Dortmund. Vor zehn Jahren wurde der BVB unter Trainer Klopp Meister – ein Meilenstein in der Entwicklung des Klubs. Die Beteiligten schwärmen noch heute.
67 Minuten sind gespielt, als es im Stadion unruhig und Norbert Dickel hektisch wird. „Mach mich auf. Mach mich auf. Mach mich hoch!“, brüllt der Stadionsprecher von Borussia Dortmund in sein Mikrofon. Und dann, als die Regie endlich den richtigen Knopf gefunden hat, hallt es durchs Stadion: „Eins zu null für Kölllln!“
Der 30. April 2011 hat sich unlöschlich eingebrannt ins kollektive BVB-Gedächtnis. Damals, am
32. Bundesliga-Spieltag, haben die Dortmunder tatsächlich die Chance, Meister zu werden, womit vor der Saison niemand gerechnet hätte – am wenigsten sie selbst. Alle wissen: Wenn der BVB gegen Nürnberg gewinnt und Bayer Leverkusen in Köln Punkte liegen lässt, ist Dortmund nicht mehr einzuholen.
Ekstase in der 67. Minute
Der BVB erledigt seine Aufgabe, führt bald mit 2:0 durch Tore von Lucas Barrios und Robert Lewandowski. Und dann kommt in der 67. Minute die frohe Kunde aus Köln, dann kommt Dickels Durchsage – und spätestens dann herrscht im Stadion Ekstase pur. „Das ganze Stadion ist durchgedreht“, erzählt Dickel im WAZ-Live-Talk.
Und noch heute, zehn Jahre später, strahlt er über das ganze Gesicht. „Das war so schön.“ Dieses Gefühl, das hat keiner der Beteiligten vergessen. „Kloppo erzählt immer, dass er heute noch Gänsehaut kriegt, wenn er daran denkt, als er das gehört hat“, sagt Dickel. „Das sagt Kloppo, der Welttrainer. Das zeigt, wie außergewöhnlich das war.“
Feier im Stadion und im Kreuzviertel
Spätestens als Schiedsrichter Markus Schmidt um 17.19 Uhr abpfiff, gab es kein Halten mehr. Die Spieler feierten auf dem Rasen, mit den Fans auf der Tribüne und Neven Subotic schmetterte später im Kreuzviertel Lieder mit den Fans – mit nacktem Oberkörper und in Jogginghose, auf dem Dach eines Autos.
Der Klub, der 2005 nur um Haaresbreite am Bankrott vorbeigeschlittert war, der sportlich dunkelgraue Jahre durchlebt hatte, stand wieder ganz oben. Und die, die dafür verantwortlich waren, konnten es kaum fassen. „Wir wollten uns fußballerisch weiter verbessern, uns entwickeln“, staunte Nuri Sahin nach dem Abpfiff. „Wir waren uns sicher, dass wir eine gute Rolle spielen können. Aber Meister werden?“
Der BVB marschierte durch die Liga
Das Staunen hält auch heute noch an. „Es war ein besonderes Jahr für mich, da ich ja auch das Theater in den Jahren zuvor miterlebt habe“, sagt die Vereinsikone Dede im Gespräch mit dieser Redaktion. „Der Verein war fast pleite, der Druck war groß, das war sehr schwer. Wir hätten damals auch absteigen können, es war ein bisschen wie bei Schalke jetzt. 2008 kam Jürgen Klopp und es ging aufwärts.“
Und wie. Mit einer jungen Mannschaft, mit durchschnittlich 24,21 Jahren marschierten die Dortmunder durch die Liga. Am ersten Spieltag verloren sie noch, 0:2 gegen Bayer Leverkusen – aber danach waren sie nicht zu bremsen. „Die Saison war quasi ein Rausch“, sagt Dickel. „Wir sind zu Auswärtsspielen gefahren und haben gar nicht diskutiert, ob wir gewinnen, sondern nur, wie viele Tore wir schießen. Wenn du dieses Selbstvertrauen hast, gewinnst du auch Spiele, egal wo.“
„Klopp hat alles richtig gemacht
Und das Selbstbewusstsein vermittelte der Mann, der damals noch weit entfernt war vom Welttrainer-Ruhm. „Klopp war zuvor noch ein kleiner Trainer, aber er hat alles richtig gemacht“, erinnert sich Dede. Der Brasilianer war damals schon verdrängt von Marcel Schmelzer, spielte seine letzte Saison für den BVB – und spricht trotzdem nur positiv über Klopp. „Er hat die Mannschaft motiviert, immer die richtigen Worte gefunden.“
Und die richtige Spielweise. „Dieser Stil aus Ballbesitz, Pressing und Gegenpressing wurde bis zum heutigen Tag immer wieder verbessert“, sagt Dickel. „Aber den Grundstein für diesen dominanten Fußball hat Kloppo damals gelegt.“
Dem BVB flogen die Herzen zu
Mit dem unerwarteten Titel kamen ganz neue Fragen: Wer sollte am letzten Spieltag die Schale entgegennehmen? Sebastian Kehl, der etatmäßige Kapitän, der aber verletzungsbedingt kaum gespielt hatte? Oder Torwart Roman Weidenfeller, der ihn würdig vertreten hatte? Es wurde Weidenfeller, der im Gegenzug versprach: Wir holen sie nächstes Jahr noch einmal, dann darfst du. Selbst das gelang.
Der Erfolg war zurück in Dortmund, der jungen, unbekümmerten Mannschaft flogen die Herzen zu. Der 30. April 2011 war ein Meilenstein in der Entwicklung des BVB zur zweiten Kraft im deutschen Fußball. „Jürgen hat uns mit seiner Art und seiner Spielweise auf ein ganz neues Level gehoben“, lobt Dickel. „Die ganze Welt hat plötzlich Borussia Dortmund kennengelernt, diesen verrückten Trainer und diese junge Mannschaft. Davon zehren wir heute noch.“