Bielefeld/Gelsenkirchen. Nach dem Schalker Abstieg kommt es zu gewaltsamen Attacken. Profis werden geschlagen, manche rennen davon. Eine Zusammenfassung.
Am Tag nach dem Abstieg schien die Frühlingssonne über Gelsenkirchen. Auf den Trainingsplätzen des FC Schalke 04 war niemand zu sehen. Die Profis hatten gestern frei, sie bekamen Zeit, das Trauma des Abstiegs in die 2. Bundesliga, die 0:1 (0:0)-Niederlage bei Arminia Bielefeld und die Ausschreitungen der Nacht zu verdauen – es war neue Eskalationsstufe der Gewalt, über die Sportvorstand Peter Knäbel sagte: „Das Ergebnis der Saison ist desaströs. Genauso desaströs ist es, wenn man sich um Leib und Leben seiner Mitarbeiter sorgen muss.“
Gegen 23.30 Uhr hatten in der Nacht zu Dienstag zwei große Mannschaftsbusse die Bielefelder Alm verlassen. Um kurz nach 1 Uhr traf die Schalker Delegation in Gelsenkirchen an der Arena ein. Schon unterwegs, während sie auf der Autobahn A2 Richtung Ruhrgebiet fuhren, hatten die Königsblauen Hinweise erhalten, dass sich zwischen 500 und 600 Fans auf dem Stadiongelände aufhalten und mit der Mannschaft sprechen wollen. Der Schalker Sicherheitsdienst schätzte die Lage als friedlich ein, und die Teamführung wollte nicht davonlaufen. Deshalb trafen alle zusammen die Entscheidung: hinfahren, parken, aussteigen, zuhören.
Schalke-Fans jagen Profis rund um die Arena
Als sich die Busse den Fans näherten, sahen sie aber schon, dass viele der Fans vermummt waren, einige sogar Quarzsandhandschuhe, mit denen man härter zuschlagen kann, trugen. Doch auch das änderte die Meinung der Schalker nicht: Die meisten Spieler stiegen aus, nur wenige blieben im Bus sitzen. Sicherheitskräfte waren anwesend, auch eine Hundertschaft der Polizei. Die hielt sich aber im Hintergrund auf, wollte deeskalierend wirken.
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Zu Beginn blieb es noch friedlich. Eine Führungspersönlichkeit eines Schalker Fanklubs hielt eine Rede – sie enthielt eine Menge Beleidigungen. Ein nicht namentlich genannter Spieler sagte Sport 1: „Uns wurde laut und deutlich mitgeteilt, dass wir uns schämen sollen und sich alle Spieler ab sofort verpissen sollen, die im nächsten Jahr nicht mehr hier sein werden. Passiert das nicht, würde uns das Leben richtig zur Hölle gemacht.“
Einige Schalke-Profis tragen Hämatome davon
Plötzlich flogen Eier, zusätzlich wurden ein Böller und Pyrotechnik gezündet. Die Situation geriet daraufhin außer Kontrolle. Einige Personen lösten sich aus der Gruppe und versuchten, die Spieler körperlich zu attackieren. Viele Anwesende, darunter Spieler, rannten davon – diese Jagdszenen sind in einem Handy-Video festgehalten, das über die sozialen Medien vielfach verbreitet wurde. Verschont blieben nur wenige: Einige Spieler trugen Hämatome davon. Ins Krankenhaus musste niemand.
Etwas angekratzt war der Mannschaftsbus, da einige offenbar die Profis, die im Bus verblieben waren, zum Aussteigen zwingen wollte. Einige Privatautos der Profis waren demoliert, nicht wenige Spieler mussten nach Auskunft von Knäbel in einem Hotel übernachten. Erst gegen 2 Uhr endete für die Schalker Spieler dieser Albtraum.
Der Verein reagierte am Vormittag zunächst mit einer Mitteilung: „Bei allem verständlichen Frust und aller nachvollziehbaren Wut über den Abstieg in die 2. Bundesliga: Der Verein wird es niemals akzeptieren, wenn die körperliche Unversehrtheit seiner Spieler und Mitarbeiter gefährdet wird. Genau das ist in der vergangenen Nacht durch die Handlungen von Einzelpersonen geschehen. Der Klub verurteilt dieses Verhalten aufs Schärfste.“
Polizei Gelsenkirchen leitet Verfahren ein
Peter Knäbel sprach am Nachmittag – ein Video wurde an die etwa 160.000 Mitglieder verschickt. „Was Spieler und Staff erleben mussten, hat mit dem Leitbild von Schalke 04 nichts zu tun“, sagte der Sportvorstand. „Die Aufarbeitung der Ereignisse ist wichtig für die Glaubwürdigkeit des Vorstands. Sie wird ein paar Tage in Anspruch nehmen.“ Offenbar waren auch die anwesenden Vereinsidole Mike Büskens und Gerald Asamoah sehr schockiert.
Die Polizei Gelsenkirchen schilderte die Ereignisse der Nacht ähnlich: „Bei Eintreffen der Mannschaft kam es beim Verlassen des Busses kurzfristig zu heftigen Unmutsbekundungen. Die Spieler sind weggerannt, unsere Hundertschaft hat eingegriffen.“ So sei eine Eskalation vermieden worden, die Polizei leitete einige Verfahren an, die Ermittlungen laufen noch.
Drohungen auf Schalke nichts Neues
Diese Eskalationsstufe ist für die Schalker neu – massive Gewaltandrohungen gab es bereits in den vergangenen Wochen einige. Marketingvorstand Alexander Jobst erklärte deshalb zum 30. Juni seinen Rücktritt. Auch der Aufsichtsrats-Chef Jens Buchta wurde nach eigener Auskunft mehrmals bedroht.
Doch wie geht es nun weiter? Vier Spieltage stehen noch auf dem Programm, das nächste Spiel steht in zweieinhalb Wochen an, am 8. Mai bei der TSG Hoffenheim. Zu den Gegnern gehören noch die Abstiegskandidaten Hertha BSC und 1. FC Köln. „Die Konkurrenz kann erwarten, dass sich Schalke bestmöglich auf die Spiele vorbereiten wird“, sagt Knäbel. Ob das gelingen kann? „Ich weiß nicht, wie wir die nächsten Spiele noch bestreiten sollen“, sagte der anonyme Spieler.
Die Profis werden so gut es geht bis zum Saisonende beschützt. Alle Trainingseinheiten werden wegen der Corona-Pandemie ohnehin ohne Anhänger durchgeführt. Der Sicherheitsdienst wird verstärkt. Knäbel rief trotz aller Wut die Fans auf, zusammenzuhalten: „Unser Umfeld muss die 2. Liga annehmen, das ist einfach unsere bittere Realität.“