Essen/Berlin. SPD-Politiker Martin Schulz hat in der DFL-Taskforce an der Zukunft des Fußballs gebastelt. Im Interview versteht er auch BVB-Boss Watzke.
Martin Schulz (65) erscheint im Anzug in der coronabedingten Videokonferenz, wie es für einen Politiker des Bundestags üblich ist. Diesmal soll sich das Gespräch allerdings um den Fußball drehen, weil der ehemalige Präsident des europäischen Parlaments und Ex-Kanzlerkandidat der SPD in der Taskforce der Deutschen Fußball Liga gemeinsam mit weiteren Expertinnen und Experten eine Strategie für eine nachhaltigere Zukunft des Profigeschäfts entworfen hat.
Herr Schulz, wie sozialdemokratisch ist der Profifußball?
Martin Schulz: Grundsätzlich ist der Profifußball nicht nach parteipolitischen Kriterien bewertbar. Aber ein paar Grundregeln der Sozialdemokratie tun auch dem Fußball gut. Etwa Respekt. Oder Toleranz. Außerdem Gerechtigkeit und wirtschaftliche Solidarität.
Meistens geht es im bezahlten Fußball aber anders zu.
Martin Schulz: Solidarität unter wirtschaftlichen Konkurrenten ist nun mal selten. Und Fußballvereine sind im guten wie im schlechten Sinne ja auch Wirtschaftsunternehmen. Es ist eines der Dilemmata der Profivereine, dass sie einerseits aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung Fair Play propagieren, in der Realität ist ihre Beziehung zueinander, national wie auch international, aber häufig das Gegenteil von Fair Play.
Die DFL-Taskforce will dies verändern. Warum haben sie mitgemacht?
Martin Schulz: Der DFL-Geschäftsführer Christian Seifert hat mich angesprochen, besonders mit dem Blick auf die europäische Perspektive der Debatte. Da habe ich gesagt: Das interessiert mich, da mache ich mit.
Hat die Politik derzeit nichts Besseres zu tun?
Martin Schulz: Es gibt auch jenseits von Corona wichtige Fragestellungen. Der Fußball hat eine große gesellschaftspolitische Wichtigkeit. Nicht ganz so relevant, wie Herr Rummenigge oder Herr Hoeneß es meinen, betonen zu müssen. Aber für alle, die sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung befassen, spielt der Fußball eine Rolle. Wie er diese Rolle besser wahrnehmen kann, ist eine komplexe und hochrelevante Frage.
Warum beeinflusst der Fußball die Gesellschaft?
Martin Schulz: Der Fußball ist in einer Gesellschaft, in der sich viele Gruppenzugehörigkeiten auflösen, ein wichtiges Bindeglied zwischen Menschen. Es gibt nur noch wenige Bereiche, in denen das Gefühl von Zugehörigkeit existiert. Einer dieser Orte ist das Fußballstadion. Der eigene Verein begleitet einen ein ganzes Leben. Von meinem Klub, dem 1. FC Köln, hatte ich schon ich schon als kleiner Knirps einen Wimpel
Und wie wird der Fußball dieser Rolle gerecht?
Martin Schulz: Darüber haben wir in der Taskforce gesprochen. Ich versuche das Wichtigste in drei Punkten zusammenzufassen. Erstens: Die Exzesse bei der Spielerbezahlung und bei den Transfersummen überfordern die Vereine wirtschaftlich und führen zu einer Entfremdung bei den Fans. Deshalb ist eine Gehaltsobergrenze, also ein Salary Cap, ein vernünftiger Ansatz. Außerdem müssen die Honorare von Beratern reguliert werden. Zweitens: Die Vereine müssen ihre gesellschaftliche Relevanz annehmen.
Und der dritte Punkt?
Martin Schulz: Das Ganze wird nicht funktionieren, wenn die DFL sich nur alleine dafür einsetzt. Deswegen müssen die DFL und der DFB gemeinsam dafür sorgen, dass sich die Uefa dieses Themas annimmt, um wirtschaftliche Vernunft und Nachhaltigkeit auch auf europäischer Ebene möglich zu machen. Sonst haben wir am Ende in Deutschland klare Regeln – und zum Beispiel die Engländer sagen: Ist doch schön, jetzt sind wir unsere Konkurrenten los.
BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat bei uns eine Gehaltsobergrenze als unrealistisch bezeichnet.
Martin Schulz: Solange es keine europaweiten Regelungen gibt, ist es gerade bei Champions-League-Kandidaten nicht realistisch, da hat Herr Watzke recht.
Aber wie soll eine europäische Regelung realisiert werden?
Martin Schulz: Wenn sich die DFL Verbündete sucht, dann wird es möglich sein. Auch die Ligen in Spanien und Italien bestehen ja nicht nur aus milliardenschweren Top-Klubs, da kann ich mir schon vorstellen, dass es Verbündete gibt.
Wäre es nicht fahrlässig, wenn ein Verein wie der BVB durch Zugeständnisse Arbeitsplätze gefährdet?
Martin Schulz: Dass der Profifußball seine gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt, ist eine Bedingung für den nachhaltigen Erfolg der Vereine – wirtschaftlich und sportlich. Es wird darauf ankommen, dass alle mitziehen, damit dies gelingt. Und die Klubs haben sich zumindest verpflichtet, die Empfehlungen der Taskforce zu berücksichtigen. Gerade die Erwartungshaltung der Fans wird dazu führen, dass die Klubs Exzesse eindämmen müssen. Zum Beispiel sind die riesigen Ablösesummen von mehreren Hundert Millionen Euro ein Skandal.
Fanvertreter sind mit den Ergebnissen der Taskforce unzufrieden.
Martin Schulz: Natürlich geht es den Fanvertretern nicht weit genug, sie gehen mit Maximalerwartungen in die Gespräche. Aber alles kann nicht direkt umgesetzt werden. Es geht um pragmatische Lösungen.
Verhalten sich die Fans naiv?
Martin Schulz: Es gibt Fangruppen, denen die wirtschaftliche Seite ihrer Vereine suspekt ist. Sie wollen keine Investoren, sie wollen ihren traditionellen Verein erhalten. Das kann ich verstehen.
Aber die Fans pfeifen auch bei Misserfolg.
Martin Schulz: Und das ist der Unterschied zwischen einer Vereinsführung und den Fans. Die Manager der Vereine haben angesichts der Corona-Pandemie den Angstschweiß auf der Stirn stehen, die Fans haben es da leichter. Trotzdem verstehe ich sie. Sie wollen Erfolg, aber sie wollen den Erfolg nicht um jeden Preis.
Also gibt es keine Lösung für diesen Spagat?
Martin Schulz: Unter den jetzigen wirtschaftlichen Bedingungen nicht. Aber deswegen wollte die Taskforce ja zeigen, wie es auch anders laufen könnte.
Gleichzeitig bereitet der Profi-Fußball vielen Kopfschmerzen. Wie finden Sie es, dass deutsche Klubs ihre Champions-League-Heimspiele wegen Corona in anderen Ländern austragen?
Martin Schulz: Da gelangen wir zum Kern unseres Gesprächs. Die Corona-bedingte Vernunft spräche eigentlich dagegen. Und ich finde es schwierig, gerade wenn in Risikogebiete gereist wird. Aber der wirtschaftliche Druck auf die Vereine ist außerordentlich hoch. Schauen sie sich alleine die enormen Einbußen durch fehlende Zuschauer an. Deswegen kann ich die Entscheidung der Klubführungen nachvollziehen, diese Spiele durchzuführen. Es geht am Ende um wirtschaftliche Existenzen und Arbeitsplätze. Dennoch: eine Verschiebung um ein paar Wochen hätte möglicherweise zu Belastungen des Spielplans geführt, aber den moralischen Schaden vermieden.
Sollten Fußballer eher geimpft werden?
Martin Schulz: Ich bin dagegen, wir sollten keine Ausnahmen machen. Fußballer sollten nicht eher geimpft werden.
Glauben Sie, dass die EM im Sommer stattfinden kann?
Martin Schulz: Da müssen wir abwarten. Es hängt von der Inzidenzentwicklung ab, das ist nicht absehbar. Bleibt die Bevölkerung so diszipliniert, wie sie ist, denn das ist die überwiegende Mehrheit, dann könnte es klappen.
Vermissen Sie es persönlich, ins Stadion zu gehen?
Martin Schulz: Ich würde gerne wieder ins Stadion gehen, ein Heimspiel vor 50.000 Zuschauern des 1. FC Köln gegen den FC Bayern sehen und dann 4:0 gewinnen. Darauf hätte ich echt Lust.
Wie stellen Sie sich den Profi-Fußball im Jahr 2030 vor?
Martin Schulz: Ich habe mir abgewöhnt, längerfristig zu spekulieren. Gerade im Bereich des Profifußballs kann man das überhaupt nicht. Aber wenn eine Gehaltsobergrenze kommt, die Beraterhonorare reguliert werden, sich die Vereinspolitik in Deutschland an Werten orientiert – und dies auch auf europäischer Ebene zumindest andiskutiert wird, dann könnte in den nächsten drei, vier Jahren Bewegung reinkommen. Aber es wird ein langfristiger und langwieriger Prozess.
Spielen Sie selbst noch manchmal Fußball?
Martin Schulz: Ne, ich bin dafür zu alt, mein linkes Knie ist kaputt. Aber wenn ich einen Ball sehe, muss ich dagegen treten und kann dann drei Tage nicht laufen.
Wären Sie Profi geworden, hätten sie dann für eine Gehaltsobergrenze gestimmt?
Martin Schulz: Als notorischer Sozi glaube ich schon.