Essen. Nach ihrem Unfall wird Kristina Vogel ihre dritten Olympischen Spiele aus neuer Perspektive erleben. Was sie in Tokio erwartet.
Kristina Vogel ist gerade unterwegs, als sie ans Telefon geht. Überhaupt ist die 30-Jährige viel unterwegs. Mal zu einem Fotoshooting, mal zu einem TV-Auftritt, mal zu einem Lehrgang. Mal ist sie als Buchautorin, mal als Bundespolizistin, mal als Trainerin, mal als Erfurter Kommunalpolitikerin gefragt. Vor allem ist Kristina Vogel aber eines: die erfolgreichste Bahnradfahrerin der Welt. Bei den Olympischen Spielen in Tokio (ab 23. Juli) wollte sie ihre dritte Goldmedaille gewinnen. Doch Kristina Vogel wird nicht als Athletin nach Japan reisen. Sie ist als TV-Expertin vor Ort. Vor fast genau drei Jahren wurden ihre Pläne über den Haufen geworfen. Seit einem schweren Trainingsunfall ist sie querschnittsgelähmt. Doch nur weil der Rollstuhl nun Teil ihres Lebens ist, verließ sie weder der Mut, noch ihre Liebe zum Sport. Die nahenden Spiele lassen Kristina Vogel euphorisch werden – die Fingernägel hat sie schon schwarz-rot-gold lackiert.
Frau Vogel, folgt man Ihrem Instagram-Profil lernt man viel über Ihr Leben. So auch, dass sie eine Vorliebe für fleischlosen Fleischsalat hegen.
Kristina Vogel: (lacht) Ja, das ist richtig. Ich bin mittlerweile komplett Vegetarierin geworden – und auch mein Veganerherz schlägt immer höher. Mittlerweile ärgert es mich, dass ich mich nicht schon als Aktive so ernährt habe. Aber wenn man älter wird, ist man immer klüger – und das Bewusstsein hat sich ja auch verändert. Bei mir waren es zwei Dinge: Zum einen das Tierwohl – das Herz tat weh. Zum anderen die Erkenntnis, dass es mir einfach viel besser geht. Zudem fahre ich beruflich bedingt sehr, sehr viel Auto, bewege da den dicken Dieselmotor durch die Gegend. Von daher ist es schon gut, wenn man den CO2-Fußabdruck hier und da etwas aufbessert.
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Wie war das zu Ihrer aktiven Zeit?
Vogel: Da habe ich mich noch nicht bewusst vegetarisch ernährt. Wenn man auf Reisen zu Weltcups auf das Angebot vom Hotel angewiesen ist, dann ist es auch sehr schwierig. Das ist dann eine Frage der Umsetzbarkeit, ob das nicht zu sehr zu einer Last wird. Allerdings: In manchen Ländern habe ich vorsichtshalber ohnehin auf den Fleischkonsum verzichtet. Da war ich quasi ausversehen Vegetarierin. (lacht)
Zu Hause können Sie entscheiden – kochen Sie selbst?
Vogel: Tatsächlich habe ich die Corona-Krise genutzt, um mir die Küche zurückzuerobern. Ich war in den vergangenen 20 Jahren nicht mehr so viel zu Hause wie während dieser Zeit. Und nach meinem Unfall hat mein Lebensgefährte immer gekocht, weil die Küche für mich gar nicht mehr gepasst hat. Erst nach und nach haben wir sie verändert, eine neue Küchenmaschine gekauft – und so habe ich einen Weg gefunden, wie ich wieder selber kochen kann.
Lernen mit neuen Situationen umzugehen – das passt sowohl zu Ihrem Lebenslauf als auch zu den Herausforderungen in der Corona-Krise.
Vogel: Ja, in der Zeit sind wir wohl alle in den Drosten-Fan-Klub eingetreten, haben gelernt, was eine Inzidenz und was ein R-Wert ist. Aber klar, durch meine Karriere im Leistungssport und auch durch die Schicksalsschläge, die ich erlebt habe, weiß ich: Es ist wie es ist. Es gibt Dinge, die muss man einfach hinnehmen, und das Beste aus der Situation machen.
Genau wegen dieser Einstellung sind Sie ein großes Vorbild geworden. Auch deshalb sind Sie eines der Gesichter der Sporthilfe-Kampagne „Germany United“. In dieser geht es um Zuversicht, den positiven Geist des Sports…
Das steckt hinter der Sporthilfe-Kamapagne
Die Corona-Krise hat den Sport – Profis wie Amateure – ein Jahr lang fast komplett ausgebremst. Dennoch ist 2021 ein sportlich bedeutsames Jahr – gerade findet die verschobene Fußball-EM statt, ab dem 23. Juli folgen die Olympischen Spiele in Tokio. Die Deutsche Sporthilfe hat sich nun zum Ziel gesetzt, etwas Zuversicht zu wecken. Dazu hat sie die Kampagne „Germany United“ gestartet, die bis zum Olympia-Start läuft.
Mithilfe von Unterstützern aus Spitzensport, Wirtschaft und Politik animiert die Stiftung die Bevölkerung, nach schweren Monaten jetzt neu durchzustarten und mit gemeinsamer Anstrengung wieder Motivation zu finden. Turnerin Pauline Schäfer zählt wie Fußballer Leroy Sané, Basketball-Legende Dirk Nowitzki oder Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo zu den prominenten Gesichtern.
„Die Werte des Sports wie Miteinander, Verantwortung, Vielfalt und Respekt sind gesamtgesellschaftlich von elementarer Bedeutung. Gerade jetzt, nach einer herausfordernden und entbehrungsreichen Zeit, braucht es ein neues Wir-Gefühl“, sagt Thomas Berlemann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sporthilfe.
Für Malaika Mihambo ist es wichtig, durch Spitzensport „Gemeinschaftserlebnisse“ zu schaffen: „Ganz Deutschland soll wieder ein Team werden, denn gemeinsam sind wir am stärksten.“ Privatpersonen und Unternehmen können unter www.germanyunited.de Teil der Kampagne werden. (meme/sid)
Vogel: … ja, als wäre sie für mich geschrieben worden, gell? (lacht) Ich fand die Idee toll, das Gemeinsame, das Verbindende, aber auch das Begeisternde, das den Sport ausmacht, zu verbreiten. Deshalb war ich auch sofort dabei. Gerade für die Sporthilfe mache ich sowas gerne. Ich liebe die Stiftung und die Menschen dort. Sie waren mit die ersten, die mich unterstützt haben. Meine Eltern hätten es sich niemals leisten können, mich auf eine Sportschule zu schicken. Mit der Sporthilfe hat das geklappt, da gebe ich gerne was zurück – und habe auch noch Spaß dabei.
In der Kampagne geht es auch um Verantwortung – auch das passt.
Vogel: Rückblickend war ich als Aktive im Team schon die Leitwölfin, die alle zusammengehalten hat. Und jetzt als Trainerin der Bundespolizei habe ich auch Verantwortung für meine Athletinnen und Athleten. Ich finde, man stolpert manchmal so in die Vorbildrolle hinein, ohne dass man es so richtig weiß oder möchte. Aber da zeigt sich, wer ein geborener Anführer ist, wer sich einsetzt, weil es ihm am Herzen liegt. Wenn ich Verantwortung für meine Athleten habe, dann zählt für mich nur, das Bestmögliche für sie herauszuholen. Dafür kämpfe ich dann auch wie eine Löwin.
Was versprechen Sie sich in Tokio von Ihren Nachfolgerinnen und Nachfolgern?
Vogel: Bei meinen Bundespolizei-Athleten muss man auf jeden Fall hingucken: Lea Sophie Friedrich, Stefan Bötticher, Timo Bichler – das sind drei ultratalentierte Sportler. Bei Lea kann es vielleicht sogar mehr als einmal klingeln. Auch wenn sie mit 21 Jahren noch eine ganz junge Athletin bei ihren ersten Spielen ist: Wenn ich gegen sie fahren müsste, dann müsste ich in der Taktikkiste schon ziemlich tief kramen. Auch Leas Teampartnerin Emma Hinze hat als Weltmeisterin natürlich sehr gute Chancen – an ihnen müssen die anderen erstmal vorbei. Aber man sollte auch das Olympia-Glück nicht unterschätzen – das schreibt noch eigene Geschichten.
Wie bei Ihnen 2016 in Rio, als Sie trotz eines abgebrochenen Sattels Gold gewannen…
Vogel: (lacht) Ja, genau. Mit Olympia-Glück gewinnt man sogar ohne Sattel.
Hand aufs Herz: Schwingt bei diesen Erinnerungen nicht auch etwas Wehmut mit?
Vogel: Ich war acht Jahre lang Leistungssportlerin und natürlich weiß ich noch, wie viel Spaß es macht, zu gewinnen. Vor allem das Gewinnen von Olympischen Medaillen macht sehr, sehr viel Spaß – auch wenn der Weg dahin sehr steinig sein kann. Emotional und psychisch ist das extrem herausfordernd. Aber dann da oben zu stehen ist einmalig. Daran werde ich vielleicht denken, wenn ich andere da sehe. Aber es gibt kein negatives Gefühl. Es wäre eher ein Schwelgen in Erinnerungen.
Also überwiegt die Freude, dass Sie für das ZDF in neuer Rolle zu Olympia reisen werden?
Vogel: Ja, total. Ich bin absolut beseelt und glücklich, dass ich diese Chance habe. Ich habe immer von meinen dritten Spielen geträumt. Und bevor ich verunfallt bin, war es der Plan, dass ich da meine dritte Goldmedaille gewinne. Jetzt ist der Plan anders. Ich habe sehr, sehr viel in meiner Karriere erreicht, ich bin elfmal Weltmeisterin geworden, habe zweimal Olympia-Gold, einmal Bronze gewonnen. Das kann mir keiner nehmen. Das denke ich jedes Mal, wenn ich meine Medaillen anschaue. Und wenn in Tokio eine meiner Athletinnen oder einer meiner Athleten ganz oben steht, dann würde mich das ungemein freuen. So sind es dann trotzdem meine Spiele – aber diesmal aus einer anderen Perspektive.
Wie blicken Sie diesmal auf Olympia?
Vogel: Ich bin natürlich total aufgeregt. Olympia ist für mich – egal wie – pure Magie. Wenn ich die Ringe sehe oder nur darüber rede, wird das Grinsen immer breiter. Sicherlich wird dieses Jahr aufgrund der Corona-Lage vieles anders sein. Es wird keine Zuschauer geben. Ich hatte bei meinen Goldmedaillen 2012 und 2016 das Glück, dass mein Lebensgefährte dabei sein konnte, dass ich mit ihm zusammen vor Ort jubeln konnte. Das war unheimlich schön, diesen Moment mit seinem Liebsten teilen zu können – das bleibt den Athleten jetzt teilweise verwehrt. Das ist schon traurig. Aber ganz am Ende sind es Olympische Spiele. Und ich glaube, dass diese Ringe was bei allen auslösen werden.
Sie sind als Expertin dabei, kommen als Co-Kommentatorin beim Bahnradfahren zum Einsatz: Wie bereiten Sie sich vor?
Vogel: Für Euphorie brauche ich keine Vorbereitung – ich mache am Mikrofon die fehlenden Fans wett, kein Problem. (lacht) Und klar: Ich bin beim Bahnradsport der Nerd, da bin ich Expertin. Aber in anderen Sportarten muss ich mich ein bisschen reinarbeiten. Große Stars kennt man ja – aber zum Charme von Olympia gehört ja auch, dass nicht immer die ganz großen auch ganz oben stehen.