Köln. Eigentlich wollte Boxerin Nadine Apetz 2021 ihre Promotion beenden. Corona brachte den Plan durcheinander. Nun startet sie bei Olympia.
Ende Mai steht Nadine Apetz in einem Backsteingebäude am Kölner Fußballstadion. Aus einem Lautsprecher dröhnt „Queen“. Zu den Klängen von „Don’t Stop Me Now“ beginnt Apetz mit ihrem Boxtraining. Sie drückt zwei Seile beiseite, klettert in den Ring und beginnt damit, sich mit einer unsichtbaren Gegnerin zu duellieren. Trainer Lukas Wilaschek feuert seine Athletin beim Schattenboxen an. „Mach mehr Tempo!“, ruft er. Apetz erhöht die Schlagzahl, macht schnellere Drehungen. Der Gong aus Wilascheks Handy schickt die Boxerin in die kurze Pause.
In Köln hatte sich Apetz auf Olympia vorbereitet. Sie ist die erste deutsche Boxerin, die beim Fünf-Ringe-Wettbewerb startet. Eigentlich wollte sich die 35-Jährige in diesem Jahr auf ihre wissenschaftliche Karriere konzentrieren. Doch dann sorgte die Corona-Pandemie für eine Verlegung der Sommerspiele ins Jahr 2021. Deshalb schob Apetz die Abgabe ihrer Doktorarbeit im Fach Neurowissenschaft auf – und boxte weiter.
Boxen sorgte in der Familie für wenig Begeisterung
Es ist nicht das erste Mal in ihrem Leben, dass sie umplanen muss. Während ihrer Kindheit im rheinischen Haan betrieb Apetz andere Sportarten. Sie schlug Tennisbälle übers Netz und saß im Pferdesattel. Damit war es nach der Schulzeit vorbei. Apetz hatte sich an der Uni Bremen eingeschrieben. „Tennis und Reiten waren jetzt nicht die Sportarten, die ich mir als Studentin leisten konnte“, erklärt die Rheinländerin. Mit 21 Jahren besuchte sie dann einen Anfängerkurs im Boxen. Die Mischung aus Kraft- und Ausdauersport gepaart mit taktischen Entscheidungen – das machte ihr von Beginn an Spaß. „Bei Wettkämpfen zu starten, war aber anfangs überhaupt kein Thema“, sagt Apetz.
Ihre Trainer sahen aber großes Talent in der Spätstarterin. Sie ermutigten Apetz, für offizielle Duelle in den Ring zu steigen. In Haan herrschte stattdessen Skepsis. „Meine Mutter und meine Großeltern fanden es nicht so gut, dass ich mit dem Boxen begonnen habe“, sagt Apetz. „Sie wollten nicht, dass das Kind Prügel bekommt.“ Als der erste Wettkampf in Würzburg anstand, war die Familie trotzdem dabei. Glück brachte sie nicht. „Ich bin bei meinem ersten Kampf richtig untergegangen“, berichtet Apetz.
Sie dachte aber nicht daran, die Handschuhe für immer beiseite zu legen. Stattdessen steigerte Apetz ihr Trainingspensum. Mit Erfolg. 2011 gewann sie erstmals die Deutsche Meisterschaft. Nach einem zwischenzeitlichen Studien-Aufenthalt in Australien zog Apetz schließlich 2014 nach Köln. Der Wechsel gab ihrer Karriere noch mal einen Schub – denn hier befindet sich der Olympia-Stützpunkt fürs Boxen.
Apetz schrieb schon 2016 deutsche Boxgeschichte
2016 sorgte Apetz im kasachischen Astana für einen historischen Moment: Sie gewann als erste deutsche Amateurboxerin eine WM-Medaille und holte Bronze im Weltergewicht. Wer in dieser Klasse starten möchte, darf höchstens 69 Kilogramm auf die Waage bringen. Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro gab es keine Entscheidung im Weltergewicht. Im Mittelgewicht ging es um Medaillen, dort können die Athletinnen bis zu 75 Kilogramm wiegen. „Ich habe versucht, mir Gewicht anzufuttern, es dann aber sein lassen“, sagt Apetz. „Das war einfach nicht meine Klasse.“ Olympia verfolgte sie als Zuschauerin.
Nach Rio kam es zu einer Reform. Apetz‘ Gewichtsklasse tauchte nun im Programm für Tokio auf. „Als das beschlossen wurde, habe ich mein Leben auf dieses Ereignis ausgerichtet“, sagt die Boxerin. Das bedeutet 15 bis 20 Stunden die Woche Training. Morgens eine Dreiviertelstunde laufen, dann Gymnastik oder Schattenboxen, am Nachmittag Sparringskämpfe oder Krafttraining – so sieht der Plan aus. Dazu kommt Physiotherapie. Die Dopingkontrolleure stehen schon mal morgens auf der Matte. Und natürlich ist Apetz mit dem Nationalkader regelmäßig im Trainingslager.
Wie im September 2020 in Österreich. Es war das erste Mal seit langem, dass das Team wieder beisammen war. „Ich war zu diesem Zeitpunkt voll im Saft“, erzählt Apetz. Doch dann gab es einen Corona-Ausbruch bei den Deutschen. Auch die Kölnerin steckte sich an, lag drei Tage flach. Sie musste sogar einen Monat mit dem Training aussetzen. „Damals war die Olympia-Qualifikation noch für Februar angesetzt“, sagt Apetz. „Das wäre eng geworden.“ Der Weltverband verschob das Turnier schließlich in den Juni, was den deutschen Boxern die nötige Zeit verschaffte. Apetz gewann ihren entscheidenden Kampf. „Jetzt möchte ich in Tokio auch eine Medaille holen“, sagt sie.
Nach Olympia gelten wieder andere Prioritäten. Ende des Jahres soll die Doktorarbeit stehen. Ihr Thema: „Die tiefe Hirnstimulation bei Parkinson im Alter“. Wenn alles glatt läuft, steht demnächst Dr. Nadine Apetz in ihrem Lebenslauf. Idealerweise mit dem Zusatz: Medaillengewinnerin bei Olympia in Tokio.