Stuttgart. Das DFB-Team hat Probleme mit dem Toreschießen - das zeigte das Spiel gegen Liechtenstein. Nun steht Deutschland in der Bringschuld.

Thomas Müller wird auch dabei sein, wenn die deutsche Nationalmannschaft am Sonntagabend in Stuttgart gegen Armenien spielt (20.45 Uhr/RTL), und das ist schon die zweite Überraschung, die der deutsche Angreifer der Fußballnation in diesen Tagen angedeihen lässt. Erst war er ja zu Beginn der Woche abgereist, wegen Beschwerden mit den Adduktoren. Das war gleich in doppelter Hinsicht überraschend, denn eigentlich gilt die Regel, dass Müller nie verletzt ist. Und eine Muskelverletzung ist nach landläufiger Meinung erst recht ausgeschlossen, denn der 31-Jährige hat doch gar keine Muskulatur in den Beinen.

Offensichtlich doch, denn die Adduktoren zwicken jetzt nachgewiesenermaßen. Dennoch ist Müller in Stuttgart dabei, was aber keinesfalls auf eine Wunderheilung hindeutet: Der Routinier wird genau wie Manuel Neuer für sein 100. Länderspiel geehrt. Eine Marke, die er schon vor fast zwei Jahren erreicht hat. Aber nach dem Spiel gegen die Niederlande komplimentierte ihn der damalige Bundestrainer Löw bekanntlich aus der Elite-Auswahl heraus – und als er ihn zurückholte, fehlten wegen der Corona-Pandemie die Zuschauer und damit der würdige Rahmen für eine Ehrung.

Timo Werner: Beim DFB gesetzt - bei Chelsea nur noch Ersatz

Die wird nun nachgeholt, denn in Stuttgart sind 18.000 Tickets verfügbar und bereits vergriffen, weil der deutsche Fußball-Bund sie als Freikarten unters Volk gebracht hat. Ob auch alle erschienen, die eine Karte zugelost bekommen haben, weiß freilich noch niemand so genau. Der Auftakt der Ära Flick, das mühsame 2:0 gegen den Fußballzwerg Liechtenstein, hat nicht unbedingt Lust auf mehr gemacht.

Timo Werner (links) freut sich mit Robin Gosens über sein Tor gegen Liechtenstein.
Timo Werner (links) freut sich mit Robin Gosens über sein Tor gegen Liechtenstein. © dpa

Und das Publikum im Ländle ist traditionell anspruchsvoll: „Wir Schwaben sind schnell mal etwas kritischer“, weiß Timo Werner, der unweit der Mercedes-Benz-Arena in Stuttgart aufgewachsen ist. „Aber im Großen und Ganzen sind wir sehr fußballbegeistert. Wir wollen guten Fußball sehen – und es liegt an uns als Nationalmannschaft, das zu zeigen.“ Die Mannschaft ist in der Bringschuld, und Werner ist es auch nach den Eindrücken der vergangenen Monate. Einerseits ist er als Stürmer sehr oft da, wo es gefährlich wird – das betonen die Menschen, die es gut mit ihm meinen. Andererseits münzte er diese Momente in den vergangenen Monaten viel zu selten in Tore um. Paradebeispiel dafür war die Szene aus dem WM-Qualifikationsspiel gegen Nordmazedonien (1:2), als er beim Stand von 1:1 das leere Tor nicht traf.

Werner hat keine leichten Monate hinter sich: Bei der Europameisterschaft kam er nur von der Bank und beim FC Chelsea hat ihn Neuzugang Romelu Lukaku ebenfalls aus der Startelf verdrängt. Sein Vorteil: Zu den Menschen, die es gut mit ihm meinen, gehört Hansi Flick, der neue Bundestrainer. Der wollte ihn einst schon zum FC Bayern lotsen, jetzt arbeiten beide zumindest bei der Nationalmannschaft miteinander. Und Flick ließ Werner gegen Liechtenstein gleich mal durchspielen. Es war natürlich auch eine therapeutische Maßnahme, Werner dankte es mit dem Treffer zum 1:0.

Dem DFB-Team und Timo Werner fehlte zuletzt das Selbstvertrauen

Nur gegen Liechtenstein zwar, und auch nur eins – aber Tor ist Tor, und für Werner war der erste Pflichtspieltreffer, weshalb er sich natürlich freute. „Das erste Saisontor ist immer das wichtigste, dann kann es richtig losgehen“, sagt er. Deswegen ist es gut, dass ich gegen Liechtenstein angefangen habe. Aber jedes Tor tut einem Stürmer gut, weil man dadurch das nötige Selbstvertrauen bekommt.“

Zuletzt allerdings fehlte das Selbstvertrauen, nicht nur bei Werner. Die gesamte deutsche Mannschaft befiel im Strafraum das kollektive Zaudern, exemplarisch vorgeführt gegen Liechtenstein. „Wir können, was die Torausbeute angeht, nicht zufrieden sein“, sagt Flick klipp und klar. So manche Kritik war ihm aber zu hart, das lässt er in einem spontanen Impulsvortrag durchblicken. Wichtiger als die Tore waren ihm im ersten Spiel als Bundestrainer andere Dinge: Einsatzbereitschaft, Willen, der stete Impuls, den Gegner nach Ballverlusten sofort unter Druck zu setzen. Für Feinarbeit war ohnehin keine Zeit, vor dem Liechtenstein-Spiel hatte Flick drei Einheiten mit der Mannschaft, nun kam vor Armenien eine einzige hinzu.

Flick kann deswegen wenig ändern, er will es aber auch nicht – zumindest personell. Das Spiel gegen Armenien ist schließlich keine Experimentierwiese, sondern die Partie gegen den Tabellenführer mit womöglich vorentscheidender Bedeutung für die WM-Qualifikation: Mit einem Sieg zöge man vorbei, alles andere würde die Ausgangslage erheblich erschweren. Ein paar Wechsel aber wird es geben: Der genesene Kapitän Neuer wird ins Tor rücken, Robin Gosens wegen einer Kapselverletzung im Sprunggelenk aussetzen, Kai Havertz ist wegen eines grippalen Infekts fraglich.