Mönchengladbach. Lothar Matthäus spielte für Gladbach und München. Vor dem Duell am Freitag spricht der Sky-Experte über Borussias Chancen und Bayerns Baustellen.

Als Sky-Experte hat Lothar Matthäus (60) die Bundesliga-Duelle zwischen Borussia Mönchengladbach und Bayern München schon oft am Samstagabend begleitet. Diesmal schaut er am Freitagabend (20.30 Uhr/Sat.1 und DAZN) ganz genau hin, wenn die beiden Klubs aufeinandertreffen. Die neue Saison beginnt gleich mit einem Klassiker, einem Höhepunkt für viele Fußball-Fans. Einem Spiel, mit dem Lothar Matthäus, der Rekord-Nationalspieler und Kapitän der Weltmeister-Elf von 1990, fest verbunden bleibt.

Herr Matthäus, was bedeutet Ihnen dieses Duell noch?

Lothar Matthäus: Es ist für mich ein ganz besonderes Spiel. Borussia Mönchengladbach und Bayern München sind die einzigen beiden Klubs, für die ich in Deutschland gespielt habe. Ihnen drücke ich ein bisschen mehr die Daumen als anderen, weil ich eine persönliche und emotionale Beziehung zu diesen Vereinen habe. Zu beiden habe ich ein sehr gutes Verhältnis, ich habe dort sehr viele Bekannte und Freunde. Für Gladbach habe ich große Sympathien aus meiner Kindheit, für den FC Bayern aus den vergangenen drei Jahrzehnten. Ich lebe in München, werde mit Bayern in Zusammenhang gebracht. Es ist ein Spiel, bei dem ich mir keinen Sieger und damit auch keinen Verlierer wünsche.

Gladbach hat zuletzt zwei Heimspiele gegen die Bayern gewonnen. Wie stehen Borussias Chancen diesmal?

Matthäus: Bayern hatte nicht die optimale Vorbereitung. Es gab keinen einzigen Sieg, das Pokalspiel ist ausgefallen. Viele Nationalspieler waren noch lange weg, nun gibt es schon einige Verletzungssorgen. Es gibt vermutlich keinen besseren Zeitpunkt für Gladbach, als jetzt gegen die Bayern zu spielen. Auch Robert Lewandowski hatte als Weltfußballer mit Polen bei der EM keinen Erfolg. Dieses negative Erlebnis bei der Europameisterschaft muss er erst einmal verarbeiten, um wieder in die Spur zu kommen. Auch das könnte den Gladbachern in die Karten spielen.

August 1997: Lothar Matthäus (rechts) als Bayern-Profi gegen Gladbachs Effenberg, der ebenfalls später nach München wechselte.
August 1997: Lothar Matthäus (rechts) als Bayern-Profi gegen Gladbachs Effenberg, der ebenfalls später nach München wechselte. © imago

In der vergangenen Saison hat Gladbach teilwiese furios in der Champions League gespielt, aber als Tabellenachter das internationale Geschäft verpasst. Was muss passieren, damit der Klub wieder dort vertreten ist?

Matthäus: Der Fußball ist schnelllebig. Man redet meistens nicht von der großen Vergangenheit, sondern oft nur vom letzten Spiel. Mönchengladbach hat im ersten halben Jahr teilweise sensationell gespielt, ist dann im Achtelfinale gegen Manchester City ausgeschieden. Der Klub hat seinen Ruf international wieder aufpoliert, auch mit den Spielen gegen Inter Mailand und Real Madrid. In der Rückrunde hat man sich aber selbst um den Lohn gebracht, was sicherlich auch mit dem Trainerwechsel, den Schlagzeilen, dem Hick-Hack und Marco Rose verbunden war. Andererseits müssen aber eine Mannschaft und ein Verein aber so stabil sein, um auch solche Sachen wie einen Abschied von Marco Rose wegzustecken. Allein er war es also nicht. Wenn die Spieler auf dem Platz ihre Leistung gebracht hätten, wäre wieder ein internationaler Platz möglich gewesen. Das muss jetzt das Ziel für die neue Saison sein. Ich glaube, dass drei Champions-League-Plätze mit Bayern München, Borussia Dortmund und RB Leipzig schon vergeben sind. Mönchengladbach muss eine der Mannschaften sein, die bis zum letzten Spieltag um den vierten Platz mitspielen. Das muss der Anspruch des Klubs sein, auch wenn man dies dort vielleicht nicht gerne hört.

Der FC Bayern neun Meistertitel in Serie gewonnen und nun einen Umbruch vollzogen. Wie beurteilen Sie diese Veränderungen?

Matthäus: Es ist ein großer Umbruch. Aber bei allen Mannschaften, die oben in der Tabellenhälfte standen, hat es Umbrüche gegeben. Trotzdem schaut man speziell auf Bayern München. Neben der sportlichen Leistung ist es auch wichtig, eine Hierarchie im Klub aufzubauen, die Aufgaben so verteilt zu halten, dass man schnellstmöglich eine Stabilität wie unter Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge reinbringt. In den vergangenen eineinhalb Jahren sind zudem viele Spieler weggegangen. Thiago ist nicht mehr da. Auch nicht Javi Martinez, Jerome Boateng und David Alaba, die mehr als ein Jahrzehnt dort Fußball-Geschichte geschrieben haben. Es ist eine Herkulesaufgabe für Bayern München, in der Mannschaft die Ansprechpartner, den Zusammenhalt und auch eine Hierarchie zu finden. Ich sehe Bayern weiterhin personell sehr gut besetzt auf den ersten 13, 14 Plätzen in der Mannschaft. Aber mit der hohen Belastung sowie möglichen Verletzungen, gesperrten Spielern und Formschwankungen wird es der FC Bayern sehr schwer haben, in dieser Saison ihre Ziele zu erreichen. Also müssen vorher die Hausaufgaben gemacht werden. Trainer Julian Nagelsmann und die Mannschaft müssen zu einer Einheit zusammenfinden Auch Hasan Salihamidzic steht unter Druck aufgrund der Diskussionen der letzten eineinhalb Jahre mit Hansi Flick, das bleibt auch bei den Fans hängen. Dann hat man mit Oliver Kahn als Vorstandschef einem neuen Mann am Ruder. Er hat natürlich als Spieler viel Erfahrung gesammelt und bei Bayern große Erfolge gefeiert, aber Karl-Heinz Rummenigge hat auf dieser Position ein großes Erbe hinterlassen. Bayern München ist jetzt gefordert, alles so in die Richtung zu lenken, wie es Hansi Flick und Karl-Heinz Rummenigge in der letzten zwei Jahre besser hätten machen können. Der FC Bayern hat jetzt die eine oder andere Baustelle.

Was könnte der Abschied von Co-Trainer Hermann Gerland bedeuten?

Matthäus: Mit Hermann Gerland ist jemand weggefallen, der für Ruhe gesorgt hat. Für ihn war plötzlich kein Platz mehr. Da muss ich auch als Bayern-Fan sagen: Das tut nicht nur weh, sondern für so einen Mann findet man einfach einen Platz, egal wie. Julian Nagelsmann hat mit seinem Trainerteam letztlich gemacht, was er wollte.

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Zum Auftakt kehren 23.000 Zuschauer in den Borussia-Park zurück. Kann das ein Vorteil für Gladbach sein?

Matthäus: Natürlich, aber die Bayern freuen sich auch auf die Zuschauer, auch wenn diese die Heimmannschaft unterstützen. Gladbach hat es in der letzten Saison allerdings auch geschafft, ohne Zuschauer gegen die Bayern zu gewinnen. Alleine an den Fans liegt es also nicht. Aber wenn sie nun wieder in einem gewissen Rahmen hinter ihrer Mannschaft stehen und sie anfeuern, wird das eine oder andere bestimmt einen positiven Einfluss auf das Team haben.

Wie wird das Eröffnungsspiel ausgehen? Haben Sie einen Tipp?

Matthäus: Es ist am Anfang immer schwer, ein solches Spiel einzuschätzen. Ich tippe aber auf ein Unentschieden. Damit könnten beide Mannschaften und auch ich gut leben.