Essen. Reinhard Rauball wird am ersten Weihnachtstag 75 Jahre alt. Als Präsident von Borussia Dortmund ist ihm wichtig, „dass der Verein eine Seele hat“

Borussia Dortmund braucht ihn noch, und er braucht Borussia Dortmund. Dr. Reinhard Rauball war viele Jahre lang ein Multifunktionär, stand als Präsident auch an der Spitze der Deutschen Fußball-Liga. Nach und nach hat er sich von einigen zeit- und kraftraubenden Ämtern und Aufgaben getrennt, geblieben aber ist die Präsidentschaft bei seinem Herzensverein: In drei Amtszeiten hat er jeweils entscheidend mitgeholfen, den BVB vor dem Konkurs zu retten. Am ersten Weihnachtstag wird der renommierte Jurist 75 Jahre alt.

75 – ist das für Sie nur eine Zahl? Oder ein Anlass, um innezuhalten, nachdenklich zu werden, zurückzublicken?

Reinhard Rauball: Zum Innehalten habe ich meistens keine Zeit. Außerdem habe ich mein Leben lang immer dann innegehalten, wenn es nötig war, das aber nicht von numerischen Anlässen abhängig gemacht.

Sie kamen 1979 zum Profifußball, wurden mit 32 Jahren bei Borussia Dortmund Präsident, bis heute gab es in der Bundesliga-Geschichte nie einen jüngeren Vereinspräsidenten. Wie verlief damals der Einstieg?

Reinhard Rauball: Das kam überraschend auf mich zu. Ich hatte seinerzeit nicht die Idee, mich im Profifußball zu engagieren. Der Grund, warum es doch dazu kam, war eine Bemerkung, nach der es kein Zurück mehr gab. Ich war über meine anwaltliche Tätigkeit mit Borussia Dortmund in Verbindung, und nebenbei wurde ich gefragt, ob ich es mir vorstellen könnte, Präsident des BVB zu werden. Ich habe gesagt: Nein – aber wenn Sie keinen finden, können Sie noch mal vorbeikommen. Da hat der Wirtschaftsrat heimlich triumphiert und gesagt: Wir haben ihn also, wir müssen nur noch ein paar Tage warten. Ich habe so einen Fehler nie wieder gemacht. Aber wenn ich ehrlich bin, war es am Ende ja gar kein Fehler, denn ich habe meine Zusage nie bereut.

Leidenschaftlich: Reinhard Rauball 1979 bei Eintracht Dortmund.
Leidenschaftlich: Reinhard Rauball 1979 bei Eintracht Dortmund.

Die Zeit war damals eine ganz andere. Es ging noch nicht so professionell zu wie heute.

Reinhard Rauball: Für mich fing es auch in der Bundesliga so an, wie ich es als Fußballer in der Landesliga gelernt hatte. Man spricht nicht nur offiziell miteinander, sondern man sitzt auch mal gemütlich zusammen, trinkt ein Glas Bier dabei und freut sich aufs nächste Mal. Dass sich aus dem Fußball mal eine Industrie entwickeln würde, das konnte auch ich damals nicht erahnen.

Sie arbeiten immer noch als Anwalt. Sie sind immer noch BVB-Präsident, inzwischen in Ihrer dritten Amtsperiode. Sie waren viele Jahre Ligapräsident, Vizepräsident und Interimspräsident des DFB, haben in Aufsichtsräten und Stiftungen gesessen, waren Delegationsleiter bei vielen Länderspielen. Lange Einleitung, kurze Frage: Wie schafft man das alles?

Reinhard Rauball: Man muss sich mit guten Leuten umgeben, die einem hilfreich zur Seite stehen. Und man muss gesund bleiben, das hätte ich eigentlich zuerst erwähnen müssen. Ich war mein Leben lang gesund. Ich habe immer noch zwei gepackte Sporttaschen im Kofferraum: Mindestens einmal pro Woche spiele ich Tennis und freitagsabends Fußball bei Eintracht Dortmund. Außerdem braucht man Organisationstalent. Bei mir stand tatsächlich oft viel Arbeit gleichzeitig an, aber ich hatte nie das Gefühl, dass es zu viel war. Alles, was ich gemacht habe, hat mir auch immer Spaß gemacht.

Im November 2004 wurden Sie zum dritten Mal Präsident des BVB – zu einer Zeit, als die Insolvenz drohte.

Reinhard Rauball: Ja, diese Zeit war extrem unangenehm, weil sich über einen längeren Zeitraum kein positives Ende erahnen ließ. Und dann waren wir auch noch angewiesen auf das Wohlwollen anderer. Wenn die Zeichner des Stadionfonds Molsiris 2005 am Düsseldorfer Flughafen dem Sanierungsplan nicht zugestimmt, sondern den Daumen gesenkt hätten, wären alle Anstrengungen umsonst gewesen. Aber ähnlich schlimm war es für mich in der zweiten Amtszeit zur Mitte der 80er-Jahre.

Tatsächlich? Erzählen Sie bitte.

Reinhard Rauball: Der DFB drohte damals damit, uns die Lizenz zu verweigern. Ich saß dann im Flugzeug von München nach Düsseldorf neben einem bedeutenden Banker und bat ihn, uns einen Avalkredit in Höhe von 1,8 Millionen D-Mark zur Verfügung zu stellen. Er gab nicht zu erkennen, dass er dem zustimmen würde. Etwas später habe ich dann mein Herz in beide Hände genommen und ihn unter Druck gesetzt. Ich habe ihm gesagt, dass am Ende sein Haus die Schuld daran tragen würde, wenn der BVB zum Zwangsabstieg verurteilt würde. Da sagte er: Ach, das habe ich doch schon in der Mittagspause genehmigt. Da fiel mir ein Stein vom Herzen, das war der prägendste Tag in all den Jahren bei Borussia Dortmund.

Steht der Verein heute so da, wie Sie sich das wünschen?

Reinhard Rauball: Man kann nicht sagen, dass man den Verein nach seinen Vorstellungen formen möchte, das wäre vermessen. Aber man kann mehrere Tupfer setzen, um am Ende etwas vorzufinden, das auch wichtig ist, aber in keinen Statistiken steht.

Was ist das?

Reinhard Rauball: Wir haben immer darauf geachtet, dass der Verein eine Seele hat und die Nähe zu den Fans bewahrt wird. Erhalt der Stehplatzkultur, bezahlbare Preise, Kontakte zu Fan-Organisationen – all das ist wichtig, auch Gesellschaftspolitisches wie Gleichheitsgrundsatz und Inklusion, aber auch Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Ich persönlich habe auch den Bezug zum Amateurfußball nie verloren. Und wenn beim D-Jugendturnier an meinem Wohnort Herdecke ein Schirmherr gesucht wird, dann mache ich das gerne. Und ich freue mich darüber, dass das auch gewürdigt und geschätzt wird.

Der große Fußball wird zunehmend kritisch gesehen. Auswüchse wie die WM-Vergabe nach Katar oder die Überlegungen, eine Super League zu gründen, schaffen Distanz statt Vertrauen.

Reinhard Rauball: Eine Superliga haben wir hier bei Borussia Dortmund unisono verurteilt. Und ich bin ehrlich: Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass eine WM nach Katar vergeben werden könnte. Das sind natürlich auch Gründe dafür, dass der Fußball im Moment nicht den Stellenwert hat, den er meiner Meinung nach verdient.

Deutscher Meister 2011: Bierdusche für den BVB-Präsidenten.
Deutscher Meister 2011: Bierdusche für den BVB-Präsidenten. © Getty

Was lässt sich dagegen tun?

Reinhard Rauball: Wenn Fußballstars der Welt zeigen, dass sie mit Gold überzogene Steaks essen, dann gerät das Ganze ins Rutschen, in der Summe hat das alles zu erheblicher Kritik am Fußball geführt. Da müssen wir gegensteuern, das ist eine Hauptaufgabe für alle Verantwortlichen. Wir haben zum Beispiel unser Stadion zur Verfügung gestellt, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, dort gegen Corona geimpft zu werden. Und wir haben uns mit einem Benefizspiel für die Opfer der Flutkatastrophe eingesetzt, die ihr Hab und Gut verloren haben. Den Vorwurf, dass der Fußball eine Sonderrolle beansprucht, finde ich nicht gerecht.

Sie waren immer ein Mann des Ausgleichs. Bei der Deutschen Fußball-Liga haben Sie stets dafür gesorgt, dass nach inhaltlich heftigen Auseinandersetzungen am Ende doch einheitlich abgestimmt wurde. Bei der DFL sind die personellen Weichen für einen Neubeginn gestellt worden, beim DFB aber geht es hinter den Kulissen seit einiger Zeit ganz schön ruppig zu.

Reinhard Rauball: Um ehrlich zu sein: Ich mache mir auch Sorgen, speziell um den DFB. Es muss das Gebot der Zukunft sein, gemeinsam Lösungen zu finden. Und dazu kommt man nicht durch Poltern und nicht durch das Produzieren von Schlagzeilen, sondern durch Reden und Arbeiten im Hintergrund. Das kann ich nur jedem empfehlen. Auf die Einstimmigkeit war ich immer stolz. Der Fußball sollte außerhalb des Sports unbedingt darauf verzichten, Verlierer zu produzieren.

Sie sind ein klarer Verfechter der 50+1-Regel. Damit bleibt in Deutschland die Entscheidungsgewalt beim Verein, aber im internationalen Wettbewerb drohen größer werdende Rückstände.

Reinhard Rauball: Die Identifikation der Menschen mit ihren Vereinen darf nicht zerstört werden. Die sollten wir nicht opfern, nur um einmal einen Scheck zu bekommen, der größer ist als alle, die man vorher gesehen hatte. Wo gibt es in der heutigen Zeit noch solche gesellschaftlichen Anknüpfungspunkte wie bei unserem Sport? Zum Fußball gehen die Leute nicht nur, um das Spiel zu erleben, sondern auch, um Freunde zu treffen, eine Bratwurst zu essen und ein Bier zu trinken. Und in Zeiten außerhalb der Pandemie waren das bei Borussia Dortmund immer mehr als 80.000.

Und der internationale Nachteil?

Reinhard Rauball: 2013 standen Bayern München und Borussia Dortmund im Endspiel der Champions League. Es ist aller Ehren wert, so etwas trotz 50+1 hinbekommen zu haben. Im Übrigen ist Bayern München für mich in dieser Saison der heißeste Anwärter auf den Gewinn der Königsklasse.

Herr Dr. Rauball, zum Schluss die Frage: Sind Sie ein glücklicher Mensch?

Reinhard Rauball: Ja, völlig.

Das kam direkt und klang sehr überzeugend.

Reinhard Rauball: Weil es stimmt. Und ich denke, das muss ich nun auch nicht mehr näher erklären.