Turin. Was für ein Jahr für Alexander Zverev. Nach seinem Olympiasieg gewann der Hamburger auch das Saisonfinale der besten Tennisprofis.

Was sprach nicht alles gegen Alexander Zverev an diesem letzten großen Tennistag des Jahres 2021? Er hatte die letzten fünf Spiele gegen den schwierigen Daniil Medwedew verloren, auch in der Vorrunde dieses Championats in Turin am letzten Dienstag. Er hatte am Samstag auch noch bis kurz vor Mitternacht im Halbfinale gegen Novak Djokovic auf dem Platz gestanden, nach einer Zermürbungsschlacht im Halbfinale gegen die Nummer eins der Welt war die Nacht ziemlich kurz für den deutschen Olympiasieger, jedenfalls viel kürzer als für seinen Gegenspieler Medwedew.

Alexander Zverev mit meisterlicher Strategie

Doch als es im Finale der ATP-WM am Sonntagnachmittag um alles oder nichts ging für Zverev, war vom bösen Omen des zurückliegenden Dauer-Scheiterns oder der möglichen Müdigkeit nicht die geringste Spur: Mit meisterlicher Strategie und bestaunenswerter Konstanz auf höchstem Niveau rauschte Zverev zu seinem zweiten Titel beim Saisonfinale der acht Besten. Kaum zu glauben, aber wahr: Gegen Medwedew, den Titelverteidiger, geriet der 24-jährige Hamburger kaum einmal in ernsthafte Gefahr bei seinem blitzsauberen 6:4, 6:4-Triumph. „Es ist ein unglaublicher Moment, ein großartiges, fantastisches Gefühl“, sagte Zverev nach der neuerlichen, nahezu perfekt anmutenden Sternstunde auf einem großen Centre Court, bei der er nicht einen einzigen Breakball abzuwehren hatte. Der Sieg 2021 folgte dem Drehbuch des Jahres 2018: Damals hatte Zverev in der Vorrunde gegen Djokovic verloren und im Finale Revanche gegen den Serben genommen, nun gelang ihm dieses Kunststück gegen Medwedew deckungsgleich.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Zverevs letztes machtvolles Wort in der Spielzeit 2021 hatte noch mehr Gewicht als sein erfolgreicher Auftritt als Goldschürfer in Tokio im Sommer. Denn auf der Zielgeraden des Eliteturniers musste Zverev mit Frontmann Djokovic und dem als Kronprinzen geltenden Medwedew die beiden nominell besten Spieler des Planeten bezwingen, an zwei aufeinander folgenden Tagen übertrumpfte er am Ende dieser brutal auszehrenden Serie die Nummer 1 und die Nummer 2. Mit dem 59. Sieg im 74. Spiel zeigte der Hamburger auch bemerkenswerte Steherqualitäten, schrieb die beste individuelle Bilanz eines Profis in das Arbeitszeugnis der Tour für 2021. „Diese Saison hat bestätigt, dass Sascha zur mitbestimmenden Kraft im Welttennis geworden ist“, notierte Ex-Bundestrainer Patrik Kühnen, „er ist zum kompletten Spieler gereift, der sein bestes Tennis zeigt, wenn es sein muss.“

Vor allem ist Zverev drei Jahre nach seinem Londoner WM-Überraschungscoup ein Mann geworden, der mit aller Ruhe und Selbstverständlichkeit bei nahezu jedem gewichtigen Event eine Hauptrolle spielt. Und nicht immer, aber immer öfters als Pokal-Held durchs Ziel geht. Sechs Mal stand er 2021 in einem Endspiel, und sechs Mal gewann er das letzte Duell dann auch. Die Schwäche bei den Topturnieren, auch bei den Big Points in den wichtigen Duellen ist gewichen, Zverev ist ein Machtfaktor auf der Weltbühne seines Sports. 2022 kann er nun sogar die Spitze der Weltrangliste in Angriff nehmen, er befindet sich durchaus Augenhöhe mit Djokovic und Medwedew, den beiden einzigen Akteuren, die noch vor ihm platziert sind.

Hellwach und konzentriert präsentierte sich der Hüne auch im Fight gegen Medwedew, in den letzten anderthalb Jahren so etwas wie sein persönlicher Alptraum gewesen. Gleich mit dem Break zum 2:1 im ersten Satz, nach nur fünf Minuten, setzte Zverev den Ton in diesem Match, übernahm die Kontrolle mit druckvollem, auch risikoreichem und niemals völlig berechenbaren Spiel. Zverev hatte entscheidend aus den vorherigen Niederlagen gegen den 25-jährigen Moskowiter gelernt: Er ließ sich nicht auf endlos lange Ballwechsel an der Grundlinie ein, ging aggressiv vom Return weg in den Schlagabtausch. Doch selbst wenn die Sache einmal langwieriger wurde, behielt der Deutsche oft genug die Oberhand – es wirkte, als vergäße Zverev einfach die Strapazen der letzten Tage und speziell noch einmal die substanzraubende Maloche aus dem Marathon gegen Djokovic am Sonnabend.

Nach gut einer halben Stunde hatte Zverev Satz eins mit 6:4 für sich abgehakt. Und einen Spannungsabfall leistete er sich auch nach dieser wichtigen Führung nicht im geringsten, gleich im ersten Spiel des zweiten Satzes holte er sich wieder ein Break und ließ den Russen erneut hinter sich her laufen. Mit präzisen Aufschlägen auf dem schnellen Hallenboden des Pala Alpitour, aber auch dem sonst sehr variablen Spiel hielt Zverev den US Open-Champion weiter auf Distanz – Medwedew besaß tatsächlich keine reelle Chance gegen den extrem fokussierten, vor Selbstbewußtsein nur so strotzenden Olympiasieger. „Eine absolute Meisterleistung von Sascha“ konstatierte Britanniens früherer Topmann Greg Rusedski als TV-Beobachter.

Bei 5:4 schlug Zverev zum Matchgewinn auf, zum Weltmeister-Titel. Und wo er bei anderer Gelegenheit früher einmal die schwere, zittrige Hand bekommen hatte, war nun kein Nervenflattern zu sehen. Zverev brachte seinen Sieg mit einer Gelassenheit und Stärke nach Hause, die schlicht imponierend war. Das Ass zum zweiten Championat mit dem zweiten Aufschlag setzte der Bravournummer des Deutschen wirklich die Krone auf.