Essen. In der Premier League fallen immer mehr Spiele und Spieler wegen Corona aus. Die Liga hält an ihren Spielen fest – doch die Kritik nimmt zu.

Osian Roberts gab sich so gelassen wie möglich: „Ich weiß gar nicht genau, wie die Kommunikation hinter den Kulissen ablief“, sagte der 56-Jährige. „Wir haben mit vollem Einsatz gearbeitet, um sicher zu sein, dass wir vorbereitet sind auf dieses Spiel.“ Die ruhigen Worte passten nicht zu den hektischen Geschehnissen des Vormittags, die überhaupt erst dafür gesorgt hatten, dass der Waliser Roberts nun vor einem Premier-League-Spiel in ein TV-Mikro sprechen musste, weil er unverhofft als verantwortlicher Trainer an der Seitenlinie stand, als sein Klub Crystal Palace bei Tottenham Hotspur antrat.

Cheftrainer Patrick Viera war zuvor positiv auf Covid-19 getestet worden – wie auch einige Spieler, weshalb der Klub noch am frühen Sonntagmorgen die Verlegung des Spiels beantragte. Die Verantwortlichen der Premier League aber zeigten sich ungerührt, die Partie fand statt – und Crystal Palace unterlag Tottenham 0:3. Das war noch die torärmste Begegnung eines Spieltags, der reichlich Spektakel bot: Manchester City verspielte gegen Leicester City fast eine 4:0-Führung, gewann letztlich aber doch 6:3. Norwich City ging 0:5 gegen Arsenal unter, Thomas Tuchels FC Chelsea besiegte Aston Villa 3:1 unter und der FC Southampton gewann 3:2 bei West Ham United.

Premier League steckt in Terminnöten

Dem Rausch dürfte aber schon bald der Kater folgen, denn die Liga steckt in argen Terminnöten: Drei von neun geplanten Spielen für den 26. Dezember, den traditionsreichen Boxing Day, mussten wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden, weil mindestens ein beteiligter Klub coronabedingt nicht ausreichend Spieler zusammenbekam. Am Wochenende zuvor waren sechs von zehn Partien ausgefallen.

13 Partien wurden in den vergangenen zwei Wochen abgesagt und müssen nun in einen ohnehin engen Kalender gepresst werden. Denn am Dienstag soll ja schon wieder gespielt werden, am 2. Januar auch – und weil dann die Halbfinalspiele im Ligapokal anstehen, muss ein Klub wie der FC Liverpool sechs Spiele in 18 Tagen bestreiten.

Ein Viertel der Profis ist ohne vollen Impfschutz

Dessen Trainer Jürgen Klopp ist schon lange ein vehementer Kritiker der Terminhatz im englischen Fußball – erst recht in Zeiten, in denen die Omikron-Variante des Coronavirus für immer neue Höchststände bei den Infiziertenzahlen sorgt. „Ich finde es ja schon in normalen Zeiten nicht richtig. In der jetzigen Situation darauf zu bestehen, Spiele innerhalb von zwei Tagen auszutragen, fühlt sich falsch an“, schimpfte er kürzlich. „Jede Mannschaft hatte schon mit Covid zu tun. Wir können nicht die Hände vor die Augen halten und so tun, als sei die Situation normal. Sie ist es nicht. Sie ist außergewöhnlich.“

Chelsea-Trainer Thomas Tuchel schimpfte derweil in Richung der Leute, die in „irgendwelchen Büros in Sesseln und am grünen Tisch“ sitzen und den Fußballbetrieb in England nach seiner Ansicht in die falsche Richtung lenken. „Wir sind besorgt“, sagte Tuchel, „ich bin super besorgt.“ Das Problem der Liga: Rund ein Viertel der Profis ist nicht vollständig geimpft. 16 Prozent haben noch gar keine Dosis erhalten, sieben Prozent erst eine – ein äußerst niedriger Wert im Vergleich zu den übrigen europäischen Topligen, die Quoten über 90 Prozent vorweisen und bislang von Spielausfällen verschont sind. Die Premier League erwägt nun Maßnahmen wie eine isolierte An- und Abreise zu Spielen für die Ungeimpften.

Politik plant keine Corona-Restriktionen

An der Terminhatz aber hält sie fest, eine Krisensitzung aller Klubs am vergangenen Donnerstag ergab ein „Weiter so“. Eine Zeitverschwendung sei dies gewesen, schimpfte Tottenham-Trainer Antonio Conte, das Ergebnis habe schon vorher festgestanden.

Von der Politik ist nicht zu erwarten, dass sie dem Fußball in den Arm fällt. Für neue Corona-Restriktionen sei die Lage zu unklar, erklärte Premier Boris Johnson. Also wurde am Boxing Day vor voller Kulisse gekickt, Infektionszahlen hin, Omikron her. Und am 2. Januar sollen beim Spiel Chelsea gegen Liverpool erstmals seit 28 Jahren wieder Stehplätze erlaubt sein, dann wird es noch enger auf den Rängen.

Liverpool-Trainer Jürgen Klopp würdigt Pflegekräfte

Das Bild, das sie dabei inmitten der grassierenden Pandemie abgeben, scheint den Fußball-Verantwortlichen weitgehend egal. Ganz wenige fanden über die Weihnachtstage Worte wie Jürgen Klopp, der in seinem Weihnachtsbrief an die Fans des FC Liverpool die Bedeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter im Gesundheitswesen in der Corona-Pandemie unterstrich.

„Diese Leute sind die wahren Helden, und obwohl wir im 21. Monat der Pandemie sind, dürfen wir nie vergessen, was sie getan haben und weiterhin tun – für Euch, für mich und alle anderen“, schrieb er. Niemand könne vorhersagen, wie sich die Pandemie in den kommenden Tagen, Wochen oder Monaten entwickeln wird, „aber eine Sache ist für mich klar: Gemeinsam sind wir stärker.“

Im Fußball ist von dieser Gemeinsamkeit aktuell wenig zu spüren.