Reykjavík. Drittes Spiel, dritter Sieg. Hansi Flick übersteht seine erste Länderspielphase ohne Makel. Auf Island siegt das DFB-Team mit 4:0.
Natürlich wusste Hansi Flick ganz genau, was jetzt gleich kommen würde. RTL und TV-Experte Lothar Matthäus warteten bereits, um direkt nach dem Spiel gegen Island den Bundestrainer zur Lage der Fußballnation zu befragen. Doch anders als vor 18 Jahren, als Rudi Völler vor laufender Kamera wie ein isländischer Vulkan explodierte, wurde diese ohnehin nur bedingte Gefahr bereits in den 90 Minuten zuvor gebannt. Mit 4:0 (2:0) hatte Deutschland die Pflichtaufgabe Island gemeistert – und Trainer Flick ein entspanntes TV-Interview beschert.
Vor den 90 Minuten stand Fußball aber zunächst einmal nicht im Mittelpunkt. Wegen des unangemessenen Umgangs der Fußballfunktionäre des KSI mit einer Reihe von mutmaßlichen Fällen von sexueller Gewalt von Nationalspielern demonstrierten mehrere Aktivisten und Aktivistinnen vor dem Stadion gegen die bereits zurückgetretene Verbandsspitze. Und auch im Stadion gab es statt des beliebten und lauten Húhs zunächst nur ein leises Buh: Ein Großteil der 3600 Zuschauer wollte die ersten zwölf Minuten aus Protest schweigen. Ein paar Anhänger hielten sich zwar nicht wirklich an den Stimmungsboykott, doch die Message kam an: Islands organisierter Fußball, das wurde nicht nur in diesen zwölf Húh-losen Minuten deutlich, hat derzeit sehr viel größere Sorgen als Fußball.
Deutschland mit tollem Start
Gespielt wurde dann aber doch. Und das am Anfang nahezu identisch wie schon drei Tage zuvor in Stuttgart beim begeisternden 6:0-Sieg gegen Armenien. Die erste Chance, der erste Schuss, das erste Tor nach vier Minuten durch Serge Gnabry. Anders als in Stuttgart, als sich der Münchner auch direkt über sein früheres Führungstor freuen durfte, mussten Gnabry und Co diesmal knapp zwei Minuten warten, ehe der englische Videorichter Christopher Kavanagh auch auf Tor entschied.
Doch im Gegensatz zum Sieg gegen Armenien, als Gnabrys erster von zwei Treffern die ganze Mannschaft regelrecht beflügelte, schien das DFB-Team in Reykjavik ein wenig gehemmt. Immerhin: Nach zwölf Minuten bebte das Stadion dann doch, als wie zuvor verabredet erstmals das Húh durch die Arena donnerte. Viel mehr kam von „Strákarnir okkar“, von „Unseren Jungs“ auf dem Rasen, wie die Nordmänner auf der Insel genannt werden, aber mit Ausnahme von einer Tormöglichkeit (17.) in der ersten Halbzeit auch nicht.
DFB-Team wackelt nur ganz kurz nach der Pause
Und die deutsche Mannschaft? Als einzige Änderung im Vergleich zum Sonntag hatte Flick Ilkay Gündogan für den angeschlagenen Marco Reus im offensiven Mittelfeld nominiert. Doch ähnlich wie der Rest der Abteilung Attacke, die noch vor drei Tagen gegen Armenien aus allen Rohren geschossen hatte, versuchte sich auch Gündogan nahe des Polarkreises eher in der Otto Rehhagelschen kontrollierten Offensive. Es brauchte schon eine Standardsituation, um die deutsche Bank, die statt auf der Bank genau neben den Journalisten auf der Tribüne saß, vom Hocker zu reißen. Einen Chip-Freistoß von Joshua Kimmich wuchtete Abwehrmann Antonio Rüdiger per Kopf ins lange Eck – und durfte sich anschließend von den aufgesprungenen Reservisten um Kai Havertz und Co feiern lassen (24.).
Havertz brauchte sich nach dem Pausenpfiff auch gar nicht erst wieder hinsetzen. Nach drei Toren in den ersten drei Flick-Spielen hatte der Löw-Nachfolger von Gnabry erst einmal genug gesehen – und wollte nun auch dem zuletzt angeschlagenen Jungstar von Chelsea ein wenig Spielzeit bescheren. Doch nach einem ersten Timo-Werner-Warnschuss (48.) musste Havertz zunächst einen echten Schreckmoment überstehen. Denn wieder lag nach vier Minuten der Ball im Netz, wieder musste der Videorichter bemüht werden – doch zum Glück für Deutschland stand diesmal Islands Albert Gudmundsson beim Pfosten-Abpraller von Johann Gudmundsson im Abseits.
WM-Quali ist Deutschland kaum noch zu nehmen
Was in der jüngeren Vergangenheit die deutsche Mannschaft schon mal aus dem Tritt bringen konnte, schien sie im Zeitalter 3 n.L. (drittes Spiel nach Löw) regelrecht zu beflügeln. Erst war es der gerade erst eingewechselte Havertz, der das Kunststück vollbrachte, völlig frei aus bester Position daneben zu zirkeln (55.). Dann war es nicht einmal 60 Sekunden später Leroy Sané, der aus nahezu unmöglicher Position den Ball ins Netz zum 3:0 drosch.
Nach nicht einmal einer Stunde war die isländische Messe gelesen. Eine halbe Stunde und ein weiteres DFB-Tor durch Timo Werner (90.) später war Schluss. Allzu viel Zeit, um die gerade absolvierten 90 Minuten noch einmal Revue passieren zu lassen, hatte Flick aber nicht. Er und die Mannschaft wurden kurz nach dem Abpfiff direkt aus dem Stadion zum internationalen Flughafen chauffiert, von wo aus der DFB-Tross noch in der Nacht in Richtung Heimat abhob. Mit im Gepäck dabei: Drei Siege aus den ersten drei Flick-Spielen, 12:0 Tore – und die Gewissheit, dass die Qualifikation für die WM in Katar dieser Mannschaft kaum noch zu nehmen ist.