Monte Carlo. Mick Schumacher fährt zum ersten Mal mit einem Formel-1-Wagen in Monaco. Seine Ruhe könnte ihm helfen.
Zumindest am Souvenir-Stand ist klar, wie dieser erste Große Preis von Monaco seit zwei Jahren ausgehen wird. Auf das Porzellan-Chassis eines roten Rennwagens ist eine Kugel montiert, in deren Mitte sich ein Miniaturfelsen mit Palast erhebt, bei leichtem Schütteln beginnt es zu schneien. Da haben wir es wieder: Wie man diesen Ausnahme-Grand-Prix auch dreht oder wendet, es bleibt selbst bei strahlendem Sonnenschein vieles im Ungewissen. Das ist der Fluch, aber auch der Reiz. Ganz besonders für die drei Formel-1-Neulinge, die am Pfingstwochenende in ihrem erst fünften Rennen durch diese gnadenlose Fahrschule müssen. Mick Schumacher ist der aus dem Trio, der bisher einen besonders ausgeglichenen Eindruck gemacht hat, obwohl er mit dem Haas-Ferrari das schlechteste Auto im Feld fährt. Der 22-Jährige scheint in sich zu ruhen. Die Buddha-Taktik ist neben der Schneekugel vielleicht der beste Versuch, über die 78 Runden zu kommen. Kopfsache Monaco.
Wie eine Warnung steht am Eingang zum Fahrerlager ein alter Zweierbob, der mal vom Fürsten gefahren wurde. „Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer", das ist das abgegriffene Klischee über die rasende Hafenrundfahrt. In der Wirklichkeit kommt das Tun im Leitplankenkanal eher dem U-Boot-Fahren in einer Badewanne gleich. All die Ablenkungen, die die – erstmals wieder zugelassenen – 7500 Zuschauer genießen, müssen die Piloten komplett ausblenden. Auf der nur 3,337 Kilometer kurzen Strecke muss pro Runde 25 Mal hoch und wieder runter geschaltet werden, bei nur 70 Sekunden bleibt nicht viel zum Nachdenken. Es geht darum, in den richtigen Rhythmus zu kommen, und trotz Getümmel auch in diesem zu bleiben. Es geht um Millisekunden, auch um Millimeter. Die nötige Nähe und zugleich den notwendigen Abstand zur Leitplanke zu suchen und zu finden ist ein gefährliches Unterfangen. Es geht um Mut, nicht um Übermut. Irgendwo in diesem imaginären Bereich, der so schmal ist wie die vier Buchstaben zwischen den beiden Worten, liegt die Überraschung. Auch Mick Schumacher, bislang zweimal auf Rang 16, einmal auf 17 und einmal auf 18 gewertet, weiß: „Der Fahrer kann hier den Unterschied ausmachen. Die Chance auf eine Überraschung ist hier wahrscheinlich so hoch wie nirgendwo anders."
Mick Schumacher über Monaco: "Ich habe diesen Kurs sofort geliebt"
Gefahren ist er nur einmal im monegassischen Rennverkehr, 2019 in der Formel 2. In dieser Saison kommt erschwerend hinzu, dass die Trainingszeiten um eine Stunde gekappt worden sind, was gerade in Monte Carlo ein großer Nachteil für Debütanten ist. Sein jetziges Auto ist weit schwerer, komplizierter zu fahren als der Junior-Rennwagen. Damit kommt es wieder auf seine eigene Kontrolliertheit an. Respekt gehört ohnehin zu seinem Naturell. Vor zwei Jahren wurde er im Rennen in eine Kollision verwickelt, das ist die Warnung vor der neuerlichen Reifeprüfung. Trotzdem sagt er aus der Erinnerung heraus: „Es war kein Riesenschock damals. Ich habe diesen Kurs sofort geliebt."
In der Phase, in der sich noch nicht bis ins letzte Detail an seinen Dienstwagen gewöhnen konnte, ist jede Hilfe willkommen. Zum Trainingsprogramm im Simulator zählt der Straßenkurs nicht. Einen Fahrertrainer, der Auffälligkeiten im Fahrstil analysiert und korrigiert, hat er in diesem Jahr auch nicht mehr. Dafür stellt ihm die Ferrari-Fahrerakademie, zu der er zählt, mit Jock Clear einen erfahrenen Renningenieur zur Seite, der schon mit seinem Vater und mit Jacques Villeneuve gearbeitet hat. Der Brite kann bei der Interpretation der Daten helfen, dem wichtigsten Hilfsmittel in der Vorbereitung auf ein Rennen. Die unendlichen Zahlenkolonnen der Telemetriedaten, die die Fahrzeugabstimmung und damit das Handling bestimmen, sind weit wichtiger als Simulatorspiele zuhause.
„Bleib' bloß weg von den Barrieren"
Dieses Rennen lässt sich nur begrenzt virtuell erfassen, es muss vielmehr erspürt werden. Die Psyche ist ganz entscheidend, so wie es Champion Lewis Hamilton so treffend beschreibt: „Unter dem Helm befindet sich ein komplexes Schlachtfeld des Geistes. Zerbrechlich, feindlich, friedlich, liebevoll und heftig zugleich. Es geht um das Gleichgewicht. Um Vernunft, Fakten, und was man davon speichern kann und was besser nicht. Nichts darf Deine Energie durcheinanderbringen." Schumachers Teamchef Günter Steiner fasst das, was er seinem Schützling als Briefing mitgeben kann, knapper zusammen: „Bleib' bloß weg von den Barrieren."
Von seinem Vater, der fünf Mal in Monaco triumphieren konnte, hat Mick Schumacher von Anfang das intensive körperliche Training, gern auch mal in einer Art Überlebenscamp, übernommen. Auf den letzten Runden, wenn die Konzentration am höchsten sein muss, aber die Kräfte langsam schwinden, kann die Fitness den Ausschlag geben. „Generell ist es von jedem Fahrer eine verrückte Leistung, in Monaco zu fahren. Mental ist es super hart, super schwierig, aber es ist eine Herausforderung, und deshalb macht es auch so viel Spaß." Einen Spielraum für Fehler gibt es nicht. Null-Fehler-Jobs abliefern, das entspricht Mick Schumachers Naturell. Monte Carlo steht für den Mangel an Chancen, aber genau das ist hier die Chance an sich. Elmar Brümmer