wenn bei einem Abstiegskandidaten wegen Corona-Infektionen zahlreiche Stammspieler ausfallen und jeder Punkt über den Klassenverbleib oder Abstieg und damit maßgeblich über die mittelfristige Zukunft des Vereins und sogar über Existenzen entscheiden kann? Von ähnlich großer Bedeutung, wenngleich auf höherem Niveau, ist es für einen Verein, ob der Zugang zur Champions League und zu deren Geldströmen gelingt oder nicht.
Müller war bei seinem Debattenbeitrag von Bayerns Pressesprecher Dieter Nickles vor laufender DAZN-Kamera eingebremst worden, als der Offensivspieler zu seiner Kritik an der im Zuge der Pandemie angepassten Spielordnung der DFL ansetzte. „Ob es fair ist, dass eindeutig verletzte Spieler zu einer Liste dazugehören, würde ich jetzt eher bezweifeln“, sagte Müller und bezog sich damit auf jenen Passus, wonach einer Mannschaft mehr als 15 Spieler zur Verfügung stehen müssen, davon mindestens neun Lizenzspieler, darunter ein Torwart. Mitgezählt werden allerdings auch verletzte und gesperrte Spieler.
Während er zu seiner Kritik anhob, vernahm Müller die Intervention des Pressesprechers. „Ach willst nicht, Dieter?“, fragte Müller und blickte zu Nickles, ehe er die Antwort mit einem wissenden Lachen umgehend selbst gab: „Zu politisch, zu politisch!“ Zumindest in abgeschwächter Form wollte Müller seinen Gedanken aber noch zu Ende führen, er sagte: „Also würde ich eher bezweifeln. Also muss die Liga wissen, was sie da tut.“ Nagelsmann verwies auf die Spielverlegungen in der Premier League trotz des dort noch engeren Spielkalenders und bei weniger Ausfällen als in seiner Mannschaft. Verlegungen müssten dann doch auch in der Bundesliga möglich sein, befand Nagelsmann, „so ganz bürokratisch müssen wir nicht sein“.
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Den Bayern hatten insgesamt 13 Spieler gefehlt, neben den neun Corona-Fällen die verletzten Leon Goretzka und Josip Stanisic sowie die zum Afrika-Cup abgestellten Eric Maxim Choupo-Moting und Bouna Sarr. Die meisten Corona-Infektionen waren im Urlaub der Spieler festgestellt worden, auf den Malediven, in Dubai und anderswo auf der Welt. Joshua Kimmich spielte auch deshalb nach langer Zwangspause ebenso durch wie Niklas Süle nach Rückenproblemen, wegen derer er zuletzt kaum trainieren konnte.
Auf der Bank saßen als Feldspieler nur Amateur- und Nachwuchskicker. Neben Lucas Copado, am Freitag noch 17, debütierte in der Schlussphase auch Paul Wanner, mit 16 Jahren und 15 Tagen nun jüngster Bayern-Spieler in der Bundesliga-Geschichte. Dass die Münchner trotzdem weitgehend überlegen agiert hatten und nach Robert Lewandowskis 20. Saisontor (18.) durch die Treffer von Florian Neuhaus (27.) und Stefan Lainer (31.) eher unglücklich verloren, entkräftete die Argumente gegen die Austragung des Spiels aus ihrer Sicht nicht.
Markus Söder pflichtet dem FC Bayern bei
Kahn hatte schon vor dem Anpfiff unüberhörbar ungehalten gesagt, man akzeptiere die Regularien „für den heutigen Tag“. Zugleich regte er an, „sich diese Regularien nochmal ganz genau auszuschauen und dann diese doch nochmal zu überarbeiten“. Dem pflichtete Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Sonntag bei. Im Sport1-Doppelpass bezeichnete er die Partie als „ziemliche Wettbewerbsverzerrung“. Bei einer Niederlage hätte die Borussia nur noch einen Punkt Vorsprung auf den Relegationsplatz gehabt. Von der DFL gab es bisher keine Reaktion auf die Kritik. Aber auch im Ligaverband ahnen sie wohl, dass diese Debatte noch ganz andere Ausmaße annehmen könnte.