Ljubljana. Kaum einer hatte mit den deutschen U21-Fußballern gerechnet, doch Stefan Kuntz formte aus vielen Namenlosen eine verschworene Einheit.

 Es ist vier Jahre her, da hatte Lukas Nmecha schon einmal das entscheidende Tor bei einer Fußball-EM geschossen. Es war das kontinentale Endspiel der U19 im georgischen Gori, Nmecha erzielte das 2:1 gegen Portugal. Alles erinnert im Rückblick ein wenig an das U21-Finale am Sonntag im slowenischen Ljubljana: Nmecha erzielte den Treffer zum 1:0, das Siegtor, der Gegner hieß wieder Portugal. Der Unterschied: 2017 spielte der heute 22-Jährige noch im englischen Trikot. Nun machte er Deutschlands U21 zum Europameister.

Es sind Geschichten wie diese, die den Triumph der deutschen U21 bei der EM in Slowenien und Ungarn so besonders machen. Die  Geschichte von Lukas Nmecha, als Sohn einer deutschen Mutter und eines nigerianischen Vaters in Hamburg geboren und in England aufgewachsen. Der als Toptalent von Manchester City verpflichtet wurde, in den Folgejahren aber als Leihspieler auf Fußball-Wanderschaft ging und derzeit beim belgischen Erstligisten RSC Anderlecht Erfahrungen sammelt.

Niklas Dorsch freut sich auf Omas Sauerbraten

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Oder die Geschichte von Niklas Dorsch, dem Profi vom belgischen KAA Gent, der bei der Endrunde nicht mit Spielzeit rechnete, der dann im Finale aber bis zum Umfallen rannte, grätschte und passte. „Kann sein, dass das Tor das schönste und wichtigste in meiner Karriere war“, sagte Nmecha. „Oma, ich liebe dich“, rief Dorsch und freute sich auf das von ihr versprochene Essen:  „Sauerbraten und eine Haxe“.

RSC Anderlecht, KAA Gent. Andere frischgebackene Europameister spielen bei RB Salzburg (Mergim Berisha, Karim Adeyemi), bei Greuther Fürth (David Raum, Anton Stach) oder dem englischen Premier-League-Aufsteiger FC Brentford (Vitaly Janelt). Es sind Klubnamen, die nicht wirklich für große Hoffnungen stehen. Die eher Durchgangsstationen für Talente oder Auffangbecken für ernüchterte Spieler sind, denen einmal eine größere Zukunft vorhergesagt wurde. Bekannteste Namen im deutschen Team sind da noch die Top-Talente Florian Wirtz (Bayer Leverkusen) und Ridle Baku (VfL Wolfsburg), an denen auch der neue Bundestrainer Hansi Flick künftig sicher nicht vorbeikommen wird.

Keine Özils, keine Neuers

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Kein Wunder, dass dem Team von Bundestrainer Stefan Kuntz bei dieser EM nicht viel zugetraut wurde. Es waren keine Mesut Özils, keine Mats Hummels, keine Leroy Sanés, Manuel Neuers oder Leon Goretzkas in Sicht. Keine goldene, eher eine blecherne Generation. Der aktuelle U21-Jahrgang galt als einer der schwächsten seit langem und war immer wieder ein Punkt in den Diskussionen über den Qualitätsverlust des Nachwuchses beim Deutschen Fußball-Bund. „Ich weiß nicht, was ich aus dem machen soll“, hatte Kuntz einmal über Fürths David Raum nach einer Spielbeobachtung gesagt. Und nun lieferte der 23-jährige Linksverteidiger eine punktgenaue Hereingabe nach der anderen ab – künftig wird er für die TSG Hoffenheim in der Bundesliga spielen.

Die Konkurrenz wartete mit Spielern aus namhafteren Vereinen und mit höheren Marktwerten auf. Aber, wie Turnier-Toptorschütze Nmecha vor dem Finale anmerkte: „Die sind alle schon wieder zu Hause.“ Und auch Raum meinte: „Wir wollten allen beweisen, dass der Transferwert nicht wichtig ist. Wichtiger ist es, eine Einheit auf dem Platz zu sein.“ So schlug sich Deutschland als Außenseiter durch die schwierige Gruppenphase und einen packenden Elfmeterkrimi im Viertelfinale gegen Dänemark. Es folgten das 2:1 im Halbfinale gegen die Niederlande und der Endspielsieg gegen Portugal. Als verschworener Haufen, der als Team jegliche Widerstände überwand.

Harter Weg ins A-Nationalteam

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Und nun? Auf Trainer Kuntz wartet mit den Olympischen Spielen in Tokio das nächste Highlight, danach beginnt auch schon der lange Weg zur EM 2023. Für das olympische Fußball-Turnier muss Kuntz bis Ende Juni eine 18-köpfige U23-Auswahl berufen, in der sich einige der U21-Europameister wiederfinden könnten, aber auch erfahrene Kräfte wie Max Kruse (Union Berlin), Jerome Boateng (vereinslos), Julian Draxler (Paris Saint-Germain) oder Mario Götze (PSV Eindhoven) eine Option sind.

„Die Kraft ist auf jeden Fall noch da“, sagte Kuntz über Spekulationen, er werde nach Olympia aufhören. Ob allerdings Baku, Nmecha, Wirtz und Co. eine ähnlich große Zukunft bevorsteht wie den U21-Europameistern von 2009, von denen sechs später in Rio Weltmeister wurden, bleibt fraglich. „Der Weg von der U21 zur A-Nationalmannschaft ist sehr weit“, sagte Kuntz und verwies auf seine Europameister von 2017, von denen nur Serge Gnabry aktuell in Löws EM-Kader steht. Doch Nmecha kündigte selbstbewusst an: „Wenn wir weiter so unser Talent zeigen, treffen sich einige von uns irgendwann bei der A-Nationalmannschaft.“