Tokio. Die Olympia-Veranstalter lassen bis zu 10.000 Zuschauer in die Stadien. Gesundheitsexperten und die japanische Bevölkerung sind in Sorge.

Für viele war das Statement von Anfang der Woche eine Überraschung: „Die japanischen Parteien haben Richtlinien für Zuschauer formuliert, die darauf abzielen, dass ein sicheres Umfeld besteht.“ Konkret betrifft dies: Maskenpflicht, ein Verbot des lauten Rufens und Jubelns, das Meiden von Menschenansammlungen. Das Verlassen der Stadien muss gestaffelt vonstatten gehen. Anschließend haben die Besucher auf direktem Wege nach Hause fahren. Unter diesen Umständen, so haben es die Veranstalter der Spiele von Tokio am Montag offenbart, sind in den Stadien von Olympia bis zu 10.000 Zuschauer oder eine Auslastung von 50 Prozent erlaubt.

Aus Veranstaltersicht ist es eine Erfolgsmeldung. Seit die Spiele im März 2020, als sich die Pandemie auszubreiten begann, um ein Jahr auf Sommer 2021 verschoben werden mussten, hatte der damals regierende Premier Shinzo Abe immer wieder beteuert: „Spiele ohne Zuschauer wird es nicht geben.“ Doch je höher in allen möglichen Ländern die Infektionswellen schlugen, desto höher gepokert schien auch diese Aussage. Wohl auch deshalb trat ein unbeliebt gewordener Shinzo Abe im vergangenen Sommer von seinem Amt zurück.

Olympische Spiele in der Pandemie mit Zuschauern „unnormal“

Die Frage der Zuschauer wurde damit erneut diskutiert, wenngleich auch Abes Amtsnachfolger Suga keine Spiele vor leeren Rängen wollte. Dabei war die Haltung der meisten Gesundheitsexperten deutlich: gegen auch nur teils gefüllte Stadien. Nicht bloß unabhängige Virologen warnten davor, dass „Tokyo 2020“ umso eher zum Superspreaderevent werden könnte, je mehr Menschen sich auf engem Raum versammeln. Shigeru Omi, Vorsitzender der Anti-Corona-Taskforce der Regierung, bezeichnete den Plan von Olympischen Spielen in einer Pandemie als „unnormal.“ Ende letzter Woche riet er dann öffentlich dazu, keine Zuschauer in die Stadien zu lassen.

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Die Vorsicht des obersten Corona-Bekämpfers in Japan entspricht jener der Bevölkerung. Am Wochenende ergab eine Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo, dass 86 Prozent der Menschen in Japan eine neue Infektionswelle durch die Olympischen Spiele befürchten. Mit rund 790.000 Infektions- und 15.000 Todesfällen auf 126,5 Millionen Einwohner ist Japan zwar relativ milde von der Pandemie betroffen. Im Land mit einer schnell alternden Bevölkerung und relativ wenigen Intensivbetten operieren die Krankenhäuser aber seit Wochen an der Kapazitätsgrenze. In einigen Gegenden mussten wiederholt Patienten nach Hause geschickt werden, die Intensivbehandlung benötigt hätten. Zudem sind bisher kaum zehn Prozent der Menschen geimpft.

Ausnahmezustand in vielen Metropolen Japans aufgehoben

Die Sicherheit habe „oberste Priorität“, haben die Organisatoren immer wieder betont. Auch im am Montag veröffentlichen Schreiben wird dies wieder erwähnt. Die Öffentlichkeit glaubt allerdings auch deshalb kaum dran, weil die Regierung schon Anfang letzten Jahres vor der Olympiaverschiebung die Risiken unterschätzt hatte. Nun, einen Monat vor Beginn der Spiele, wurde ein bereits eingereister Athlet aus Uganda positiv auf Covid-19 getestet. Zudem wurde gerade ein seit April in den größten Metropolen Japans geltender Ausnahmezustand aufgehoben. Hierdurch werden die Menschen zum Daheimbleiben aufgefordert, Geschäfte sollen keinen Alkohol ausschenken. Die Mehrheit der japanischen Öffentlichkeit hält dessen Aufhebung für verfrüht. Erst zu Beginn der Spiele soll er wieder gelten.

Unterdessen brauchten die Veranstalter dringend Nachrichten, die nach einer positiven Wendung des Olympiachaos aussehen. „Tokyo 2020“ hatte der Öffentlichkeit so einiges versprochen, von dem längst kaum noch etwas einhaltbar scheint. Da war etwa der Wirtschaftsboom, der nicht zuletzt durch Touristen kommen sollte. Doch eine Schließung der Grenzen und der Ausschluss von Zuschauern aus dem Ausland gehörte zu den ersten Schritten, die Regierung und Organisatoren inmitten der Coronakrise beschlossen. Ohnehin ist heute bekannt, dass das Organisationskomitee auch ohnedies die zu erwarteten Erträge durch Olympia aufgebläht und die Kosten kleingerechnet hatte. Nun ist durch die Verschiebung noch alles um rund drei Milliarden US-Dollar teurer.

Nie waren Olympische Spiele unbeliebter

Auch Slogans wie „United by Emotion“ und „Unity in Diversity“ – also: vereint in Emotion und Einheit durch Vielfalt – klingen in vielen Ohren aus heutiger Perspektive lahm. Nie waren Olympische Spiele unbeliebter als diese von Tokio, sodass kaum noch die Rede davon sein kann, dass Japan „Feuer und Flamme“ sei. Hinzu kommt die Ungewissheit um die Tennisspielerin Naomi Osaka. Die Tochter einer japanischen Mutter und eines haitianischen Vaters ist in Werbespots als Postergirl der Spiele und deren Diversitätsmottos zu sehen. Ob Osaka in Tokio aber dabei sein wird, ist ungewiss.

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Ende Mai zog sie ihre Teilnehme bei den French Open zurück, nachdem sie vorher angekündigt hatte, nach ihren Spielen keine Interviews geben zu wollen, woraufhin die Veranstalter ihr eine Geldstrafe aufgedrückt hatten. Kurz darauf ließ Osaka die Welt über Twitter wissen, dass sie mit Depressionen zu kämpfen habe und fortan „einige Zeit abseits der Courts“ haben wolle. Damit ist auch unklar, ob Japans weltweit bekannteste Athletin bei den Spielen in Tokio starten wird. Wegen dieser Ungewissheit hat das IOC schon verkündet, in Tokio müsse sie keine Interviews geben. Ob sie deshalb in Tokio ihren Schläger in die Hand nehmen wird, ist bislang nicht bekannt.

Klar ist nur, dass nun Zuschauer in die Stadien dürfen. Mit einem Haken: sofern sich die Infektionslage bis zum Beginn der Spiele deutlich verschlechtert, soll neu überlegt werden.