Essen/München. Pauline Schäfer gehört zum Olympia-Team der deutschen Kunstturnerinnen. Für die frühere Weltmeisterin ist das ein besonderer Triumph.

Pauline Schäfer hat es geschafft. Nach dem zweiten Qualifikationswettkampf in München steht fest: Die Chemnitzerin gehört zum Olympia-Team der deutschen Kunstturnerinnen für Tokio (23. April bis 8. August). Zusammen mit der deutschen Rekordmeisterin Elisabeth Seitz (Stuttgart), Sarah Voss (Köln) und Kim Bui (Backnang) soll sie um das Mannschaftsfinale kämpfen – und als ehemalige Weltmeisterin am Schwebebalken auch an diesem Gerät glänzen.

Doppelter Druck beim Comeback

Diese Nominierung ist für die 24-Jährige ein besonderer Triumph. Bei der Deutschen Meisterschaft in Dortmund gab sie vor einer Woche ihr Comeback nach ihrem letzten Wettkampf 2019. Dazwischen lag eine schwere Zeit – nicht nur wegen der Corona-Krise. „Klar war vor dem Comeback ein besonderer Druck“, sagt Schäfer. „Nicht nur sportlich auch politisch gesehen war das ein wichtiger Wettkampf. Das Gute und auch eine meiner Stärken ist aber, dass ich diese Gedanken im Wettkampf komplett ausblenden kann.“

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Pauline Schäfer beherrscht die Kunst, schwere Dinge ganz leicht aussehen zu lassen. Bei der Kür am Schwebebalken ist diese Fähigkeit unerlässlich. Doch auch abseits der Turngeräte beherrscht Pauline Schäfer den Umgang mit schweren Themen.

Missstände im Training aufgedeckt - und nie bereut

Im November 2020 offenbarte sie gemeinsam mit anderen Turnerinnen, was bei Wikipedia den Titel „Chemnitzer Turn-Affäre“ trägt. Den Sportlerinnen ging es um Transparenz, sie erhoben schwere Vorwürfe gegen ihre langjährige Stützpunkttrainerin und deren Methoden: Es ging um Schikane, Zwangsdiät, Training unter starken Schmerzen. Irgendwann suspendierte der Deutsche Turner-Bund die Trainerin.

Dass Pauline Schäfer zu den Kritikern gehörte, gefiel aber nicht allen. Um mit ihrem neuen Trainer weiterarbeiten zu können, kaufte Pauline Schäfer schon 2019 einen eigenen Schwebebalken – auf dem trainiert sie bis heute in der Männerhalle.

Das steckt hinter der Sporthilfe-Kamapagne

Die Corona-Krise hat den Sport – Profis wie Amateure – ein Jahr lang fast komplett ausgebremst. Dennoch ist 2021 ein sportlich bedeutsames Jahr – gerade findet die verschobene Fußball-EM statt, ab dem 23. Juli folgen die Olympischen Spiele in Tokio. Die Deutsche Sporthilfe hat sich nun zum Ziel gesetzt, etwas Zuversicht zu wecken. Dazu hat sie die Kampagne „Germany United“ gestartet, die bis zum Olympia-Start läuft.

Mithilfe von Unterstützern aus Spitzensport, Wirtschaft und Politik animiert die Stiftung die Bevölkerung, nach schweren Monaten jetzt neu durchzustarten und mit gemeinsamer Anstrengung wieder Motivation zu finden. Turnerin Pauline Schäfer zählt wie Fußballer Leroy Sané, Basketball-Legende Dirk Nowitzki oder Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo zu den prominenten Gesichtern.

„Die Werte des Sports wie Miteinander, Verantwortung, Vielfalt und Respekt sind gesamtgesellschaftlich von elementarer Bedeutung. Gerade jetzt, nach einer herausfordernden und entbehrungsreichen Zeit, braucht es ein neues Wir-Gefühl“, sagt Thomas Berlemann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sporthilfe.

Für Malaika Mihambo ist es wichtig, durch Spitzensport „Gemeinschaftserlebnisse“ zu schaffen: „Ganz Deutschland soll wieder ein Team werden, denn gemeinsam sind wir am stärksten.“ Privatpersonen und Unternehmen können unter www.germanyunited.de Teil der Kampagne werden. (meme/sid)

Aber die gebürtige Saarländerin, die neben der Olympia-Vorbereitung noch ihr Abitur abgelegt hat, steht zu ihrer Offensive. „Ich bereue es auf keinen Fall, an die Öffentlichkeit gegangen zu sein, weil ich weiß welche Konsequenzen es für Athletinnen noch immer gegeben hätte, wenn ich es nicht getan hätte.“ Funktionieren, egal wie – das war es, was laut Schäfer und den anderen gefordert wurde.

Schäfer: Turnhalle soll wieder sicherer Ort werden

Schäfer weiß, dass auch ihre Vorwürfe dem Image des Turnens – was schon unter dem Missbrauchsskandal in den USA gelitten hat – geschadet haben. Sie merke, dass Eltern vorsichtiger seien, „sie überlegen sich, ob sie ihr Kind zum Turnen schicken“. Aber: „Vielleicht musste das alles aufkommen, damit sich was verbessern kann, damit es wieder aufwärts geht. Dann ist die Turnhalle wieder ein sicherer Ort für Kinder, Athletinnen und Athleten. Das ist es, was ich anstrebe“, sagt Schäfer.

Sie sieht sich ihrer Vorbildrolle in hohem Maße verpflichtet: „Ich bin der Meinung, dass man Missstände, die aufgearbeitet werden müssen, auch ansprechen muss“, sagt sie. „Dazu sind unsere Stimmen auch da. Sich dann wegzuducken wäre für mich einfach der falsche Weg.“ Wie am Balken wirkt auch hier ganz leicht, was so schwer ist.

Über Zukunft noch nicht entschieden

Das Motiv zur Germany-United-Kampagne der deutschen Sporthilfe.
Das Motiv zur Germany-United-Kampagne der deutschen Sporthilfe. © Sporthilfe

Pauline Schäfer hat Verantwortung übernommen – und genau dafür steht sie nun als eines der Gesichter der Kampagne „Germany United“ der deutschen Sporthilfe. Es geht darum, Motivation und Aufbruchstimmung in die Gesellschaft zu tragen – aber auch, die Stärken des Sports zu betonen. „Ich finde, dass der Sport noch mehr hochleben sollte – nicht nur der Fußball“, sagt Pauline Schäfer. „Man investiert so viel, und wir haben eben auch eine Vorbildfunktion. Man muss jüngeren Menschen Mut machen, den ersten Schritt wagen.“

Pauline Schäfer, die noch nicht entschieden hat, wie es für sie nach Tokio weitergeht, weiß wovon sie spricht. Auch auf dem Schwebebalken kann schon der erste Schritt entscheidend sein.