Riesenbeck. Ludger Beerbaum, Deutschlands erfolgreichster Springreiter, spricht über die Europameisterschaft in Riesenbeck und seine Aufgabe als Orga-Chef.

Die Strapazen als Gastgeber einer Europameisterschaft lassen sich auf diesem Wege am schönsten vergessen: Ludger Beerbaum war es eine Freude, am Mittwoch beim ersten Zeitspringen EM-Debütant David Will (33/Prien) zum schnellsten und fehlerfreien Umlauf des Tages zu gratulieren. Das weckt beim 58-Jährigen genauso wie bei Bundestrainer Otto Becker (62) die Hoffnung auf ein gutes Abschneiden der deutschen Springreiter in Riesenbeck. Bevor an diesem Donnerstag und Freitag (je 13 Uhr) die Medaillen in Mannschaftsspringen und am Sonntag im Einzel (14 Uhr) vergeben werden, spricht Deutschlands erfolgreichster Springreiter der Geschichte (viermal Olympiasieger) über die Zeit im Büro und im Sattel, den EM-Ort Riesenbeck und die deutschen Aussichten.

Herr Beerbaum, Sie sind selbst noch am vergangenen Wochenende bei der Global Champions Tour in Hamburg gestartet. Einst sagten Sie, mit 50 wollten Sie nicht mehr im Sattel sitzen. Diese Vorhersage wurde inzwischen auf 60 erweitert – bleiben Ihnen also nur noch zwei Jahre, um noch mal aufzuschieben, oder?

Ludger Beerbaum: Nein, das habe ich nicht vor. Ich bin auf der Zielgeraden, kann ich Ihnen versichern. Ich bin schon halb im Ruhestand, reite nur noch zum eigenen Spaß und nicht mehr bei Championaten oder Nationenpreisen. Damit war nach der letzten Medaille in Rio tatsächlich Schluss. Aber ich genieße noch die Zeit auf den Pferden.

Der Vorteil des Reitsports ist ja, dass man ihn lange ausüben kann.

Ludger Beerbaum: Das Reiten ist eine einzigartige Sportart, wo es ältere Teilnehmer wie mich oder wie in Hamburg die mit 23 Jahren noch so junge Eve Jobs gibt, wo geschlechtsunabhängig auf demselben Level Wettkämpfe ausgetragen werden. Das ist in keiner anderen Sportart so möglich.

Ihre ersten EM-Titel gewannen Sie 1997 in Mannheim im Einzel und mit der Equipe – waren aber neun Jahre zuvor in Seoul schon Olympiasieger und hatten die Weltreiterspiele gewonnen. Hatte der erste Triumph bei einer Europameisterschaft da noch eine besondere Bedeutung für Sie?

Ludger Beerbaum: Es war sogar ein besonders emotionaler Moment für mich, für den ich ja einigen Anlauf genommen hatte. Einige Male zuvor hatte es nicht geklappt, dieser Titel fehlte mir aber noch. Er war auch ein großes Ziel meiner Laufbahn damals. Vor heimischem Publikum zu gewinnen, vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl die Medaille überreicht zu bekommen – das werde ich nie vergessen.

Die Reitanlage Riesenbeck International.
Die Reitanlage Riesenbeck International. © Imago

Wie haben sich Europameisterschaften seitdem verändert?

Ludger Beerbaum: Die Spitze ist breiter geworden, gerade in Westeuropa haben wir sehr viele ernstzunehmende Konkurrenten dazubekommen: die Belgier, die Niederländer, die Franzosen, die Iren, die Schweizer und Schweden, die Engländer sowieso. Durch die Globalisierung und Digitalisierung ist die Reichweite ganz klar größer geworden, der Sport wird mehr wahrgenommen als vor 30 Jahren.

Was ist schwieriger: einen Nationenpreis zu gewinnen oder die EM zu organisieren?

Ludger Beerbaum: Das ist schwierig zu sagen. Wir stellen die EM als Team auf die Beine, da lasten die Aufgabenverteilung und die Verantwortung automatisch auf vielen Schultern. Wenn ich beim Nationenpreis oder Großen Preis allein mit meinem Pferd unterwegs bin, ist das anders: Als Reiter habe ich persönlich mehr Druck als EM-Organisator.

Nicht erst durch die EM hat sich Ihr Tätigkeitsbereich geändert. Überwiegt die Zeit im Büro oder im Sattel?

Ludger Beerbaum: Das hält sich schon noch die Waage, kann ich zum Glück sagen. Ich versuche, die geschäftlichen Dinge an halben Tagen im Büro oder am Telefon abzuarbeiten. Ich kümmere mich jetzt um die Europameisterschaft, habe noch den Stall mit fast 50 Mitarbeitern, die Deckstation, die Veranstaltungs- und Futtermittelfirma. Mir wird wahrlich nicht langweilig, wenn ich mal nicht reite. Aber der Rest des Tages ist schon aktiv den Pferden oder zumindest draußen im Stall gewidmet.

Sie haben die Anlage Riesenbeck International mitentwickelt. Was passiert dort, wenn nicht gerade eine EM ansteht?

Ludger Beerbaum: Wir haben hier an 365 Tagen Reitbetrieb. Das können auch kleinere Springen, Lehrgänge oder sonstige Tagesveranstaltungen sein. Man kann die Halle für privates Training buchen: Christian Ahlmann, Marcus Ehning und Marco Kutscher sind immer wieder hier, trainieren auch mit ihren Schülern. Es ist ein Zentrum des Pferdesports.

Das Projekt befindet sich im siebten Jahr. Ohne die Bedeutung des anderen Standorts untergraben zu wollen: Ist es ein Ziel, Riesenbeck International als Pendant zu Aachen aufzubauen?

Ludger Beerbaum: Da würde ich mich in der Tat sehr weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich sagte, wir wollen versuchen, Aachen als Veranstaltungsort den Rang abzulaufen. Aachen steht für 100 Jahre Geschichte im Reiten. Aber ich habe kein Problem damit zu sagen: Wir sind zweiter großer Reitsport-Stützpunkt neben Aachen und wollen als solcher wahrgenommen werden. Davor schrecke ich nicht zurück.

Normalerweise haben EM-Ausrichter drei Jahre Vorbereitung für das Event – Sie mussten alles wegen der Olympia-Verschiebung in nur einem Jahr planen, nachdem die EM erst abgesagt und dann doch in den Terminkalender angenommen worden war.

Ludger Beerbaum: Nicht mal ein Jahr, Ende November 2020 stand erst fest, dass wir die EM ausrichten würden. Im Rückblick muss ich sagen: Das war richtig sportlich. Ich muss aber auch sagen: In dieser Situation zu spüren, dass alle die Ausrichtung mittragen, war ganz besonders. Ohne die Unterstützung durch Behörden, was Genehmigungen angeht, wäre das nicht möglich gewesen. Das war wirklich cool.

Worauf freuen Sie sich besonders bei der EM?

Ludger Beerbaum: Für uns ist es eine super Gelegenheit, der Öffentlichkeit zu zeigen, was wir hier machen. Wir können der Reitsportwelt darlegen: Es ist eine Herausforderung, aber wir kriegen das hin.

Ludger Beerbaum (links) im Gespräch mit Springreiter Christian Ahlmann.
Ludger Beerbaum (links) im Gespräch mit Springreiter Christian Ahlmann. © Imago

Um es bewusst nicht mit dem eigentlichen Pferdesport zu bezeichnen: Zuletzt gab es bei den Olympischen Spiele rund um die Tiere äußerst unschöne Nachrichten. Spüren Sie durch die Vorfälle im Modernen Fünfkampf aufkommende Skepsis gegenüber dem Sport mit Pferden?

Ludger Beerbaum: Bei all unseren Kontakten und beim Blick in die Social-Media-Welt registrieren wir natürlich die vielen Kommentare, die Beschwerden, die auf Missstände hinweisen. Das passiert auch nicht nur während Olympia, war nun aber aufgrund der viel höheren Aufmerksamkeit bei diesem Anlass viel krasser. Darüber dürfen wir uns auch nicht beschweren. Wir müssen uns der Kritik stellen, transparent und glaubhaft sagen: Was war da schlecht, was ist falsch gelaufen, wer hat was zu verantworten? Vor dieser Diskussion können wir nicht weglaufen, die müssen wir aktiv mitführen. Und dann können wir den Leuten auch zeigen: Wir betreiben unseren Sport mit viel Horsemanship, wir behandeln die Tiere mit Verantwortung und Respekt und lassen uns dabei auch jederzeit auf die Finger schauen.

Fühlen Sie mit Annika Schleu, die sicherlich auch in der Situation verzweifelt war, als sie ihr Pferd, mit dem sie nicht vertraut war, mit der Gerte schlug?

Ludger Beerbaum: Sie tut mir sehr leid. Aber Missstände können ja auch nicht nur im Modernen Fünfkampf auftreten. Auch im Springen kann ein Pferd mal bluten, dann muss es abgeklingelt werden. Da gibt es ebenso noch Potenzial für Optimierung. Nichtsdestotrotz kann ich den Sport mit gutem Gewissen betreiben, ohne das Gefühl zu haben, mich nicht tierschutzrelevant zu verhalten.

Topreiter haben auch mehrere Toppferde. Welches Verhältnis besteht normalerweise zwischen Mensch und Tier?

Ludger Beerbaum: Gerade Pferde, mit denen man lange zusammenarbeitet, also Erfolge und auch Niederlagen erlebt, sind für Reiter so etwas wie ein Familienmitglied. Je nachdem, wie die Charaktere zusammenpassen, kann das wahnsinnig emotional sein – es kann aber auch mal ein Paar geben, das doch nicht so sehr zusammenfindet. Unabhängig davon muss man jedes Pferd, wenn man als Mensch die Verantwortung dafür trägt, mit Respekt und Sorgfalt behandeln. Das ist das Allerwichtigste.

Rein sportlich gab es auch für die deutschen Springreiter in Tokio wenig Grund zur Freude. Daniel Deußer wurde 18. im Einzel, die Equipe wurde Neunter. Die letzte Einzelmedaille liegt 17 Jahre zurück. Gehören die Deutschen noch zur Weltspitze?

Ludger Beerbaum: Absolut. Das wird auch durch den Blick in die Weltrangliste verdeutlicht: Daniel Deußer führt diese an, für Christian Ahlmann und Marcus Ehning geht es auch immer um Top-Ten-Platzierungen. Die Konkurrenz ist nur eben viel größer geworden. Besonders die Schweden haben enorm aufgerüstet und viel in gute Pferde investiert. Unseren Topreitern fehlte zuletzt häufig zum Championat das richtige Pferd, das gesund und fit war. Manch jüngerer Reiter war dann am Start, der noch nicht ganz so weit war, bei dem die Abstimmung mit dem Pferd noch nicht hundertprozentig war. Das war in Tokio das Dilemma – aber ich mache mir grundsätzlich keine Sorgen, dass Deutschland im Reitsport mittelfristig ins Hintertreffen geraten wird. Da die nächsten Olympischen Spiele schon in drei Jahren sind, sollten jetzt schon entsprechende Weichen gestellt werden, dass wir in Paris drei Top-Paare am Start haben – und dann sind wir auch wieder auf dem Podium.

Sind es also nur Stellschrauben, an denen man drehen muss?

Ludger Beerbaum: Unser System müssen wir nicht infrage stellen. Ein bisschen langfristiger muss man aber schon planen, damit die Reiter bei Olympia ihr bestes Pferd wieder zur Verfügung haben, um Erfolg zu haben. Für Marcus Ehning wäre es zum Beispiel besser gewesen, wenn die Spiele 2020 nicht verschoben worden wären. So waren seine Pferde jetzt altersmäßig ein bisschen an der Grenze. Christian Ahlmann hatte nur ein Pferd, das war nun zweieinhalb Monate verletzt und hatte zu großen Trainingsrückstand, um mit nach Tokio zu gehen. Wenn die beiden am Start gewesen wären, hätte die Welt schon anders ausgesehen.

Daniel Deußer fehlt bei der EM, Olympiasieger Ben Maher aus Großbritannien ist auch nicht am Start. Aber auch so dürfte es spannende Springen geben.

Ludger Beerbaum: Definitiv. Mit dem Schweden Peder Fredricson haben wir ja auch ein Mitglied der schwedischen Goldmannschaft von Tokio dabei, der im Einzel auch noch Silber geholt hat. Es war von vornherein klar, dass nur vier Wochen nach den Olympischen Spielen nicht alle Stars hier bei der EM sein würden – gerade die nicht, die nur ein Pferd haben. Es ist trotzdem eine gute Besetzung, die guten Sport zeigen wird.