Jena. Ex-Nationalspieler Bernd Schneider spricht über seine Erwartungen an die EM. Der 47-Jährige traut dem DFB-Team bei dem Turnier viel zu.

Er ist Thüringens erfolgreichster Fußball-Nationalspieler. Der Jenaer Bernd Schneider brachte es zwischen 1999 und 2008 auf 81 A-Länderspiele (4 Tore). Dank seiner trickreichen Spielweise bekam er einst den Spitznamen „der weiße Brasilianer“ verpasst. Vor dem EM-Auftakt an diesem Freitag äußert sich der 47-Jährige zu den Chancen der deutschen Mannschaft, seine Turnier-Favoriten; aber auch zu Bayer Leverkusen, Carl Zeiss Jena und sein Engagement im Nachwuchs.

Herr Schneider, um ein Jahr verschoben, auf elf Länder verteilt, nur partiell Zuschauer erlaubt: Die 16. Fußball-EM wird keine normale sein. Was erwarten Sie von dem Turnier?

Bernd Schneider: Ich freue mich vor allem auf interessante Spiele und bin gespannt, wie sich die Stimmung entwickeln wird. Ich kann mir nicht so richtig vorstellen, dass ein ganzes Land von Euphorie erfasst wird, weil ja immer nur eine Stadt betroffen ist. Und klar, auch volle Stadien wären schön. Trotzdem bin ich froh, dass der Ball überhaupt rollt. Ich werde mir im Fernsehen so viele Spiele wie möglich anschauen.

Wer ist Ihr Favorit?

Schneider: Frankreich, Spanien und England sind meine Top Drei. Unter ihnen erwarte ich den Europameister. Dahinter sehe ich Deutschland, Italien, Holland und Portugal. Vielleicht stößt noch ein Überraschungsteam wie die Schweiz oder Dänemark bis ins Halbfinale vor.

Wie beurteilen Sie die deutschen Mannschaft?

Schneider: Grundsätzlich ist eine enorme Qualität vorhanden. Wir sind in der Breite gut aufgestellt und haben durch die Rückkehr von Hummels und Müller auch an Stabilität gewonnen. Beide sind auf und neben dem Platz sehr wichtig. Auch wenn die Erwartungen seit der enttäuschenden WM 2018 gesunken sind, traue ich der Mannschaft viel zu.

Februar 2008: Bernd Schneider im Trikot der deutschen Nationalmannschaft.
Februar 2008: Bernd Schneider im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. © firo

Sogar den Titelgewinn?

Schneider: Warum sollten uns die Jungs nicht überraschen? Die Europameisterschaft hat Jogi Löw noch nicht gewonnen. Es wäre der perfekte Abschied für ihn.

Vermissen Sie jemanden in seinem EM-Kader?

Schneider: Aus der Leverkusener Vereinsbrille betrachtet, hätte ich gern Florian Wirtz dabeigehabt. Er ist ein Riesentalent. Aber vielleicht ist es für seine Entwicklung sogar besser, mit der U21 jetzt den Titel geholt zu haben. Ihm gehört auf jeden Fall die Zukunft.

Apropos Zukunft: Ist Hansi Flick der ideale Löw-Nachfolger?

Schneider: Ich denke schon. Wenn einer die erfolgreiche Ära unter Löw fortsetzen kann, ist es Flick. Er kennt den DFB in- und auswendig und besitzt sowohl Fachkompetenz als auch soziale Kompetenz. Wie sagt man so schön: ein echter Menschenfänger.

War der Trainerjob für Sie jemals ein Thema?

Schneider: Befasst habe ich mich damit schon, aber recht schnell gemerkt: Dazu bin ich nicht der Typ. Ich hätte mich eher als Co-Trainer oder im Nachwuchs gesehen. Beim SV Lobeda 77 in Jena trainiere ich ja im Moment gemeinsam mit Tilo Straube die D-Junioren. Dort ist mein Sohn Giovanni dabei. Er ist zwölf und Torwart. Es macht mir viel Spaß, meine Erfahrungen an die Jungs weiterzugeben.

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Was war los, als es nach monatelangem Stillstand zurück ins Training ging?

Schneider: Das kann man sich sicher vorstellen: Die Jungs hatten alle ein Leuchten in den Augen, als sie wieder gemeinsam kicken durften. Es wurde Zeit, dass die Kids wieder Sport treiben können und das gesamte Leben in Bewegung kommt.

Sie waren selbst vor dem Lockdown regelmäßig mit Ihren Teams „Schneider & Friends“ und „Grashoppers Jena“ am Ball. Wie haben Sie sich in der Zwangspause fit gehalten?

Schneider: Mit Läufen, die mir ja nicht so viel Spaß machen, Fahrradfahren und vor allem Golfspielen. Eine Sportart, der ich früher nicht viel abgewinnen konnte, die mich aber jetzt umso mehr fasziniert. Dabei kommt es nicht nur auf das Händchen an, sondern auch auf den Kopf. Und man kann es nicht auf den Schiedsrichter oder die Mitspieler schieben, wenn es mal nicht so läuft, sondern ist ganz allein für sein Ergebnis verantwortlich.

August 2006: Bernd Schneider mit Miroslav Klose.
August 2006: Bernd Schneider mit Miroslav Klose.

Sind Sie dabei genauso ehrgeizig wie früher auf dem Platz?

Schneider: Absolut. Der Ehrgeiz lässt auch im Alter nicht nach. Ich möchte auf jeder Runde das Beste rausholen. Doch beim Golf, das habe ich gemerkt, stößt man schnell an seine Grenzen.

Wie eng ist der Kontakt noch zu Ihrem Ex-Klub Bayer Leverkusen, wo ein Jahr des Umbruchs ansteht? Mit neuem Trainer und dem Rückzug Rudi Völlers 2022.

Schneider: Man konnte zuletzt zwar nicht zu den Spielen ins Stadion, aber der Kontakt ist nach wie vor vorhanden. Mit Simon Rolfes und Stefan Kießling habe ich einen guten Draht und bin überzeugt, dass sie Rudis Job gut meistern werden. Da mache ich mir keine Sorgen. Und auf Gerardo Seoane bin ich gespannt. Ich kannte ihn bis zum Februar nur flüchtig. Dann hat er ja Bayer mit Bern aus der Europa League geworfen.

Carl Zeiss Jena bereitet sich auf eine weitere Saison in der Viertklassigkeit vor. Schmerzt der Blick auf Ihren Heimatverein?

Schneider: Man ist ja einiges gewohnt aus der Vergangenheit. Cottbus, Chemnitz, Leipzig – die wollen auch alle hoch; dazu die Aufstiegsspiele. Es wird nächste Saison garantiert nicht einfacher, raus aus der Regionalliga zu kommen.